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Ein E-Mail für den Richter

Der Kläger will am Telefon einen Zeugen befragen, während der Beklagte heimlich auf dem Smartphone herumtippt, um schliesslich dem Gericht eine E-Mail zu senden. Eine unkonventionelle Verhandlung.

Marco
Lüthi
27.03.18 - 04:30 Uhr
Ereignisse
Skurrile Verhandlung im Gerichtshaus Glarus
Skurrile Verhandlung im Gerichtshaus Glarus
SASI SUBRAMANIAM

Kürzlich im Gerichtshaus in Glarus. Im Warteraum im ersten Stock sitzen auf der einen Seite der Kläger mit seinem Bruder, auf der anderen Seite der Beklagte mit seinem Anwalt. Es ist mucksmäuschenstill. Man wartet auf den Beginn der Verhandlung vor der Zivilkammer des Kantonsgerichts. Der auswärtige Jurist studiert die aufliegende Broschüre des renovierten Gerichtshauses. Sein Mandant bewacht derweil die beiden prall gefüllten Bundesordner, die er neben sich deponiert hat. Und die beiden Brüder sind über ein Smartphone gebeugt und schauen wohl amüsante Internetfilmchen. Immer wieder ist ein Lächeln auf ihren Gesichtern zu erkennen.

Die Situation ist deutlich gelassener als sonst. Normalerweise ist bei manchem «Gerichtsgänger» die Anspannung förmlich spürbar. Wie skurril dieser Donnerstagmorgen noch werden sollte, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht erahnen.

Der Waffen-Aufspürer und der Jus-Student

Punkt 8 Uhr: Schritte. Der Parkettboden knarrt. Der Gerichtsschreiber bittet die beiden Parteien in den Saal. Doch zuvor wirft er einen Blick in die Aktentasche des Anwalts, zwischen die dicken Ordner und in die Jackentaschen, um allfällige Waffen (oder vielleicht auch eine Bombe) aufzuspüren. Fündig wird er nicht. Mit erleichtertem Gesicht und ausgestrecktem Arm weist er sodann den Weg in den Saal. Dort wartet bereits der Gerichtspräsident hinter dem erhöhten Richterpult. Zu seiner Linken sitzt ein junger Mann im Anzug. Ein Jus-Student. Er absolviert momentan ein Kurzpraktikum, um den Glarner Gerichtsalltag kennzenzulernen. Von Alltag kann allerdings an diesem Morgen nicht die Rede sein. Dafür sorgen die Protagonisten vor den Schranken.

Der präsidiale «Ermittler» und die Forderungen

Im Prozess fordert der ältere der Brüder, der Handwerker und Immobilienunternehmer ist, mehrere Zehntausend Franken vom beklagten Architekten ein. Dieser bestreitet alle drei Forderungen, die aus der kurzen Geschäftsbeziehung stammen. Unter anderem sollen 26 000 Franken auf dem gemeinsamen Gesellschaftskonto eines bereits realisierten Bauprojekts fehlen.

Nun nimmt der Gerichtspräsident als «Ermittler» die Arbeit auf. Ausser eines Zahlungsbefehls hat er nichts in den Händen. Deshalb löchert er beide Seiten mit Fragen, um so die Sachlage der Klagen zu rekonstruieren, aber vor allem, sie überhaupt zu begreifen. Zwischendurch fasst er seine Erkenntnisse immer wieder zusammen: «Die Frage ist also: Wer kriegt vom Gewinn wie viel?» oder: «Es gab keine Verträge, aber dafür eine Basarrunde.»

Der auswärtige Anwalt und die Glarner Berge

Nach etwas mehr als einer Stunde gibt es eine längere Pause. Der auswärtige Anwalt nutzt sie, um nach seinem Auto in der blauen Zone zu schauen. Die Brüder tuns ihm gleich. Als sie zurück sind, nehmen sie wieder auf denselben Stühlen im Warteraum Platz. Nun hat der Anwalt das Bergpanorama bemerkt. Worauf er wissen will, wie denn die imposanten Glarner Berge heissen, die durch das Fenster zu sehen sind. Vorderglärnisch und Wiggis. Er lächelt und gesteht, dass er eben noch nie im Glarnerland gewesen sei. Dann geht es zurück in den Gerichtssaal, dieses Mal ohne Waffenkontrolle.

Der tippende Architekt und das E-Mail ans Gericht

Von nun an lässt die Disziplin auf beiden Seiten endgültig zu wünschen übrig: Als es um eine Rechnung eines Handwerkers geht, zückt der junge Architekt unter dem Tisch sein Smartphone aus der Hosentasche und tippt mit dem Daumen flink auf dem Touchscreen herum. «Ich habe den Handwerker gerade gefragt, ob er mir die Rechnung senden könne», erklärt er sich. Kurz darauf ist das Schriftstück per E-Mail da. Als der Architekt das Dokument auf seinem iPad dem Gericht präsentieren will, wird er vom Gerichtspräsidenten gestoppt mit der Bitte: «Leiten Sie mir das E-Mail doch weiter, dann haben wir es schon mal in den Akten.» Gesagt, getan. Nachdem ihm der Vorsitzende die Adresse des Gerichts genannt hat, drückt der junge Mann auf «Weiterleiten».

Nun zückt der klagende Bruder sein Smartphone. Er ist genervt. Der beklagte Architekt behauptet, dass dieser nach einem Wasserschaden nicht auf der Baustelle eines fast fertigen Neubaus gewesen sei, um den Schaden zu beheben. Das habe ein anderer Handwerker getan. «Der damalige Bauleiter bestätigt mir soeben per Whatsapp, dass ich dort war», betont der Kläger. Und sagt daraufhin voller Tatendrang: «Warten Sie, ich ruf ihn an, damit er es Ihnen selber am Telefon bestätigen kann.» Der Gerichtspräsident ist von dieser Idee gar nicht angetan: «Ich bestimme, wer befragt wird. Und wenn, dann nur physisch hier im Gerichtssaal.»

Gut möglich, dass der Bauleiter bald in Glarus vor Gericht antraben muss. An einem Vergleich sind die beiden Parteien an jenem Morgen nicht interessiert. Stattdessen wollen sie nachträglich fehlende Beweismittel einreichen.

Marco Lüthi ist Redaktor und Produzent bei den «Glarner Nachrichten» in Ennenda. Mehr Infos

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