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Das grosse Fressen

Im Herbst gehen die Bären in Arosa vermehrt auf Futtersuche – ein Besuch im Bärenland.

Bündner Woche
14.09.22 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Konzentriert: Meimo streift duch steiles Gelände und sucht nach Futter.
Konzentriert: Meimo streift duch steiles Gelände und sucht nach Futter.
Susanne Turra

Von Susanne Turra

Amelia kommt langsam aus dem Wäldchen. Fast scheint es, als schlendere sie ein bisschen. Sie schaut umher. Überlegt. Dann hält sie die Nase auf den Boden. Und sucht nach Futter. Jamila bewegt sich auf der anderen Seite der Anlage. Sie nimmt ein kurzes Bad. Genüsslich. Und schüttelt sich. Meimo ist weiter unten zu sehen. Südlich. Er streift durch steiles Gelände. Verschwindet hinter grossen Steinen. Und taucht wieder auf. Sam ruht noch ein bisschen in der Innenanlage. Gemütlich. Behutsam. Erkundungsfreudig. Energisch. Aktiv. Freundlich. Neugierig. So sind sie. Die vierbeinigen Bewohnerinnen und Bewohner des Bärenlands Arosa. Allesamt europäische Braunbären. Es ist Mittwochmorgen, der Erste im September, bei der Mittelstation Weisshorn, auf 2000 Metern über Meer. Es ist ruhig und friedlich. Und es herbstet. Zeit für die Tiere, ein bisschen an Gewicht zuzulegen. Ein bisschen? Tierpflegerin Daria Jörg kommt um die Ecke. «Die Männchen legen knapp 100 Kilo zu bis zur Winterruhe», sagt sie und lacht. Dann verrät sie gleich den Menüplan. Momentan bekommt jedes Tier 15 Kilo Futter pro Tag. Rüebli, Randen, Äpfel und Birnen.

Rüebli, Randen, Äpfel und Birnen

Wobei das Gemüse nur ein Drittel ausmacht. Mit den Früchten wird begonnen, wenn die ersten Heidelbeeren da sind. «Anfangs Oktober gibt es nur noch Früchte», so Daria Jörg. «Und davon bis zu 30 Kilo für jedes Tier pro Tag.» Die Früchte werden klein geschnitten und überall im Gelände verteilt. So, dass die Bärinnen und Bären sie erst suchen müssen. Bären sind übrigens Allesfresser, ernähren sich aber zu 80 Prozent vegetarisch. Im Herbst fressen die Tiere auch sehr gerne Nüsse. Am liebsten Baumnüsse. Und sie tun dies auf ganz unterschiedliche Art und Weise. «Napa hat die Nüsse immer gleich mitsamt der Schale gefressen», erinnert sich die Tierpflegerin. «Meimo nimmt die Nuss in den Mund. Und etwas später spuckt er die Schale aus.» Und Amelia? «Sie achtet darauf, dass auf keinen Fall Nussschale in ihren Mund kommt», erzählt Daria Jörg und lacht. Genaugenommen frisst die Bärin die Nüsse im Liegen. Dabei legt sie die linke Tatze auf den Boden und rollt mit der rechten die Nuss darauf. Dann bearbeitet sie diese wie mit einem Nussknacker. Wischt mit der Tatze die Schale weg. Und verschlingt die geschälte Nuss mit Hochgenuss. «Es ist interessant, wie die Tiere ihre eigene Technik haben», sagt Daria Jörg und schmunzelt. «Wir sind gespannt darauf, wie Jamila und Sam Nüsse fressen.» Für die beiden ist es ja der erste Herbst im Bärenland.

Amelia posiert für die Fotografin, bevor sie ins Wäldchen schlendert.
Amelia posiert für die Fotografin, bevor sie ins Wäldchen schlendert.
Jamila macht sich auf zu ihrem Morgenbad.
Jamila macht sich auf zu ihrem Morgenbad.

So oder so. Die Tiere werden alle zwei Wochen gewogen. Heute Morgen war es wieder so weit. Und? «Meimo und Sam wiegen momentan rund 170 Kilo. Bis zur Winterruhe sollten sie rund 250 Kilo auf die Waage bringen», betont die Tierpflegerin. «Jamila und Amelia wiegen rund 105 Kilo. Die beiden Weibchen möchten wir mit rund 150 Kilo in die Winterruhe schicken.» Die Winterruhe ist den Bären angeboren. Und nicht mit dem Winterschlaf zu verwechseln. Der Bär ist so lange aktiv, wie er Fressen findet. Anders als beim Winterschlaf passt sich die Winterruhe dem Nahrungsangebot an. «Speziell beim Bären ist, dass er während der Ruhe nur an Fett verliert», erklärt die Tierpflegerin. «Er hat keinen Knochenabbau. Und er bekommt keinen Muskelschwund.» Und das Fell? «Bären wechseln das Fell einmal pro Jahr im Juli», so Daria Jörg. «Aber nicht speziell auf die Winterruhe.» Übrigens können die Tiere ihre Winterruhe in Arosa auch draussen machen. Eine Zaunerhöhung macht dies möglich. «Amelia war die Erste, die angezeigt hat, dass sie draussen ruhen möchte», erzählt die Tierpflegerin. «Auch Meimo hat vorletzten Winter in einer Baumgruppe seine Winterhöhle gefunden. Ende Februar hat er kurzerhand sein Nistmaterial rausgeschleppt und draussen vor der Höhle ein Nest gebaut. Wie von Hand geflochten.

Rüebli, Randen, Äpfel und Birnen: Tierpflegerin Daria Jörg rüstet das Gemüse und die Früchte für die Bären.
Rüebli, Randen, Äpfel und Birnen: Tierpflegerin Daria Jörg rüstet das Gemüse und die Früchte für die Bären.

Es geht gegen Mittag. Auf dem Abenteuerweg sind Leute zu sehen. Sie staunen, schwärmen, fotografieren. Das Beobachten ist anscheinend faszinierend. «Der Herbst ist die beste Zeit, um die Bären zu besuchen», betont Daria Jörg. «Dann sind sie vermehrt draussen am Futter suchen. Und die Besucherinnen und Besucher können sie immer sehen.» Für die Tierpflegerin indes wird es dann ein bisschen schwieriger. Die Tiere sind nämlich auf eine laute Hupe konditioniert. Wenn es hupt, heisst es ab in die Stallung. Und das klappt eigentlich auch ganz gut. Im Herbst allerdings kann es vorkommen, dass sie nicht reagieren, weil sie draussen genug zu Fressen finden. Und dann braucht es halt ein bisschen Geduld. Denn, eines ist klar: «Wir sind niemals mit den Tieren in derselben Anlage», so die Tierpflegerin. «Das wäre zu gefährlich.» Anders bei kleinen Tieren. Die können durch verschiedene Kleintierdurchläufe ins Bärengelände. Und so lebt hier seit eh und je auch Füchsin Irina. In ihrem Fuchsbau. Momentan mit ihren Jungen. «Die Bären und Bärinnen lassen die Füchsin in Ruhe», versichert die Tierpflegerin. «Die denken wahrscheinlich, wenn wir die erwischen, haben wir ja fast nur Fell.» So widmen sich die Tiere lieber wieder ihren Früchten. Und davon liegen momentan noch haufenweise auf dem Boden. Rüebli, Randen, Äpfel und Birnen. Daria Jörg wundert sich. Wo ist Amelia? «Normalerweise geht die Bärin wie ein Staubsauger darüber», sagt sie und lacht. «Amelia hat eine ganz besondere Art.» Das Fell der Bärin leuchtet silbern im Licht. Sie ist kleiner als die andern. Hat einen zierlichen Kopf. Und die Augen liegen eng beisammen. Sie hat diesen Blick, der sagt: Ich weiss, was ich will. Die Tierpflegerin könnte noch viel über Amelia erzählen. Ebenso wie über Meimo, Sam und Jamila. Vor vier Jahren ist Daria Jörg, gemeinsam mit Napa, ins Aroser Bärenland gekommen. Der verstorbene Bär bleibt unvergessen. «Napa ist das Herzstück vom Bärenland», betont sie. «Er hat uns alles beigebracht.»

«Er hat uns alles beigebracht»

Und wie wird eine Tierpflegerin zur Bärenpflegerin? «Durch ganz viel Glück», sagt die gelernte Heimtierpflegerin und lacht. «Wenn ich sehe, wie die Bären Fortschritte machen und sich gut entwickeln bei uns, dann ist das mein grösster Lohn.» So oder so. Eine Beziehung zu den Tieren kann und darf nicht aufgebaut werden. Die Bären sollen in Arosa leben wie in Freiheit. Eine Bindung zum Menschen hilft ihnen nicht. Daran hält sich die Tierpflegerin. «Ans Herz wachsen sie einem trotzdem», betont Daria Jörg. Dann schneidet sie noch rasch einige Karotten in kleine Stücke. Sie sollen ja genug zu Fressen haben. Im Herbst. Amelia, Meimo, Jamila und Sam.

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