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Hirschi und Küng unter den Medaillenanwärtern

Schon am Tag nach der Eröffnungsfeier gilt es für die Radsportler ernst, wenn am Fusse des Mount Fuji die olympischen Medaillen im Strassenrennen vergeben werden. Im Vorteil sind bergfeste Fahrer.

Agentur
sda
18.07.21 - 05:35 Uhr
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Marc Hirschi ist einer der Schweizer Trümpfe an den Olympischen Spielen in Tokio
Marc Hirschi ist einer der Schweizer Trümpfe an den Olympischen Spielen in Tokio
KEYSTONE/GIAN EHRENZELLER

Fünf Jahre nach dem märchenhaften Abgang von Fabian Cancellara, der sich in Rio mit dem zweiten Zeitfahr-Olympiasieg nach 2008 in den verdienten Ruhestand verabschiedet hatte, träumt mit Marc Hirschi ein anderer Radprofi aus Ittigen bei Bern von einer olympischen Medaille. Mit dem Gewinn von WM-Bronze im letzten Herbst in Imola hat der frühere U23-Weltmeister den Beweis bereits erbracht, dass er auch bei der Elite an Grossanlässen dem Druck standhalten kann.

Die Vorzeichen sind für Hirschi jedoch nicht mehr die gleichen. Nach seinem spät erfolgten Wechsel zum Team UAE Emirates kämpfte der Aufsteiger der letzten Saison mit Material- und gesundheitlichen Problemen. Vergleichbare Erfolge wie im letzten Jahr, als er nebst einem Etappensieg an der Tour de France auch im Halbklassiker Flèche Wallone triumphierte und bei Lüttich-Bastogne-Lüttich Zweiter wurde, kann der 22-jährige Berner 2021 nicht vorweisen. Dies hängt auch damit zusammen, dass er nicht mehr dieselben Freiheiten hat.

In den letzten drei Wochen stellte sich Hirschi an der Frankreich-Rundfahrt voll in den Dienst von Tadej Pogacar, um dem Slowenen zur erfolgreichen Titelverteidigung zu verhelfen. Man darf gespannt sein, wie frisch sich der Schweizer nach den jüngsten Strapazen noch präsentiert, zumal er bei einem Sturz in der 1. Etappe eine schmerzhafte Schulterverletzung erlitt.

Reisestress und viele Höhenmeter

Zeit zum Durchschnaufen bleibt Hirschi kaum, denn zwischen dem Ende der Tour de France und dem olympischen Strassenrennen liegen nur fünf Tage. Auch der 234 km lange Parcours mit dem Start am Stadtrand von Tokio und dem Ziel am Fuji International Speedway, dem Motorsport-Kurs in Oyama am Fusse des Mount Fuji, wird den Fahrern alles abverlangen. Insgesamt sind 4865 Höhenmeter zu bewältigen, dass sind rund ein Viertel mehr als 2016 in Rio und etwa gleich viele wie im WM-Rennen 2020 in Imola - Hirschi kam das dort entgegen.

Als Teamleader mit dem Schweizer Kreuz auf dem Trikot kann Hirschi auf die Unterstützung von Routinier Michael Schär, Zeitfahr-Europameister Stefan Küng und dem klettererprobten Gino Mäder zählen. Das maximale Kontingent von fünf Fahrern können nur sechs Nationen stellen, unter ihnen die Belgier mit Greg van Avermaet, dem Olympiasieger von Rio.

Küng muss die Bergbeine auspacken

Mit Stefan Küng gehört auch im Zeitfahren, das nur vier Tage nach dem Strassenrennen ausgetragen wird, ein Schweizer zum Kreis der Favoriten. Der 27-jährige Thurgauer hat zuletzt mit konstant starken Leistungen in seiner Spezialdisziplin bewiesen, dass mit ihm zu rechnen ist. Dem Sieg im Auftaktzeitfahren an der Tour de Suisse liess er einen 2. Platz in der ersten von zwei Prüfungen gegen die Uhr an der Tour de France folgen.

Die Umstände in Japan werden jedoch nicht nur wegen der tropischen Hitze andere sein. Das olympische Zeitfahren am Fusse des Mount Fuji kommt etwas länger daher, und es präsentiert sich dazu noch deutlich coupierter. Auf den 44,2 km gibt es ein ständiges Auf und Ab, ein richtig steiler Anstieg fehlt jedoch. Trotzdem entsprechen die topografischen Schwierigkeiten mit insgesamt 846 Höhenmetern nicht Küngs Gusto. Der Zeitfahr-Europameister, bekannt als starker Roller, hat jedoch zuletzt mehrfach bewiesen, dass er gut über die Berge kommt.

Küngs Konkurrenz im Kampf um eine Medaille wird allerdings gross sein, die Liste jener Fahrer, die um die Nachfolge von Fabian Cancellara buhlen, ist lang. Mit dem Australier Rohan Dennis, dem Italiener Filippo Ganna und dem Niederländer Tom Dumoulin sind alleine drei Weltmeister dieses Fachs gemeldet.

Spätzünderin Marlen Reusser

Bei den Frauen darf sich die Schweiz dank Marlen Reusser berechtigte Hoffnungen auf eine Medaille machen. Die Bernerin ist eine Spätzünderin. Als vor fünf Jahren in Rio de Janeiro die letzten Sommerspiele stattfanden, hatte Reusser noch kein einziges Radrennen bestritten. Geschweige denn war sie Profi-Sportlerin.

Erst 2017 löste die damals 25-Jährige aus Hindelbank ihre erste Rad-Lizenz. Ende Juni düpierte Reusser an den Schweizer Zeitfahr-Meisterschaften gleich die gesamte nationale Konkurrenz. Sechs Wochen später allerdings bezahlte sie an der EM in Dänemark als 28. unter 31 Teilnehmerinnen Lehrgeld.

Doch Reusser, die noch 2018 parallel zu ihrer sportlichen Karriere als chirurgische Assistenzärztin praktizierte, steigerte sich seither von Jahr zu Jahr. Letzte Saison zahlte sich das erstmals auch international in Form von Medaillen aus: An der EM in Plouay belegte die Bernerin den 3. Rang, an der WM in Imola wurde sie gar Zweite. Gold sicherte sich in beiden Rennen Anna van der Breggen aus den Niederlanden.

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