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Diego Maradona war ein Teamplayer der Sonderklasse

Über zehn Jahre lang spielt Gabriel Calderon an der Seite von Diego Maradona für Argentinien. Nun spricht der frühere Sion- und Lausanne-Spieler über seinen Captain, der letzte Woche gestorben ist.

Agentur
sda
30.11.20 - 09:33 Uhr
Fussball

Mit dem tragischen Ende von «El pibe de oro» beschäftigten sich die Menschen rund um den Globus. Nahezu die gesamte Sportprominenz reagierte auf den Abschied des Jahrhundert-Sportlers. Wer konnte, veröffentlichte ein gemeinsames Foto mit dem gefallenen Superstar. «Mir ist niemand bekannt, der Diego nicht mochte. Ihn liebten sie in allen Kulturkreisen», meldete Gabriel Calderon aus Buenos Aires. «Eine riesige Persönlichkeit, die eine ganze Epoche im beispiellosen Stil prägte.»

Maradona habe im wirtschaftlich angeschlagenen Argentinien immer für ein paar Prozente Hoffnung gebürgt, sagte Calderon, der zuletzt als Trainer im Iran gearbeitet hat. «Viele in meiner Heimat wissen am Morgen nicht, wie sie ihr Essen bezahlen sollen. Für sie war Diego Projektionsfläche und Hoffnungsträger gleichermassen. Während 90 Minuten nahm Diego ihnen die Sorgen. Von ihm aus gingen positive Schwingungen.»

Per WhatsApp hat der frühere Sion- und Lausanne-Professional, der wenige Monate nach der WM 1990 von Paris Saint-Germain in die Schweiz wechselte, am letzten Mittwoch vom Tod seines Ex-Nationalteamkollegen erfahren. Der Hinschied der argentinischen Ikone berührt den 60-Jährigen Manager tief: «Ich habe einen Freund und tollen Weggefährten verloren, die Welt einen generösen Menschen.» Sie hätten sich immer mal wieder per SMS ausgetauscht: «Er gratulierte mir im Februar zum Geburtstag, ich schickte ihm am 20. Oktober eine Nachricht zum Sechzigsten.»

Mit Maradona Junioren-Weltmeister

Mit «Dieguito» verbindet der ehemalige WM-Finalist wunderbare Erinnerungen: «Ich habe drei WM-Turniere mit ihm gespielt.» 1979 war Calderon als Mittelfeldspieler hautnah dabei, als Maradona seinen ersten grossen Titel gewann – in Tokio führte das Offensiv-Duo die von César Menotti gecoachten Südamerikaner zur ersten U20-Goldmedaille der Verbandsgeschichte.

«Ich erinnere mich im Detail. Wir standen nach Spielschluss direkt nebeneinander und fielen uns gegenseitig um den Hals. Diego wiederholte ein Wort immer wieder: grossartig, grossartig!» In jenem womöglich letzten unbeschwerten Moment sei die Magie Maradonas für alle spürbar gewesen, sagte Calderon während des Telefonats mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. «Spätestens ab da war an ein normales Privatleben nicht mehr zu denken; kein Coiffeurbesuch, keine Tasse Kaffee mehr im öffentlichen Raum. Von seiner Spielkunst träumten wir alle, aber mit der Kehrseite hätte jeder zu kämpfen gehabt.»

Eine weitere ebenso eindrückliche Sequenz kommt Calderon in den Sinn: «Wenn ich daran zurückdenke, wie Maradona an der WM 1982 vom Italiener Gentile getreten und geschlagen wurde, dann sind seine späteren Erfolge noch unfassbarer. Früher schützten die Schiedsrichter die grossen Talente nicht. Deshalb glaube ich, dass Maradona im modernen Fussball noch dominanter wäre. Er würde doppelt so viele Tore schiessen. Wie Diego mit all diesen Widerwärtigkeiten umging, ist bewundernswert.»

Im Sommer 1990 erlebte Calderon einen weiteren unvergesslichen Maradona-Abend. Die Gauchos trafen im WM-Halbfinal auf Gastgeber Italien. Das neapolitanische Publikum unterstützte neben den Einheimischen auch die Nummer 10 der SSC Napoli. «Die Fans liessen Diego hochleben. Allein dank ihm hatten wir kein Auswärtsspiel.» Vom Sonderstatus ihres Spielmachers hätten sie alle enorm profitiert, so Calderon.

Der Individualist als Teamplayer

Was Calderon in der Retrospektive am meisten hervorhebt, ist Maradonas Sinn fürs Kollektiv: «Er hat sich immer mit der ganzen Mannschaft solidarisiert. Diego veranlasste, dass die weniger gut Situierten für Testspiele eine höhere Prämie erhielten. Für das Wohl der Mannschaft hat er immer alles gemacht.» Der weltbeste Individualist war ein Teamplayer der Sonderklasse. «Diego hat uns nach Fehlern nie kritisiert. Sein Blick war immer vorwärts gerichtet. Ich habe ihn in der Garderobe nie schlecht gelaunt erlebt. Er verfügte über einen unglaublich positiven Esprit.»

Das grosse Herz steht still, Maradona wird nie mehr in der Boca-Lounge seine Nachfahren antreiben, seine Entourage ist paralysiert. Calderon umschreibt den allgemeinen Gemütszustand mit Poesie: «Diego ist gegangen, aber Maradona wird für immer bei uns bleiben. Wir lieben ihn dafür, was er mit unserem Leben gemacht hat.»

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