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Die meisten neuen Wohnungen sind nicht behindertengerecht

Alle sind sich gewohnt, das Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Auch zu wohnen, wo und wie es gefällt. Für ältere Menschen oder Menschen mit einer Behinderung ist es jedoch nicht immer leicht, eine passende Bleibe zu finden.

Wohnen
Südostschweiz
17.07.17 - 09:28 Uhr
Wohnen
Die meisten neuen Wohnungen sind nicht behindertengerecht
Bild Archiv SO

Urs Mugwyler / Bauberater bei der Fachstelle Hindernisfreies Bauen

Weil entsprechende gesetzliche Grundlagen fehlen, werden viele Wohnungen und Zugänge zu Gebäuden nicht hindernisfrei gebaut. Dabei gäbe es viele Verbesserungsmöglichkeiten – ohne Mehrkosten für die Bauherren.

Wenn behinderte und ältere Menschen eine geeignete Wohnung suchen, ist die Situation oftmals sehr schwierig. Es gibt in Graubünden nur wenige Wohnungen auf dem Markt, die der Norm für hindernisfreies Bauen entsprechen oder mit kleinem baulichem Aufwand angepasst werden könnten.
Während heutzutage der hindernisfreie Zugang bei neu erstellten, grösseren Mehrfamilienhäusern gewährleistet ist, scheitert es dann vielfach an den Wohnungen selbst. Küchen und Badezimmer sind oft so eingeteilt, dass sie für Rollstuhlfahrer oder ältere Menschen mit Gehbehinderungen und Rollatoren kaum oder nur sehr schlecht nutzbar sind. Hohe Schwellen zu den Balkonen und Terrassen verhindern zudem häufig eine problemlose Nutzung – und bilden darum ein grosses Gefahrenpotenzial für Stürze.
In Graubünden kann man nicht davon ausgehen, dass eine neue Wohnung hindernisfrei nutzbar ist, im Gegenteil. Es fehlt ein einheitlicher Standard, der ein Minimum an Wohnungen oder eine normgerechte Einteilung einzelner Wohnungen definieren würde.

Wohnungsbau – fehlende Gesetze
Der Einwand, dass sich mit Neubauten respektive der Erneuerung von bestehendem Wohnraum die Situation verbessern wird, stimmt leider nicht. Der Bund delegierte bei der Einführung des Behindertengleichstellungsgesetzes 2002 die detaillierte Umsetzung für Wohnbauten an die Kantone.
Der Kanton Graubünden setzte diesen Auftrag jedoch nur äusserst minimal um d. h. es wurden lediglich die Grundlagen des Bundes wiederholt. Diese sind im Art. 80 des Kantonalen Raumplanungsgesetzes (KRG) zusammengefasst. Seit gut 13 Jahren wartet der Kanton Graubünden also auf eine weiterführende Gesetzgebung – und überlasst es den Gemeinden, entsprechende Regelungen vorzugeben. Es gibt deshalb immer noch kein Gesetz, welches Bauherren verpflichten würde, auch nur eine einzelne Wohnung in einer Überbauung behindertengerecht zu erstellen.

Hindernisfreier Zugang nicht garantiert
Gemäss des schon erwähnten Art. 80 KRG greift das geltende Gesetz erst bei Wohnbauten mit mehr als acht Wohneinheiten im gleichen Gebäude. Bei diesen Bauten ist lediglich der Zugang bis zur Haustüre hindernisfrei zu erstellen, nicht aber die Wohnungen selbst. Wegen fehlender kantonaler Gesetzgebung können darum je nach Art und Weise Überbauungen erstellt werden, ohne dass auch nur eine einzige Wohnung den Anforderungen an hindernisfreies Bauen genügt. Aktuell werden jedoch im Kanton verschiedene Mehrfamilienhäusern mit weniger als acht Wohneinheitenerstellt. Bei diesen muss nicht einmal der Zugang normgerecht erstellt werden (geschweige denn die Wohnungen selbst). Dies geschieht, ohne gegen irgendein Gesetz zu verstossen.

Problemsituationen auf dem Lande
Ausserhalb der Zentren werden generell weniger Mehrfamilienhäuser mit mehr als acht Wohnungen erstellt. Wenn keine gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden müssen, das zeigt die Erfahrung, ist nicht einmal der hindernisfreie Zugang zur Wohnung garantiert.
Dies führt zur problematischen Situation, dass in ländlichen Gebieten kaum Wohnungen erstellt werden, welche dem hindernisfreien Bauen entsprechen. Um geeignete Wohnungen zu finden, sehen sich betroffene Menschen unter Umständen gezwungen, ihr Dorf und ihre bekannte Umgebung verlassen zu müssen.

Verbesserungen ohne Mehrkosten
Neben Menschen mit körperlichen Behinderungen sind insbesondere ältere Menschen von dieser ungenügenden Regelung betroffen. Folge davon ist ein höherer Bedarf an Altersheimen und Alterswohnungen, welche ihrerseits von der öffentlichen Hand finanziert werden.
Andere Kantone, aber auch Gemeinden wie Domat/Ems, Bonaduz oder Rhäzüns, kennen deshalb weitergehende
Regelungen, welche auch bei Mehrfamilienhäusern mit weniger Einheiten eine minimale Hindernisfreiheit und Nutzbarkeit der Wohnungen vorschreiben.
Hindernisfreies Bauen bedeutet, nachhaltiges Bauen mit einer langfristigeren Sicherung der Investition. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, um die Situation rasch und unkompliziert zu verbessern, ohne dass für Bauherren Mehrkosten anfallen.

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