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Sterbebegleiterin Bigna Zellweger: «Der Tod ist ein Geheimnis»

Der Verein Tecum begleitet schwerkranke und sterbende Menschen und ihre Angehörigen. Bigna Zellweger ist eine der ehrenamtlichen Sterbebegleiterinnen und Einsatzleiterin im Verein.

Bündner Woche
29.12.23 - 04:30 Uhr
Menschen & Schicksale
Bei der Begleitung von Sterbenden braucht es sensible Antennen und nur wenige Worte.
Bei der Begleitung von Sterbenden braucht es sensible Antennen und nur wenige Worte.
Cindy Ziegler

von Laura Kessler

Sie sind da in den letzten Nächten und Stunden eines Menschen. Sie begleiten und sie unterstützen. Die Sterbebegleiterinnen und Sterbebegleiter des Vereins Tecum engagieren sich als Freiwillige in ganz Graubünden für schwerkranke und sterbende Menschen. Sie halten Sitzwache in Spitälern, Alters- und Pflegeheimen und in privaten Haushalten. Bigna Zellweger aus Tenna ist seit August dieses Jahres Einsatzleiterin und seit drei Jahren Sterbebegleiterin bei Tecum.

Frau Zellweger, wie ist es für Sie, einen sterbenden Menschen zu begleiten?

Bigna Zellweger: Es braucht sensible Antennen und meistens nur wenige Worte. Man muss spüren, was dieser Mensch möchte und braucht. Im fortgeschrittenen Sterbeprozess sind die meisten Menschen nicht mehr ansprechbar. Dann gilt es zu spüren, was sie jetzt gerade brauchen. Manche mögen es, eine Hand zu halten. Andere brauchen Distanz. Die eigenen Ansichten und Meinungen muss ich beiseitelegen und mich ganz auf die Situation einlassen. Schauen, was es im Moment braucht. Das ist herausfordernd aber auch sehr berührend, denn man darf als Sterbebegleiterin Teil eines sehr intimen Momentes sein.

Wie nehmen Sie den Sterbeprozess wahr?

Jeder Prozess ist anders. Sterben ist individuell und dazu gibt es kein Lehrbuch. Wir Lebenden wissen eigentlich gar nichts übers Sterben. Wenn ich das so miterlebe, habe ich oftmals das Gefühl, dass sich die Sterbenden bereits mit einem Bein in einer anderen Welt befinden, von der wir Lebenden nichts wissen. Und mit einem Bein sind sie noch immer hier. Sie sind hin- und hergerissen. Manche können leicht loslassen, andere kämpfen. Oftmals sind diese Menschen in einer Zwischenwelt, zu der wir keinen Zugang haben. Ich kann mit den Sterbenden dann noch sprechen, aber was wirklich ankommt, weiss ich nicht. Deshalb rede ich meistens kaum. Manchmal summe ich, manchmal halte ich die Hand. Ich bin einfach präsent.

Wieso ist eine Begleitung während des Sterbeprozesses so wichtig? Haben viele Menschen Angst vor der Einsamkeit während des Sterbens?

Ja, ganz klar. Oftmals kommen Ängste am Ende des Lebenswegs auf, aber zum Glück können die meisten Menschen diese noch äussern. Viele wünschen sich, nicht alleine sterben zu müssen. Natürlich bleiben wir dann bis ans Lebensende bei ihnen. Wir begleiten sie jede Nacht, auch wenn sie am Schluss vielleicht nichts mehr äussern können. Wir sind da.

Ist Ihnen eine Begleitung besonders in Erinnerung geblieben?

Es sind mehrere. Ich hatte inzwischen etwa 30 Einsätze. Besonders die Begleitungen jener Menschen, die nicht friedlich sterben können, bleiben mir. Sie kämpfen. In einer solchen Situation ist man machtlos, man kann ihnen den Schmerz des Loslassens nicht nehmen. Das tut mir leid. Das ist ein Ohnmachtsgefühl.

Sterbebegleiterin und Einsatzleiterin Bigna Zellweger. Bild zVg
Sterbebegleiterin und Einsatzleiterin Bigna Zellweger. Bild zVg

Wie verarbeiten Sie solche Einsätze?

Oft mit meinem Hund beim Spazieren. Auch tausche ich mich viel mit unserer Geschäftsführerin Corina Carr aus und teile mit ihr schwierige Erlebnisse. Wir treffen uns zudem jeden zweiten Monat in einem Kreis mit einem Supervisor, wo man ebenfalls Erlebtes besprechen kann.

Die meisten Begleiterinnen und Begleiter beim Tecum sind bereits pensioniert. Geht man ab einem gewissen Alter anders mit dem Tod um?

Viele setzen sich mit dem eigenen Alter auseinander und machen sich Gedanken über das eigene Ende. Nach der Pensionierung hat man aber auch einfach mehr Zeit, sich zu engagieren und viele wollen dem Leben dann nochmals eine neue Richtung geben. Das Gefühl des Gebrauchtwerdens, die Dankbarkeit, die man erfährt, das ist sehr wertvoll.

Setzen auch Sie sich mit dem eigenen Tod auseinander?

Ja, der Tod ist bei mir präsent. Ich wollte eigentlich lange Hebamme werden. Sterben und Geborenwerden haben viel gemeinsam, damit sind viele intime Momente verbunden. Der Tod ist ein Geheimnis. Ich gehe nicht davon aus, dass ich ewig Zeit habe. Für mich ist es nicht selbstverständlich, gesund zu sein, auch ich könnte in diesem Bett liegen. Auch unsere Kinder wuchsen mit dem Thema Tod auf. Wie die Geburt gehört auch der Tod zum Leben. Wir haben zu Hause eine Wand mit Geburtskarten und eine, an der wir unseren Verstorbenen gedenken. Sie ist jedoch hinter einer Türe, denn der Tod soll doch nicht immer präsent sein.

Die Festtage sind aktuell im Gange. Nehmen Sie diese Zeit anders wahr?

Das ist eine spezielle Zeit, ja. Wir machen jetzt viele Begleitungen. Ich denke da oft an die Angehörigen. Einerseits freut man sich auf die schöne Zeit mit viel Licht, andererseits liegt jemand im Sterben. Ich frage mich, wie man als Angehörige damit umgehen kann. Viele Sterbende wollen auch noch etwas erleben. Vielleicht ist es die Weihnacht. Gerade für gläubige Menschen kann das wichtig sein. Dann sind wir da.

Der Verein Tecum

120 ehrenamtliche Begleiterinnen und Begleiter engagieren sich beim Verein Tecum, dessen Name so viel bedeutet wie «mit dir». Sterbende und schwerkranke Menschen werden zu Hause, im Spital und Heim am Tag und in der Nacht begleitet. Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben eine Ausbildung in Sterbebegleitung. Das Angebot ist kostenlos. 

Die Einsatzleitung ist täglich von 8.30 bis 11.30 und von 13.30 bis 17 Uhr unter 079 220 07 70 erreichbar. Weitere Informationen unter www.tecum-graubuenden.ch

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