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Fridolinstag ist Glarnern heilig – bis 1973

Der Public Newsroom des Kantons Glarus veröffentlicht anlässlich der abgesagten Landsgemeinde Beiträge zu vergangenen Landsgemeinde-Themen. Heute: Wie der Landrat 1912 die Anzahl gesetzlicher Feiertage senken wollte.

Südostschweiz
27.09.20 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Der kantonale Handels- und Industrieverein stellte 1912 den Memorialsantrag, die Anzahl der staatlich anerkannten Feiertage zu reduzieren.
Der kantonale Handels- und Industrieverein stellte 1912 den Memorialsantrag, die Anzahl der staatlich anerkannten Feiertage zu reduzieren.
SYMBOLBILD/ARCHIV

von André Maerz

Der kantonale Handels- und Industrieverein stellte 1912 den Memorialsantrag, die Anzahl der staatlich anerkannten Feiertage zu reduzieren. Im Einklang mit dem Bundesgesetz wären acht Feiertage opportun, im Glarnerland gab es jedoch einige mehr für Protestanten und noch mehr für Katholiken.

Um dies zu kompensieren und zu legitimieren, durften Katholiken an gewissen Nachfeiertagen arbeiten, statt – natürlich ohne Entlöhnung – frei zu haben.

Etwas unübersichtlich war die rechtliche Lage, weil 1912 für Katholiken und Protestanten unterschiedliche Gesetzesregelungen bestanden: An den «Nachheiligtagen» des Oster-, Pfingst- und Weihnachtsfestes durften Katholiken arbeiten, was aber – so das Memorial – illusorisch sei, weil «fast alle grösseren Industriellen in unserem Kanton Protestanten sind, in deren Betrieben an den fraglichen Tagen sowieso nicht gearbeitet» werde.

Der Umstand, dass der Anteil der katholischen Arbeiterschaft zunehme, weil in der Textilindustrie zunehmend Arbeitskräfte aus dem katholischen Ausland (Italien, Bulgarien, Rumänien, Böhmen) rekrutiert würden, ändere auch nichts daran, zumal das technische, das kaufmännische und das Aufsichtspersonal in erster Linie protestantisch sei und an den fraglichen Tagen nicht arbeite und deshalb die Katholiken auch nicht zur Arbeit gehen könnten.

Keine drei Festtage hintereinander

Weil der Landrat «einen weiteren Entzug des staatlichen Schutzes für katholische Festtage und damit eine Art Kulturkampf vermeiden» wollte, schlug er die Streichung des St. Fridolinstages als Feiertag vor sowie eine Sonderregelung für Weihnachten. Diese sollte verhindern, dass drei Festtage aufeinanderfolgten, wenn Weihnachten auf einen Freitag oder einen Montag falle.

Der Landrat im Memorial zu drei Festtagen in Folge: «Dies ist nun allerdings des Guten doch zu viel, speziell wenn man die verschiedenartigen finanziellen Konsequenzen für alle Schichten des Volkes in Betracht zieht. Es ist eben durch diese ungewohnte Reihe von Festtagen für den Grossteil der Arbeiter nicht nur ein bedeutender Lohnausfall verbunden, sondern die Art der Benützung dieser drei aufeinander folgenden Festtage bringt vielen Familien aussergewöhnlich grosse Extraspesen. Zudem fällt diese Festzeit mitten in den Winter. Wir glauben, dass ein grosser Teil der soliden Arbeiterbevölkerung so vieler Festtage nacheinander mehr als satt wird.»

Und wie sieht es heute mit den Feiertagen aus?

Obwohl die Feiertage nicht bezahlt wurden, hatte die Landsgemeinde diese Feiertage gar nicht satt: Die Anträge des Landrats wurden gemäss Landsgemeindeprotokoll von zwei Rednern mit der Begründung bekämpft, dass die soziale Gesetzgebung eher im Sinne einer Entlastung als im Sinne einer Mehrbelastung des Industriearbeiters auszubauen sei.

Die Landsgemeinde lehnte darauf mit einer erdrückenden Mehrheit diesen Antrag des Landrats ab.

In den heutigen Feiertagsregeln im Kanton Glarus gibt es keine konfessionellen Unterschiede mehr. 1919 wurde das «Gesetz über die öffentlichen Ruhetage und den Ladenschluss» erlassen und in der Folge bis 1973 nicht weniger als achtmal angepasst, was es – so das Memorial – zu einem «Flickwerk» machte.

Deshalb wurden 1973 neu zwei verschiedene Gesetze in Kraft gesetzt, eines zu den Feiertagen und eines zum Ladenschluss. Bei den Feiertagen wurde eine konfessionell einheitliche und bundesgesetzmässige Lösung eingeführt; der St. Fridolinstag wurde zugunsten von Allerheiligen als Feiertag abgeschafft.

Mit dem Tanzverbot geht es indirekt auch um Feiertage

Im letzten Jahr befasste sich die Landsgemeinde indirekt erneut mit den Feiertagen: Ein Memorialsantrag verlangte im Ruhetagsgesetz die Streichung des sogenannten Tanzverbotes. Veranstaltungen des Unterhaltungsgewerbes und Sportveranstaltungen sollten dadurch auch an hohen Feiertagen ermöglicht werden.

Von der Landsgemeinde angenommen wurde ein Gegenvorschlag der Glarner Regierung als Kompromiss, wonach an hohen Feiertagen nicht nur Kino- und Theatervorstellungen in geschlossenen Räumen gestattet, sondern unter der gleichen Bedingung neu auch Tanz-, Musik- und Messeveranstaltungen sowie Sportveranstaltungen mit Festwirtschaften erlaubt sind – soweit sie die Ruhe nicht stören.

«Wir sind Landsgemeinde»
Der Public Newsroom gl.ch des Kantons Glarus blickt in loser Reihenfolge zurück auf bemerkenswerte Entscheide der Glarner Landsgemeinde. Diese Serie entstand in Zusammenarbeit mit alt Ratssekretär und Fahrtsbrief-Verleser Josef Schwitter aus Näfels. Die Texte von Roland Wermelinger und André Maerz lehnen sich an das jeweilige Landsgemeinde-Memorial und an die Landsgemeinde-Protokolle an. (red)

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