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Die neue Invasion der Bündner in Italien

Das Kantonalgesangfest geht diesmal fremd. Die Grossveranstaltung wird von den Oberengadinern organisiert. Und die lieben seit je den Ausflug über die Grenze ins malerische Chiavenna.

Ruth
Spitzenpfeil
30.05.18 - 04:30 Uhr
Kultur
Italianità pur: Chiavenna beherbergt für ein Wochenende das 26. Bündner Kantonalgesangfest
Italianità pur: Chiavenna beherbergt für ein Wochenende das 26. Bündner Kantonalgesangfest
PRESSEBILD

Manchmal wird aus einer verrückten Idee, erdacht in geselliger Runde, tatsächlich eine ganz grosse Geschichte. Wir wissen nicht, wie es 1512 genau zuging, als sich einige Hundert Bündner entschlossen, gen Süden zu ziehen und die norditalienischen Talschaften Veltlin, Chiavenna und Bormio einzunehmen. Es war der Beginn einer fast 300-jährigen Herrschaft. Was der Auslöser war für die nun kurz bevorstehende zweite Bündner Invasion, ist uns aber sehr wohl bekannt.

Es war im Bus auf der Rückreise vom Schweizerischen Gesangsfest in Meiringen, an dem der Chor viril Samedan unter der Leitung seines aus der Lombardei stammenden Dirigenten Omar Iacomella teilgenommen hatte. Die Sprache kam auf das Bündner Kantonalgesangfest, das 2018 wieder anstehen würde. Dann werde man in seiner Heimat das grosse Gedenkjahr 400 Jahre Felssturz von Piuro begehen und das Fest der Chöre der Provinz Sondrio, bemerkte Iacomella. Da könnte man sich doch zusammentun.

Zum Espresso nach Italien

Jon Fadri Huder ist Mitglied des Chors und auch Gemeindepräsident Samedans. Wie für alle Oberengadiner gehört für ihn die Fahrt den Malojapass hinab in das italienische Städtchen zehn Kilometer hinter der Grenze zur lieben Gewohnheit. Die pittoresken Gassen und lauschigen Piazzas sind vielen vertrauter als Chur. An einem Samstag in der Zwischensaison trifft man die Einheimischen eher dort beim Espresso oder Aperitivo als im verwaisten St. Moritz. Warum also das Sängertreffen nicht dort organisieren? Die Verbindung mit dem ebenfalls von Iacomella geleiteten Chor Eco del Mera bestand bereits. Der Kantonalvorstand liess sich mit einer Einladung nach Chiavenna – inklusive Grotto-Besuch – gern überzeugen.

Das alle sechs Jahre in Graubünden stattfindende Kantonalgesangfest – zuletzt 2012 in Trun – ist immer eine logistische Herkulesaufgabe. Hunderte von Chören treten nicht nur parallel in verschiedenen Lokalitäten fürs Publikum auf, sondern stellen sich alle auch einer fachlichen Bewertung durch Experten. Durch den Zuwachs aus Italien sowie ausserkantonaler Formationen ist das Gesangsfest «extra muros» nun aber noch um einige Nummern grösser.

Singende Karawane

Rezia Cantat wurde das Ereignis getauft und als «erste singende Karawane der Rätischen Alpen» bezeichnet. Was sich da am Wochenende vom 8. bis 10. Juni auf Chiavenna und das benachbarte Piuro ergiessen wird, ist tatsächlich beeindruckend: 132 Chöre mit 3682 Sängern sind angemeldet. Sie bestreiten insgesamt 160 Stunden Konzert. Von Maloja bis zum Comersee sind Unterkünfte gebucht. Es gibt rund ein Dutzend verschiedener Auftrittsorte, vor allem Kirchen und Palazzi. Besondere Aufführungsorte sind der Renaissance-Palast Vertemate und der Wasserfall Acquafraggia in Piuro.

Die Eröffnung findet in der malerisch gelegenen Eishalle statt. Dort gibt es einmal auch ein gemeinsames Essen; grundsätzlich sollen die Sangesfreunde aber die vielen Grotti und Restaurants bevölkern. Huder wünscht sich, dass die Musik dort weitergeht. «Mein Höhepunkt wäre es, wenn in Chiavenna überall spontan gesungen würde», so der OK-Präsident. Die ganze Stadt wird auf jeden Fall am Samstagnachmittag von Gesang erfasst, wenn sich in einem Sternmarsch aus Richtung Maloja, Splügen und Mailand alle Sänger auf der Piazza vor dem Rathaus vereinen – beim «Cafè Svizzero».

Rezia Cantat. Bündner Kantonalgesangfest, Valchiavenna.

Freitag, 8. Juni, 19.30 Uhr Eröffnung, Eishalle Chiavenna

Samstag, 9. Juni, ab 9.15 Uhr Singen vor Experten. Ab 10 Uhr freie Chorauftritte. 17.45 Uhr Festumzug zum Rathausplatz

Sonntag, 10. Juni, 11 Uhr Coro della SAT di Trento, Palazzo Vertemate. 16.30 Uhr Coro UT, Cascate Acquafraggia. Alle Details www.reziacantat2018.ch

«Mein Höhepunkt wäre es , wenn in Chiavenna überall spontan gesungen würde.»

400 Jahre Bergsturz von Piuro

Das Bündner Kantonalgesangfest ist auch Teil der Feierlichkeiten in Erinnerung an eine in der Val Chiavenna. Am 4. September 1618 begrub ein gewaltiger Felssturz den Ort Piuro (deutsch: Plurs) vollkommen unter Gesteinsmassen. des blühenden Städtchens sollen damals ums Leben gekommen sein. Die heutige Gemeinde Piuro wurde viel später aus drei Dörfern gebildet. des Gedenkens wird im Herbst eine Messe mit dem sein. (spi)

Ruth Spitzenpfeil ist Kulturredaktorin der «Südostschweiz» und betreut mit einem kleinen Pensum auch regionale Themen, die sich nicht selten um historische Bauten drehen. Die Wahl-St.-Moritzerin entschloss sich nach einer langen Karriere in der Zürcher Medienwelt 2017, ihr Tätigkeitsfeld ganz nach Graubünden zu verlegen. Mehr Infos

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