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Zwingli aus der Perspektive seiner Frau

Im Oratorium «Akte Zwingli» steht nicht etwa der Reformator selbst, sondern seine Ehefrau Anna Reinhart im Mittelpunkt. Dirigent Davide De Zotti hat es in Rapperswil verstanden, die über 50 Mitwirkenden auf der Bühne in ein eindrucksvolles, fünfteiliges Ganzes zu bringen.

Südostschweiz
28.05.18 - 04:30 Uhr
Kultur
Überzeugend: Tenor Daniel Camille Bentz singt in der evangelischen Kirche Rapperswil als Ulrich Zwingli mit Chor den Psalm 23.Bild Manuela Matt/Zürichsee-Zeitung
Überzeugend: Tenor Daniel Camille Bentz singt in der evangelischen Kirche Rapperswil als Ulrich Zwingli mit Chor den Psalm 23.Bild Manuela Matt/Zürichsee-Zeitung

Im Zuge des Reformationsjahres wurde am Samstag das Oratorium «Akte Zwingli» in der evangelischen Kirche Rapperswil aufgeführt. Das Oratorium ist eine dramatische, mehrteilige Vertonung einer meist geistlichen Handlung, verteilt auf mehrere Personen unter Mitwirkung von Chor und Orchester. Gleich vorweg: das Leben Zwinglis in irgendeiner anderen Form – zum Beispiel als Theater, Musical, in einem Gedicht oder als Roman – zu fassen, wäre wohl um einiges weniger anspruchsvoll gewesen, als den Weg eines Oratoriums zu wählen. Doch genau das ist den beiden Machern Hans-Jürgen Hufeisen (Musik) und Christoph Sigrist (Libretto) auf mehr als beeindruckende Weise gelungen.

Die «Akte Zwingli» ist voll von guten Einfällen: Als erstes ist es die Form überhaupt. Anstatt das Leben Zwinglis zum Beispiel chronologisch abzuhandeln, lässt Sigrist Zwinglis Ehefrau Anna Reinhart in fiktiven Tagebucheinträgen über das Leben ihres Mannes nachdenken.

Zum Zweiten baute Sigrist eigene Lieder und Gedichte des Reformators sehr passend ins Oratorium ein. Ebenfalls überzeugt hat die mutige, da ungewöhnliche Orchesterzusammenstellung: Die Kantorei Rapperswil- Jona unter der Leitung von Davide De Zotti wurde von einer Blockflöte, einem Akkordeon, zwei Flügeln und einem Schlagzeug begleitet.

Keine Heldengeschichte

Da die «Akte Zwingli» nicht die Heldengeschichte eines Reformators aus dem Toggenburg, der Karriere in Zürich gemacht hat, erzählen will, sondern sich viel subtiler an die frühneuzeitlichen Geschehen herantastet und Anna Reinhart in den Mittelpunkt stellt, kann das Oratorium gar nicht anders, als mit dem eigentlichen Schluss zu beginnen: dem Tod des Reformators. Ein Trauma für Anna Reinhart. Im ersten Teil – übertitelt mit «Krieg» – singt die Mezzosopranistin Sarah Widmer in herzergreifenden Lamenti und mit warmer Stimme von der inneren Verletzlichkeit der Anna Reinhart. Zwingli selbst, gesungen von Daniel Camille Bentz, Mitglied des Tenor-Ensembles «I Quattro», tritt im zweiten Teil, «Charisma», auf und singt zusammen mit dem Chor die wohlklingende Vertonung des Psalms 23.

Zwischen den einzelnen Klangbildern liest der Erzähler aus dem fiktiven Tagebuch vor und leitet zum nächsten Klangbild oder zum nächsten Teil über. Zum Beispiel zum dritten, der «Streit» hiess. Hier ging es um die Streitlust zwischen Zwingli und Luther: Mit einer Collage aus altgriechischen, lateinischen und deutschen Textfragmenten wurde die Uneinigkeit um die «richtige» Übersetzung von Bibelversen klanglich sehr eindrucksvoll dargestellt.

Als die Pest in Europa grassierte, wurden Angesteckte angehalten, mittels Ratschen oder Schellen andere vor sich zu warnen. Ein gern vergessenes Detail der Geschichte, das im vierten Teil, «Pest», eindrücklich aufgegriffen wurde. Weniger überzeugt hat hingegen der penetrant wiederholte Einsatz der überblasenen Blockflöte, hier hätte der Stimmung etwas mehr Drama statt Geschrei gutgetan.

Zum Schluss, im «Nachklang», lag der Fokus wieder ganz bei der Zweiflerin Anna Reinhart. Anlässlich der Hinrichtung von Täufern in Zürich fragten ihre Kinder sie, wo denn nur der Vater sei und warum er diesem Treiben keinen Einhalt gebiete. Und sie selbst fragte sich: «Gibt es Gott?»

Nur ein Fragezeichen bleibt

Die über über 50 Mitwirkenden, die am Samstag auf der Bühne standen, leisteten Grossartiges. Dirigent De Zotti meisterte die anspruchsvolle Aufgabe, den vollklingenden, präzisen und jederzeit präsenten Chor sowie die Musiker, Erzähler und Solisten in ein eindrückliches Gesamtpaket zu packen, mit Bravour.

Einziges Fragezeichen hinterliess die Besetzung des Erzählers und der Blockflöte. Der Komponist Hufeisen und der Autor Sigrist besetzten diese Positionen nämlich gleich selbst. Das führte teilweise zu etwas Übereifer in der Interpretation und hatte auch etwas leicht Klammerhaftes. Die «Akte Zwingli» ist ein wirklich starkes, überzeugendes Werk, das man getrost in fremde Hände geben darf.

Die «Akte Zwingli» ist voll von guten Einfällen: von der Form selber bis zur Zusammenstellung des Orchesters.

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