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«Unkorrekt gesagt die negative Folge der Emanzipation»

Immer mehr Schweizerinnen erkranken laut einer gestern vorgelegten Statistik an Lungenkrebs. Lungenliga-Präsident Rolf Streuli sagt, zu dieser Entwicklung habe auch die Emanzipation beigetragen.

Südostschweiz
08.02.11 - 01:00 Uhr

Von Moritz Kaufmann

Bern. – Die neusten Daten aus dem Bundesamt für Statistik (BFS) lassen aufhorchen: In den letzten zwölf Jahren ist die Zahl der Lungenkrebserkrankungen bei Frauen um 16 Prozent gestiegen; seit den frühen Achtzigerjahren hat sie sich sogar verdoppelt. Zwar erkranken in absoluten Zahlen immer noch mehr Männer als Frauen an Lungenkrebs. Nach wie vor ist es bei Männern auch die höchste Krebstodesursache, während Lungenkrebs bei den Frauen nach Brustkrebs auf Rang 2 liegt (siehe Grafik).

Trendumkehr bei den Männern

Dennoch hat bei den Männern eine Trendwende stattgefunden – laut BFS sank die Zahl der Lungenkrebsfälle. Bei den Frauen steigt hingegen die Zahl der Neuerkrankungen stetig. Diese Entwicklung ist deshalb so gravierend, weil rund 85 Prozent der Menschen, bei denen Lungenkrebs auftritt, auch daran sterben. In der Schweiz sind das insgesamt rund 2900 Todesfälle pro Jahr.Gravierend sind diese Zahlen auch, weil sie gar nicht nötig wären. Lungenkrebs gilt als die einzige «vermeidbare» Krebsform, da fast alle Erkrankungen auf den Konsum von Tabak zurückzuführen sind. Thomas Cerny, ehemaliger Präsident der Krebsliga Schweiz, sagt denn auch klar, dass andere Länder bei der Tabakprävention für Frauen mehr erreicht hätten als die Schweiz. «Die Frauen sind durchaus empfänglich für Prävention», sagt er und nennt als Beispiel England oder die skandinavischen Staaten. Dort seien insbesondere die Zigarettenpreise höher als hierzulande. Tatsächlich zeigt der europäische Vergleich, dass bei den Schweizer Frauen am viertmeisten Neuerkrankungen gezählt werden, während die Schweizer Männer in derselben Statistik auf Rang 12 zu finden sind. In einer Ostschweizer Studie habe man auch festgestellt, dass Frauen grundsätzlich anfälliger auf Tabakrauch seien als Männer, sagt Cerny. Er sagt: «In der Schweiz werden wir in den kommenden 20 Jahren noch viele vermeidbare Todesfälle infolge von Lungenkrebs haben.»

«Verbote sind nötig»

Dass die Schweiz in Sachen Tabakprävention hinterherhinkt, findet auch Rolf Streuli, Präsident der Lungenliga Schweiz. Er verweist insbesondere auf die USA, wo restriktive Massnahmen wie Rauchverbote schon vor 25 Jahren eingeführt wurden. In der Schweiz seien Verbote wegen der liberalen Staatsauffassung nicht gerne gesehen. Doch: «Beim Rauchen sind Verbote nötig.»Den Grund für die Zunahme von Lungenkrebs bei Frauen sieht Streuli in der gesellschaftlichen Entwicklung. Während es sich früher für Frauen nicht gehört habe zu rauchen, sei die Zigarette im Zuge der Emanzipation zum Symbol für Unabhängigkeit, Abenteuerlust und Erfolg geworden. «Politisch unkorrekt ausgedrückt sind die heutigen Zahlen eine negative Entwicklung der Emanzipation.»

Raucherzahlen sinken

Heute würden viele junge Frauen schon mit 14 oder 15 Jahren mit dem Rauchen anfangen, sagt Streuli. «Warum die Prävention bei den Frauen nicht greift, ist eine schwierige Frage.» Es sei auch schwierig, Prävention nur für Frauen zu betreiben. Jedoch sei man auch in der Schweiz auf dem richtigen Weg: «Wir konnten die Raucherquote schon von 36 auf 27 Prozent senken. In zehn Jahren sind wir vielleicht bei 15 Prozent.» Das Ziel müsse sein, dass «Rauchen in Zukunft sozial nicht mehr akzeptiert wird».

Bern. – Erstmals legte das Bundesamt für Statistik (BFS) gestern eine Übersicht zur Zahl der Krebserkrankungen von 1983 bis 2007 vor. Demnach erkranken in der Schweiz jährlich mehr als 35 000 Menschen an Krebs, und über 16 000 sterben daran. Krebs ist damit die zweithäufigste Todesursache. Am meisten verbreitet sind Lungen- und Dickdarmkrebs, dazu kommen Brustkrebs bei den Frauen und Prostatakrebs bei den Männern. Die Zahl der Neuerkrankungen dürfte noch höher sein, weil heute nicht alle Kantone ein Krebsregister führen. Der Bundesrat hat aber unlängst beschlossen, dass Krebsfälle landesweit registriert werden sollen.Neben dem Lungenkrebs bei Frauen (siehe oben) nahm etwa auch die Zahl der Erkrankungen an Schilddrüsen- und Hautkrebs stark zu. Teilweise ist diese Tendenz laut BFS auf bessere Früherkennungsmethoden zurückzuführen. Das zeigt der Brustkrebs. So ist die die Wahrscheinlichkeit, daran zu erkranken, in der lateinischen Schweiz höher. In der Westschweiz seien aber auch Programme zur Früherkennung etabliert, während in der Deutschschweiz Handlungsbedarf bestehe, sagt Rolf Marti, Leiter Forschungsförderung der Krebsliga. Dank des technischen Fortschritts sinkt die Sterblichkeit bei vielen Krebsarten – bei Hodenkrebs etwa um einen Drittel.Im Vergleich mit dem europäischen Ausland liegt die Schweiz beim Auftreten neuer Krebserkrankungen im oberen Mittelfeld. Überdurchschnittlich häufig seien Brust-, Prostata- und Hautkrebs. Die Ursachen sind umstritten. «Der Grund für die vielen Hautkrebsfälle in der Schweiz liegt darin, dass wir ein ausgeprägtes Outdoorland sind», sagt Thomas Cerny, Chefarzt am Kantonsspital St. Gallen. Laut BFS sind die Unterschiede aber schwierig zu erklären, weil entsprechende Studien fehlen, und die Daten mancher Länder ungenügend sind. Klar ist: Die Überlebensrate von Krebskranken in der Schweiz ist laut BFS dank des Gesundheitssystems deutlich höher als in anderen europäischen Ländern. (tga)

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