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«Grosse Mannschaften laufen dem Ball nicht gerne hinterher»

Vor dem Achtelfinal gegen Frankreich standen Yann Sommer, Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri für ein Gespräch zur Verfügung. Die drei zeigen sich harmonisch, lassen eine gute Stimmung im Team vermuten.

Agentur
sda
26.06.21 - 23:50 Uhr
Fussball

Der Blick geht über die weite Golfanlage des Römer Parco de Medici. Nationaltrainer Vladimir Petkovic schlendert mit seinen engsten Mitarbeitern vorbei. Auch dieses Trio wirkt harmonisch und vertraut.

Vor dem Duell mit Weltmeister Frankreich hat die SFV-Auswahl ihre Oase der Ruhe wiedergefunden. Ausserhalb der SFV-Blase hat der (mediale) Sturm nachgelassen. Themen wie blonde Haare, teure Autos und Tattoos sind weiter weg als Kylian Mbappé und Paul Pogba.

Die Schweiz träumt seit bald 70 Jahren vom Viertelfinal. Jetzt kommt bereits in den Achtelfinals ausgerechnet Frankreich. Weltmeister, Weltauswahl. Das Team wird nur mit Superlativen geschmückt.

Sommer: «Deshalb freue mich riesig auf dieses Spiel. Das ist ein Highlight für jeden von uns.»

Aber Ihnen kommt die klare Aussenseiterrolle zu.

Shaqiri: «Die Papierform sagt nicht immer alles aus. In der K.o.-Phase ist vieles möglich. Aber um dieses Spiel zu gewinnen, braucht es für uns den perfekten Tag und für die Franzosen nicht. Es braucht in jedem Spiel Glück. Portugal wurde als Gruppendritter auch noch Europameister (2016 – Red).»

Xhaka: «Auf dem Papier sind die Franzosen die Favoriten, da müssen wir ehrlich sein. Sie sind Weltmeister. Doch wir müssen uns auch nicht zu klein machen. Ich sage mal optimistisch: 55:45 für Frankreich.»

Bleibt Frankreich nach den Eindrücken der Vorrunde der Top-Favorit auf den Titel?

Die drei zögern, schauen sich lange an, dann sagt Yann Sommer: «Es gibt noch viele weitere Mannschaften, die spannend sind und die am Anfang nicht zu den Top-Favoriten gezählt wurden. Die Niederlande zum Beispiel ist sehr spannend, wir Schweizer sind es auch. Es gibt einige Teams, welche das Turnier beeinflussen können.»

Granit Xhaka, Experten sagen, die Franzosen seien noch nicht auf Betriebstemperatur – abgesehen von Paul Pogba und N’Golo Kanté. Das sind Ihre Gegenspieler im Mittelfeld.

Granit Xhaka: «Pogba ist ein Spieler, der ein Spiel alleine entscheiden kann. Kanté muss acht Lungen haben, so viele Bälle, wie er erkämpft. Das sind für Frankreich zwei ganz wichtige Spieler. Aber wir müssen uns gegen sie nicht verstecken.»

Nicht verstecken, aber sich anpassen vielleicht. Muss die Schweiz ihren Spielstil ändern, um bestehen zu können?

Sommer: «Den Stil komplett zu ändern, wäre sicher der falsche Weg. Aber man muss sich etwas anpassen, um auf gewisse Spieler richtig reagieren zu können. Wir sind uns bewusst, dass Frankreich viel Tempo nach vorne hat. Im Umschaltspiel sind sie unglaublich gut. Der Schlüssel für uns wird sein, dass wir bei Ballbesitz sehr konzentriert sind, so wie wir das gegen grossen Mannschaften schon oft hingekriegt haben. Wenn wir im Zentrum Ballverluste haben und hinten offen stehen, dann wird es ganz schwierig.»

Xhaka: «Zu unserem Spielstil muss man auch sagen, dass grosse Mannschaften nicht gerne dem Ball hinterherlaufen. Und wir spielen gerne mit dem Ball, das macht uns stark. Wir sind keine Mannschaft, die 90 Minuten verteidigt und nur weite Bälle nach vorne schlägt. Das wäre nicht unser Stil, das wäre die falsche Lösung.»

Willy Sagnol, der frühere französische Internationale und Spieler von Bayern München, bezeichnete die Schweiz als unterklassige Mannschaft.

Shaqiri: «Das ist seine Meinung. Aber Frankreich hatte gegen Ungarn Probleme. Sie sehen sich vielleicht schon eine Runde weiter, das ist eine Chance für uns.»

Sommer: «Das ist gut, wenn Willy Sagnol das sagt. Das stört uns nicht. Wir wissen, was wir können. Wichtig ist, dass wir die Werte auf den Platz bringen wie im Spiel gegen die Türkei. Werte, die wir gegen Italien so haben vermissen lassen: solidarisch und mutig sein, kommunikativ stark und mit guter Körpersprache. Diese Werte müssen in solchen Spielen top sein. Klar braucht es auch Qualität. Aber zuerst müssen wir mutig sein, grossen Glauben an uns haben und ins Spiel gehen, um eine Runde weiterzukommen.»

Diese angesprochenen Werte hat die Mannschaft vor dem Türkei-Spiel wiedergefunden. Waren zuvor Nebensächlichkeiten zu sehr ein Thema? Stichworte: Autos, Haare, Tattoos.

Shaqiri: «Es wurde so dargestellt, als würden wir hier eine Show abziehen. Aber das stimmt nicht. Über unsere Autos wird seit zehn Jahren berichtet. Für uns im Team ist das kein Thema. Aber klar, solche Sachen werden von aussen thematisiert, wenn ein Spiel nicht gut läuft.»

Xhaka: «Ich wurde vor kurzem zum zweiten Mal Vater. Da wollte ich auch für das zweite Kind noch vor dem grossen Turnier ein Tattoo stechen lassen. Rückblickend betrachtet war das ein Fehler. Aber ich habe mich an die Corona-Regeln gehalten und wurde darauf auch negativ getestet. Das alles hat auf die Leistung keinen Einfluss.»

Fühlen Sie sich in solchen Momenten von der Öffentlichkeit zu Unrecht kritisiert?

Xhaka: «Man bekommt das Gefühl, dass Leute von aussen Unruhe in die Mannschaft bringen wollen. Das ist schade. Wir wollen an den Leistungen auf dem Platz gemessen werden.»

Sommer: «Wir hatten in den letzten Jahren oft Geschichten, die zu Diskussionen führten. Dieses Mal hatten wir den Italien-Match, der wirklich nicht gut war. So kam vieles hoch und wurde aufgebauscht. In einem solchen Moment wird in der Kritik alles vermischt, aber daran haben wir uns gewöhnt. Das ist Part of the Business. Aber wie Shaq gesagt hat, ist das im Team keine Sache, die angesprochen werden musste. Wir sagen nicht: Weshalb kommst du mit einem teuren Auto? Oder: Weshalb gehst du ins Tattoo-Studio? Jeder kann im Leben machen, was er will.»

Überrascht es Sie, dass schnell auch immer wieder das Thema der Identifikation aufkommt?

Sommer: «Es geht vielleicht manchmal zu schnell vergessen, dass Granit 97 Länderspiele absolviert hat, und Shaq bei 94 Länderspielen steht. Da geht es schon langsam in Richtung Rekordnationalspieler. Heinz Hermann, mein früherer Trainer, wird daheim sicher ein besonderes Auge darauf haben.»

Shaqiri zeigt auf sich und seine zwei Kollegen und sagt dann: «Wenn man die Spiele zählt, die wir drei gemacht haben, so kommt man auf weit über 200 Länderspiele. Da müssen wir doch nicht mehr über Identifikation reden. Man muss sich nur die Statistiken anschauen. Dann sieht man, dass wir immer alles gegeben haben für diese Mannschaft und für die Schweiz.»

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