×

Schönes Haus, wichtiger Mann

Hier gehen werdende Mütter ein und aus. Es erklingt auch ganz viel Musik. Die Villa La Nicca wird heute vielfältig genutzt. Ihr Erbauer hat seine Spuren aber in ganz Graubünden hinterlassen.

Ruth
Spitzenpfeil
09.02.18 - 18:14 Uhr
Kultur

Viele Churer und Churerinnen sind schon drinnen gewesen in diesem Haus; nicht wenige sogar schon vor ihrer Geburt. Im Erdgeschoss der Villa La Nicca – manchmal auch nach ihrem Zweitbesitzer Villa Scharplatz genannt – befindet sich nämlich die Praxis einer viel beschäftigten Frauenärztin. Doch in seiner ganzen klassizistischen Pracht nimmt man das Gebäude kaum wahr. Es liegt zwar am Schnittpunkt zweier Hauptachsen der Stadt, der Engadinstrasse und der Grabenstrasse, aber die Bäume rundherum schirmen es nahezu vollständig ab. Man muss schon wissen, dass sich dahinter das Wohnhaus eines für Graubündens Entwicklung enorm wichtigen Mannes verbirgt.

Unerfüllter Traum

Richard La Nicca, geboren 1794 in Safien, wurde als Bündner Oberingenieur nicht nur zum «Vater der Alpenstrassen» – er verantwortete den Bau der Passtrassen über Julier, Maloja und Bernina – , er machte auch das Domleschg durch die Rheinkorrektur erst richtig bewohnbar. Sein grosser Traum, den er zäh bis ins hohe Alter verfolgte, war eine Eisenbahnlinie von Chur über Disentis via Lukmanier bis ins Piemont. Diese Alternative zum Gotthard wurde aber nie verwirklicht.

Das Haus an der Engadinstrasse 52, welche damals noch Obere Bahnhofstrasse hiess, ist vermutlich der einzig erhaltene Hochbau, den er entwarf. Kunsthistorikern gilt es als hervorragendes Beispiel der klassizistischen Variante des Historismus. La Nicca war allerdings schon 59 Jahre alt, als er 1853 einzog, und es ist nicht klar, wie viele seiner Kinder dann noch mit ihm dort wohnten. Wie sie dort lebten, kann man aber noch sehr gut nachvollziehen. Denn die Raumaumeintlung wurde in all den Jahren kaum verändert, vor allem nicht im Erdgeschoss und in der Beletage. Dort sind auch Stuckdecken, der Brokat an den Wänden, Öfen und viele Details so wie im 19. Jahrhundert. Die Bediensteten wohnten unter dem Dach; wirtschaften für die Herrschaft mussten sie im Untergeschoss, wo Teile der Küche bis heute erhalten sind.

Musik und Medizin

1939 verkaufte der Enkel La Niccas das Haus an die Familie Scharplatz, die dort bald eine Arztpraxis einrichtete. Die langjährige Besitzerin, die das Anwesen ihrer Tochter vermacht hat, wohnt noch hier. Es ist ein lebendiges Haus. Nicht nur die werdenden Mütter gehen ein und aus, immer erklingt auch Musik. Die Salons werden rege von Musikschulen genutzt.

Ruth Spitzenpfeil ist Kulturredaktorin der «Südostschweiz» und betreut mit einem kleinen Pensum auch regionale Themen, die sich nicht selten um historische Bauten drehen. Die Wahl-St.-Moritzerin entschloss sich nach einer langen Karriere in der Zürcher Medienwelt 2017, ihr Tätigkeitsfeld ganz nach Graubünden zu verlegen. Mehr Infos

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zum Thema MEHR
Mehr zu Kultur MEHR