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Kaltes Konzert in der Aula

Heute, genau 100 Jahre nach der Vereinsgründung, treffen sich die Mitglieder der Kulturgesellschaft Glarus erneut zu einer Versammlung. Zum Auftakt einer Serie zum Jubiläum erinnert sich Iris Jaumann an einen Anlass, den ihr Mann 1976 organisiert hatte.

Südostschweiz
25.09.20 - 04:30 Uhr
Kultur
Unvergessen: Iris Jaumann erinnert sich noch äusserst lebhaft an das Konzert mit Stargeigerin Johanna Martzy, das Rudolf Jaumann 1976 als Vorstandsmitglied der heutigen Kulturgesellschaft Glarus organisiert hatte.
Unvergessen: Iris Jaumann erinnert sich noch äusserst lebhaft an das Konzert mit Stargeigerin Johanna Martzy, das Rudolf Jaumann 1976 als Vorstandsmitglied der heutigen Kulturgesellschaft Glarus organisiert hatte.
SASI SUBRAMANIAM

von Swantje Kammerecker

Das Jahr war für die Glarner Kulturfreunde bedeutend. Mit dem neuen Namen «Glarner Konzert- und Theatergesellschaft» richtete sich der Verein auf ein breiteres Publikum aus. Und seine Mitglieder fieberten der Eröffnung der Aula der neuen Kantonsschule entgegen. Mit dieser stand in Glarus endlich ein Saal mit professioneller Bühnentechnik zur Verfügung, der dazu eine gute Sicht und Akustik von allen Plätzen bot.

Es war bereits vorwinterlich kalt, als am 27. November 1976 in der Aula das Einweihungskonzert stattfand. Iris Jaumann erinnert sich noch lebhaft daran. Denn den Abend hatte ihr Ehemann organisiert. Rudolf Jaumann war von 1969 bis 1980 Vorstandsmitglied der Gesellschaft und für die Sparte Konzerte zuständig. Der ehemalige Dorfarzt von Netstal, selbst leidenschaftlicher Musikant, hatte die Vision der Gründer vor Augen, «nur allererste Solisten» zu verpflichten.

Das tat er in diesem Fall mit der international erfolgreichen Geigerin Johanna Martzy, die in Glarus wohnte, und ihrem Klavierbegleiter István Hajdu. Von jeher pflegten im Glarnerland vor allem engagierte Laienmusiker etliche persönliche Kontakte mit Profis. So waren auch die Jaumanns mit dem Ehepaar Tschudi-Martzy bekannt.

Arbeit für die ganze Familie

«Mein Mann fand, wenn wir hier in Glarus so eine grossartige Künstlerin haben, müsse sie doch unbedingt dieses Konzert spielen», erzählt Iris Jaumann. «Das brauchte zwar etwas Überzeugungsarbeit, aber schliesslich sagte sie zu.» In den letzten Jahren, nachdem Johanna Martzy den Glarner Verleger und früheren Eigentümer der «Glarner Nachrichten», Daniel Tschudi, geheiratet und eine Tochter bekommen hatte, sei die Geigerin dann ja immer weniger aufgetreten. Aber: «Natürlich war sie von früheren Konzerten hier sehr bekannt.»

Ihren ersten Kammermusikabend in Glarus gab Martzy 1949, weitere folgten. Später wirkte sie unter Jakob Kobelt auch als Solistin in einem Regierungskonzert. Martzy habe nebst ihrer Ausnahmebegabung auch ein spezielles Charisma gehabt, erzählt Iris Jaumann. Entsprechend gross sei 1976 der Publikumsaufmarsch gewesen.

Für die Vorbereitungen war die ganze Familie Jaumann eingespannt. Auch die Kinder halfen mit: «Mein Mann machte alles nebst seiner Praxis. Es gab etwa eine Woche lang zu tun.» Für die Vorschau habe er einen sorgfältig recherchierten Text vorbereitet. Doch den Artikel geschrieben habe Johanna Martzys Ehemann als Verleger schliesslich selbst.

«Die Blumen für die Bühne suchten wir nach den lieblichen Farben des Kleides der Geigerin im Vorfeld aus. Auch gab mein Mann neue Billette in Auftrag, da man die bisherigen, die für Sitzblöcke statt Reihen definiert waren, für die neue Aula nicht mehr brauchen konnte», fährt Iris Jaumann fort. «Sie wurden von der Papeterie Freuler, die auch den Vorverkauf besorgte, in speziellen Schachteln angeliefert.»

Auf der Bühne lag noch Staub

Die Aula war laut Iris Jaumann gerade fertig eingerichtet. «Wir mussten noch den Baustaub von der Bühne wischen. In der Künstlergarderobe stellten wir Wasser bereit. Und da Johanna Martzy es warm haben sollte, holte Ruedi sie im vorgeheizten Peugeot ab, unserem Familienauto.» In der Aula habe es zwar eine professionelle Beleuchtung gegeben, «aber wie die Heizung funktionierte, wusste niemand. Es wurde dann im Verlauf des Konzerts schon arg kalt.»

Dennoch wurde der Abend mit einem üppigen Programm monumentaler Werke ein voller Erfolg. Beim anschliessenden Höck in der «Waage» sei die Geigerin in bester Stimmung gewesen. «Für mich ist ein Bild unvergesslich: wie Johanna Martzy lachend nach der Feier ins Auto steigt, diesmal aber in den kalten VW, welcher der Praxis gehörte. Die Kälte machte ihr aber offenbar nichts aus.»

Es sollte ihr letztes grosses Konzert in Glarus gewesen sein. 1979 starb sie im Alter von nur 54 Jahren – ein Jahr nach dem tragischen Tod ihres Ehemannes, der beim Überqueren eines Fussgängerstreifens in Näfels verunglückt war. Martzys Andenken widmeten die «Glarner Nachrichten» am Tag nach ihrem Tod einen Frontartikel mit Bild. Und 1999 – sehr zur Freude Iris Jaumanns – tauchte die Geigerin nochmals in der Zeitung auf: Neu erschienen war eine posthum gemasterte CD mit von ihr gespielten Radiokonzerten der 1960er-Jahre.

Mittlerweile erzielen die seltenen, noch erhaltenen Vinyl-Schallplatten mit Martzys Aufnahmen hohe Liebhaberpreise. Trotz ihres weltweiten Ruhms erhielt sie zu Lebzeiten erstaunlich wenige Anfragen von Musikproduzenten. Dabei sollen ihr unverwechselbares Timbre und ihre hohe, intuitive Musikalität nebst der erstklassigen Technik einzigartig gewesen sein, so das Booklet der besagten CD.

Die Jubiläums-Serie 
Am 25. September 1920 gründeten vier musikbegeisterte Glarner die Musikgesellschaft Glarus; 
die spätere Glarner Konzert- und Vortragsgesellschaft, ab 1976 Glarus Konzert- und Theatergesellschaft und seit 2014 
Kulturgesellschaft Glarus. In einer mehrteiligen Serie erzählen Zeitzeuginnen und -zeugen sowie Nachfahren der Gründer von Stürmen und Sternstunden auf und hinter der Bühne. (swj)

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