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Hanna und Greta

Christian
Ruch
02.12.17 - 10:00 Uhr

In «Ruchs Rubrik» beleuchtet Christian Ruch Bedenkliches, Merkwürdiges und Lustiges aus der Region Südostschweiz. Das alles einmal wöchentlich und mit viel Esprit und Humor. Ob Politik, Kultur, Wirtschaft oder Sport – in Ruchs Rubrik hat all das Platz, was sich mit einem Augenzwinkern betrachten lässt.

Neulich klagte eine englische Mutter, das Märchen vom Dornröschen sei sehr ärgerlich, weil der Prinz – Stichwort sexuelle Belästigung – das schlafende Dornröschen küsse, ohne es vorher um Erlaubnis zu fragen. Was ja auch schwierig ist, wenn jemand schläft. Aber egal. Jedenfalls finde auch ich, dass man Märchen nur noch politisch korrekt wiedergeben sollte.

«Hänsel und Gretel» etwa geht in der traditionellen Fassung gar nicht mehr. Darum hier die neue Version: Als Hanna und Greta im Zivilstandsamt ihre gleichgeschlechtliche Partnerschaft eintragen lassen wollen, verirren sie sich im Wald. Dort treffen sie auf ein Haus aus – nein, im Zeitalter übermässigen Zuckerkonsums und Gluten-Intoleranz selbstverständlich nicht mehr Pfefferkuchen fein, sondern gesundem Obst und Gemüse. Als Hanna und Greta sich hungrig über die Fassade hermachen, ruft die Seniorin, der das Haus gehört, nicht «Knusper, knusper, Knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?», sondern «Krischpel, kraschpel, Rüebli, wer kaut an meinem Stüebli?» In der neuen Fassung ist die alte Dame übrigens statt einer Hexe eine ehemalige HEKS-Mitarbeiterin, war also tätig für das Hilfswerk der evangelischen Kirchen Schweiz. Inzwischen leider etwas dement, hält sie den netten Spitex-Pflegefachmann Hans für einen Enkeltrickbetrüger und sperrt ihn in den Stall. Hanna und Greta befreien Hans und bringen seine Klientin in ein hübsches Seniorenzentrum. Dort klopft sie mit Rotkäppchens Gross- und Schneewittchens Stiefmutter sowie Frau Holle jeden Nachmittag einen zünftigen Jass. Und wenn in der Zwischenzeit nicht Exit vorbeigeschaut hat, dann jassen sie noch heute.

Sie sehen: Man kann Märchen sehr zeitgemäss erzählen. Und nächste Woche in «Ruchs Rubrik»: Wie Hanna und Greta beim Nordic Walking von ihrem schicken Loft in Züri-West auf den Üetliberg auf einen ausgewanderten Calanda-Wolf treffen, ihn vom Verzehr der sieben Geislein abbringen und er zur Freude aller Schafbesitzer als erster veganer Wolf nach Graubünden zurückkehrt.

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