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Das 50-Prozent-Modell überzeugt die aktuellen Nebenämtler nicht wirklich

Die Teilzeitmandate aufwerten statt abschaffen: Das will das Gegenmodell zum Fünferstadtrat in Rapperswil-­Jona. Zieht das Führungskräfte aus der Wirtschaft an? Die jetzigen Nebenämtler zweifeln dran.

Pascal
Büsser
05.12.23 - 07:30 Uhr
Politik
Weichenstellung: Bald entscheidet sich, wie gross die politische Führungscrew sein soll, die ab 2025 im Stadthaus wirkt.
Weichenstellung: Bald entscheidet sich, wie gross die politische Führungscrew sein soll, die ab 2025 im Stadthaus wirkt.
BILD FABIO WYSS

Es ist eine fundamentale Weichenstellung: Soll der Stadtrat von Rapperswil-­Jona ab 2025 weiterhin aus sieben Mitgliedern mit unterschiedlichen Pensen bestehen? Nein, findet die SP. Sie hat an der Bürgerversammlung vom Juni einen Antrag für fünf vollamtliche Stadträte mit Ressortverantwortung eingebracht – zum zweiten Mal nach 2018. Diesmal konnte die Partei eine Mehrheit der anwesenden Bürgerschaft für den Auftrag an den Stadtrat überzeugen. Der Stadtrat selbst ist nun, anders als noch 2018, auch für das Fünfermodell (Ausgabe vom 16. November). An der Bürgerversammlung vom Donnerstag fällt der definitive Entscheid – es sei denn, das Geschäft wird an die Urne verwiesen.

Duo propagiert Gegenmodell

Einen Fünferstadtrat verhindern wollen SVP-Kantonsrat Bernhard Zahner und FDP-Mitglied Marcel Gasser. Sie haben per Medieninfo und mit 15 000 Flyern in die Haushalte ein Gegenmodell lanciert. Auch sie wollen zwar, dass alle Stadträte ein Ressort führen. Vier von sieben sollen das aber weiter im Teilzeitmandat tun, mit 50-Prozent-Pensum statt 20 Prozent wie bisher. Finanziell soll das in etwa aufs Gleiche herauskommen, weil vier 50-Prozenter je 100 000 Franken verdienen sollen statt zwei zusätzliche Vollamtliche 200 000 (Ausgabe vom 14. November). Als Erster hatte dieses Modell Medienunternehmer Bruno Hug an der Bürgerversammlung vom Juni in einer Reaktion auf den SP-Antrag in die Runde geworfen. Doch was sagen eigentlich die von beiden Vorschlägen am stärksten betroffenen vier nebenamtlichen Stadträte selber?

Wollen sieben statt fünf Stadträte: Marcel Gasser (links) von der FDP und SVP-Kantonsrat Bernhard Zahner präsentieren Mitte November einen Gegenvorschlag zum von der SP angeregten Fünfermodell.
Wollen sieben statt fünf Stadträte: Marcel Gasser (links) von der FDP und SVP-Kantonsrat Bernhard Zahner präsentieren Mitte November einen Gegenvorschlag zum von der SP angeregten Fünfermodell.
BILD FABIO WYSS

Eine Umfrage der «Linth-Zeitung» zeigt, dass der klare gemeinsame Nenner die Unzufriedenheit mit dem jetzigen System ist. Bei der Beurteilung der Alternativen gibt es aber durchaus Nuancen, auch wenn alle hinter dem Entscheid des Gesamtstadtrats zu stehen haben. Auch bei der Vereinbarkeit mit der persönlichen Ausgangslage gibt es Unterschiede. Alle vier Nebenamtlichen beteuern indes, die Modelldiskussion im Stadtrat abstrahiert von der eigenen Person geführt zu haben.

Überzeugung und Parteitaktik

Namentlich bei der SVP-Ortspartei ist es indes ein offenes Geheimnis, dass neben der Vorliebe fürs Milizsystem die Befürchtung besteht, bei einem Fünfergremium aus dem Stadtrat zu fliegen. Und dass bei einem Wechsel zum Fünfermodell bisherige, mindestens teilweise unliebsame Stadträte ins Vollamt gewählt werden könnten. Und das Gremium nach links rutscht.

Als starker Fürsprecher des Milizsystems ist in der Vergangenheit auch SVP-Stadtrat Kurt Kälin aufgefallen. Bis 2017 führten die vier nebenamtlichen Stadträte bereits ein Ressort, erst im 30- dann im 40-Prozent-Pensum. Als vormaliger Ortsparteipräsident befürwortete Kälin die 20-Prozent-Lösung ohne Ressort, um das Amt miliztauglicher zu machen. Insofern wäre es überraschend, wenn Kälin nun auf ein Vollamt schielen würde. Zumal er sich bei einer Bank als Leiter Einkauf bis in die Direktion hochgearbeitet hat. Kälin will sich zu dieser Frage aktuell nicht äussern.

Selten am Rednerpult: SVP-Stadtrat Kurt Kälin spricht bei einer Informationsveranstaltung im Joner «Kreuz».
Selten am Rednerpult: SVP-Stadtrat Kurt Kälin spricht bei einer Informationsveranstaltung im Joner «Kreuz».
BILD ARCHIV/PASCAL BÜSSER

Geändert hat er seine Meinung betreffend Ressortverantwortung. Dass er seit sieben Jahren an der Bürgerversammlung auf der Bühne sitze und erst einmal etwas gesagt habe, mache keinen Sinn. «Aktuell habe ich als Stadtrat keine Verantwortung in den Dossiers, das ist für mich unbefriedigend und auch für Leute, die mich gewählt haben», findet er. Wäre denn ein 50-Prozent-Pensum, wie es seine Partei will mit seinem Job vereinbar? «In der heutigen Zeit heisst es, dass man jeden Job teilen kann», sagt der 54-Jährige. «Aktuell arbeitet auf meiner Stufe aber niemand 50 Prozent.»

Grundsätzlich hält es Kälin für machbar, auch in einem tiefprozentigen Nebenamt Ressortverantwortung zu tragen, wenn sich diese auf die strategische Ebene beschränkt, respektive gezielt strategische Themen als Aufgabe definiert werden. Allerdings werde nur schon die Frage, was überhaupt strategisch und was operativ sei ganz unterschiedlich beantwortet – je nach persönlichem und beruflichem Hintergrund. Dass man als Stadtrat weit mehr Zeit einsetze, als bezahlt sei, gehört für Kälin zum Anforderungsprofil.

Sinneswandel vollzogen

Einen Sinneswandel hat wie seine ganze Partei Ueli Dobler durchgemacht. Der Mitte-Stadtrat ist nach bald zwei Amtszeiten klarer Befürworter des Modells mit fünf Vollamtlichen. Ein 50-Prozent-Pensum sieht er als schwer vereinbar mit einer gewerblichen Führungsaufgabe, wie er sie als stellvertretender Geschäftsführer einer Holzbaufirma innehat. «Schon mit 20 Prozent habe ich teilweise Mühe mit der Vereinbarkeit», sagt Dobler.

Das Stadtratsmandat sei nicht kompakt, sondern verteilt über die ganze Woche. Zu den zweiwöchentlichen Stadtratssitzungen kämen Sitzungen der Baukommission, Stiftungsratssitzungen und weitere Termine von Amtes wegen. Sein Kalender seitens Stadt für 2024 stehe bereits bis Ende Jahr. Geschäftliche Termine ergäben sich dagegen im Zweiwochenrhythmus. «Du solltest Leute und Geschäfte führen und bist die halbe Zeit nicht da», sagt er zur Idee des 50-Prozent-Stadtratmandats neben einer Führungsaufgabe in der Wirtschaft.

Für einmal im Mittelpunkt: Mitte-Stadtrat Ueli Dobler bei einem Wahlkampfpodium.
Für einmal im Mittelpunkt: Mitte-Stadtrat Ueli Dobler bei einem Wahlkampfpodium.
BILD ARCHIV

Als 61-Jähriger wär es für ihn denkbar, sich auf ein 50-Prozent-Stadtratsmandat zu konzentrieren. Für Jüngere sei das kaum attraktiv. «Wenn du Karriere machen willst, bist du im Nachteil mit 50 Prozent in der Privatwirtschaft», meint Dobler. Von 25 Mitarbeitenden seiner Firma sei er der Einzige ohne 100-Prozent-Pensum.

Dass vollamtliche Stadträte den Bezug zur Aussenwelt verlieren, glaubt er nicht. «So jemand hat mehr Zeit, Interessengruppen einzubeziehen und kann sich in Dossiers vertiefen, ohne schon gedanklich wieder im Geschäft zu sein.» Wenn eine oder zwei Parteien temporär aus dem Stadtrat flögen, sei das eben so. Nach dem Absturz der Avenida, die alle Parteien befürworteten, könne man sich fragen, wie gut diese noch Mehrheiten in der Stadt abbildeten. Er fände es «schade, wenn die Stadtratsreform auf die jetzige Parteikonstellation Rücksicht nimmt».

Quasi Rückkehr zu vor 2017

Tanja Zschokke findet es zwar gut, dass aktuell alle Parteien im Stadtrat vertreten sind. «Eine Exekutive kann aber nie die ganze Bevölkerung abbilden», sagt die Grüne. Als Landschaftsarchitektin im Zweipersonenbüro könnte sie sich mit beiden Modellen ein Weitermachen nach acht Jahren vorstellen.D

Grosse Bühne: Tanja Zschokke liebäugelte bereits einmal mit einem Hauptamt, als das Schulpräsidium frei wurde.
Grosse Bühne: Tanja Zschokke liebäugelte bereits einmal mit einem Hauptamt, als das Schulpräsidium frei wurde.
BILD ARCHIV

ass ein 50-Prozent-Amt per se mit einem Job in der Privatwirtschaft kompatibel ist, zumal mit einer Kaderposition, und mehr Personen anspricht, hält die 58-Jährige aber für eine Illusion. Das habe die Vergangenheit gezeigt. Es sei ja quasi eine Rückkehr zum Modell von vor 2017, einfach mit 10 Prozent mehr Pensum und besser bezahlt. «Es gab wohl einen Grund, wieso unsere Vorgänger von diesem Modell Abstand nahmen», sagt sie.

Gleiche Gestaltungsspielräume

Schon immer «störend» fand das aktuelle Stadtratsmodell Boris Meier. Obwohl sich der GLP-Mann 2020 ins Nebenamt wählen liess. Doch die Erfahrung hat ihn bestätigt. «Ich kann keine PS auf den Boden bringen ohne Ressort und Mitarbeitende und spüre auch die Stimmung im Stadthaus höchstens mal, wenn ich in der Kaffeeecke bin», sagt der 45-Jährige. Die wichtigste Aufgabe eines Stadtrats sieht er darin, zu gestalten. Das könne er aktuell nicht.

Bemängelt Gestaltungsspielraum: GLP-Stadtrat Boris Meier fühlt bei einem Workshop zur Ortsplanungsrevision den Puls von Bürgerinnen und Bürgern.
Bemängelt Gestaltungsspielraum: GLP-Stadtrat Boris Meier fühlt bei einem Workshop zur Ortsplanungsrevision den Puls von Bürgerinnen und Bürgern.

«Als Bürger erwarte ich, dass alle in Charge sind und auch allen mal die Kappe gewaschen wird», sagt der Dozent und Institutsleiter an der Fachhochschule Ost. Ein 50-Prozent-Mandat wäre mit seinem Job «sicher irgendwie möglich», meint Meier. Wenn die heutige Asymmetrie bestehen bleibe, befürchtet er aber, dass Teilzeitern Ressorts mit wenig Gestaltungsspielraum zugeteilt würden.

Einen Sinneswandel hat im Übrigen auch Stadtpräsident Martin Stöckling (FDP) durchgemacht. Er war vor seiner Wahl ebenfalls ein starker Befürworter des heutigen Modells mit vier Milizpolitikern im Nebenamt. Und wendete noch 2018 «namens des Stadtrats» ein, dass es nicht genug strategische Aufgaben für fünf vollamtliche Stadträte gebe. Heute beurteile das Gremium das anders.

«Fast jede Frage aus Bürgerschaft operativ»: Stadtpräsident Martin Stöckling (FDP) im Gespräch mit einem Workshopteilnehmer..
«Fast jede Frage aus Bürgerschaft operativ»: Stadtpräsident Martin Stöckling (FDP) im Gespräch mit einem Workshopteilnehmer..
BILD ARCHIV/PASCAL BÜSSER

Stöckling sagt auch: «Man kann sich als Stadtrat dem operativen Geschäft fast nicht entziehen.» Das sei von aussen schwer zu sehen. Praktisch jede Frage aus der Bürgerschaft betreffe den operativen Bereich. «Das kann man in der Politik nicht einfach wegdelegieren», sagt der 49-Jährige. Mit der Aufteilung der Ressorts auf fünf Stadträte sollen auch die drei Vollamtlichen, die jetzt zwei Ressorts führen, neben dem Alltagsgeschäft mehr Luft für strategische Fragen bekommen.

 

Was ein langjähriger Politanalyst und ein erfahrener Headhunter zum Stadtratsmodell sagen

Die Stadtratsdiskussion in Rapperswil-Jona interessiert sogar in Bern. Er beobachte die Diskussion «aus grosser Distanz», sagt der in der Bundesstadt beheimatete langjährige Politanalyst Mark Balsiger. «Stossend finde ich, dass man einer Exekutive mit fünf Mitgliedern absprechen will, die Bevölkerung in ihrer Breite abzubilden», sagt er. «Ein erheblicher Teil der 3000 Gemeinden in der Schweiz hat fünfköpfige Exekutiven.»

Betreffend Pensum verweist Buchautor Balsiger auf eine Untersuchung des Zentrums für Demokratie in Aarau von 2014. Demnach sind Voll- und Teilzeitämter für Staatsangestellte attraktiver, Nebenämter hingegen für Leute aus der Privatwirtschaft. Allerdings brauche es bei einem 50-Prozent-Pensum «viel Verständnis seitens des Arbeitgebers, was leider selten ist». Vielen fehle es aber auch am Willen «sich politisch zu engagieren und einen anspruchsvollen Job auszuüben».

Politanalyst und Kommunikationsprofi: Mark Balsiger.
Politanalyst und Kommunikationsprofi: Mark Balsiger.

Am ehesten sei ein 50-Prozent-Mandat für überdurchschnittlich leistungsbereite Selbstständige machbar. «Die Realität sind dann allerdings 60- bis 70-Stunden-Wochen, das, was Regierungsräte und Bundesrätinnen leisten müssen», meint Balsiger. Um solche Personen zu finden, sei die Wertschätzung wichtig, finanziell und gesellschaftlich. Es könne sich für den Einzelnen indes durchaus lohnen. «Wer in einer Exekutive tätig ist, absolviert parallel mehrere Weiterbildungen ohne Diplom – in Personalführung, Strategie, Öffentlichkeitsarbeit und so weiter», sagt Balsiger. «Wer dabei stetig lernt und sein eigenes Ego nicht zu stark ins Zentrum stellt, hat nach acht Jahren in einem Exekutivamt ein ausgezeichnetes Profil für andere Jobs.»

Guido Schilling, der als Headhunter in Zürich seit mehr als 25 Jahren Topkader für Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte sucht, sticht die aktuelle Pensendifferenz im Stadtrat ins Auge, wie er auf Anfrage sagt. Derartige Unterschiede in der zeitlichen Beanspruchung wären laut Schilling in einem Wirtschaftsunternehmen schwer vorstellbar, «wenn im Gremium alle die gleiche Mitverantwortung tragen sollen».

Erfahrener Headhunter: Guido Schilling.
Erfahrener Headhunter: Guido Schilling.

Ein 20-Prozent-Mandat sieht er grundsätzlich als «vereinbar mit vielen Führungsaufgaben in der Wirtschaft» und könne eine Bereicherung sein. Ein 50-Prozent-Mandat sei dagegen «wohl nur sehr schwierig vereinbar mit einer anspruchsvollen Führungsaufgabe in der Wirtschaft». In diesem Fall werde das Stadtratsmandat wohl zur Hauptaufgabe. Statt einer weiteren operativen Führungsaufgabe seien daneben nur noch Beratungs- oder Verwaltungsratsmandate realistisch.

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