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Abenteuerliche Reisen und Erfindergeist

In den Tälern des Glarnerlands befinden sich zahlreiche Orte, die vom Pioniergeist der Glarner erzählen – von grossen Erfolgen, Rückschlägen und Niedergängen. Die «Glarner Nachrichten» nehmen Sie mit auf die Spuren einer faszinierenden Industriekultur.

Südostschweiz
16.10.19 - 04:30 Uhr
Wirtschaft
 In einer leeren Halle im Electrolux-Areal hat sich der Ski- und Snowboardhersteller Kessler eingemietet.
In einer leeren Halle im Electrolux-Areal hat sich der Ski- und Snowboardhersteller Kessler eingemietet.
SASI SUBRAMANIAM

Auf der Halbinsel zwischen den beiden Flussläufen Linth und Sernf in Schwanden siedelte sich 1828 eine Firma an, durch die das Glarnerland Teil des «Wirtschaftswunders» wurde. Denn die aus dem Glarnerland stammenden Besitzer der seit 1788 in der italienischen Hafenstadt Ancona ansässige Handelsfirma P. Blumer & Jenny, eröffneten im Areal «Mühle» in Schwanden eine Textildruckerei.

Innert weniger als einem Jahr errichteten sie 30 Gebäude. Produziert wurden hauptsächlich bunte Baumwollschals mit Wollfransen. Die Einführung der technisch aufwendigen Färbeverfahren für Türkischrot und Indigoblau erlaubte die Herstellung von Fernost-Tüchern wie zum Beispiel Sarongs mit Batikmusterung.

Papst tauft «Helvetia»

Auf einer beschwerlichen Geschäftsreise nach Indien und Indonesien erschloss der junge Schwandner Conrad Blumer 1841 neue Märkte im Fernen Osten. Handelshäuser in Bukarest, Smyrna und Manila wurden gegründet. «Das Stammhaus in Ancona besass mittlerweile eine Flotte von fünf grossen Segelschiffen.» Papst Pius IX. höchstpersönlich nahm 1858 an der Taufe des Schiffes mit Namen «Helvetia» teil.

Durch die Erfindung des mechanischen Walzendrucks gab es auch in Schwanden eine Erweiterung des Betriebs. Dadurch konnten bis sechsfarbige Tücher in grossen Auflagen günstig produziert werden. Darunter auch die klassischen Bauern-Taschentücher, die bis heute als «Glarner Tüechli» bekannt sind.

Ende des 19. Jahrhunderts geriet die Glarner Druckindustrie in Schwierigkeiten. Zwar musste das Stammhaus in Ancona aufgegeben werden. Der Betrieb konnte jedoch während der beiden Weltkriege mit einer Belegschaft von rund 200 Personen weitergeführt werden. Erst der wirtschaftliche Zusammenbruch in wichtigen Exportgebieten zwang die Firma 1980 zur Produktionseinstellung. 2011 folgte der Umzug nach Niederurnen, wo bis heute Kreation und Verkauf von Schals, die bei Lohndruckfirmen produziert werden, betrieben wird.

Eng mit dem Glarnerland verbunden ist der Electrolux-Konzern. Denn die Erfindungen des Glarners Samuel Blumer aus Schwanden trugen massgeblich zum Erfolg der Firmengeschichte bei. «Schon als Jugendlicher war Blumer fasziniert von den damals aufkommenden Möglichkeiten der Elektrotechnik. Er baute Klingel- und Dynamoanlagen und schaffte sich alle möglichen elektrischen Apparate an, um sie auseinanderzunehmen und nachzubauen», erfährt man auf der Infotafel 9.4 des Glarner Industriewegs. «Schliesslich gelang ihm die Entwicklung eines Produkts, das ihn mit 25 Jahren weit über die Schweiz hinaus bekannt machte: das elektrische Bügeleisen.»

Weil die Nachfrage schnell sehr gross wurde, stellte Blumer einige Arbeiter ein. 1907 wurde sein Kleinbetrieb dann mithilfe von Investoren in die Thema AG umgewandelt und startete die Produktion mit 17 Arbeitskräften. Weitere erfolgreiche Entwicklungen wie Nutenkochplatten und Wandspeicherboiler brachten den Durchbruch für das elektrische Kochen und die Firma. «Seit 1927 lieferte die Therma AG als erste Spezialfirma Grossküchen für Hotels, Restaurants und Spitäler», erfährt man auf der Tafel.

Produktion wird zu teuer

In der Schweiz hatte die Glarner Firma eine Monopolstellung. Und ihre Produkte verkauften sich auch im Ausland gut. Im Zweiten Weltkrieg führte die Gasrationierung dann zu einem Boom der elektrischen Therma-Fabrikate, wodurch in Schwanden bald über 1000 Mitarbeiter arbeiteten.

Nach schweren wirtschaftlichen Zeiten wurde die Therma AG 1978 von der schwedischen Firma Electrolux gekauft, die Herstellung von Kühlschränken und Küchen aufgegeben. 2003 erfolgte die Umbenennung in die Electrolux Schwanden AG. 2008 waren noch 300 Mitarbeiter am Standort Schwanden tätig.

Weil die in Schwanden hergestellten Produkte «zu teuer und nicht mehr konkurrenzfähig» geworden seien, baute die Firma 2013 80 von damals noch 230 Arbeitsstellen ab. Die restlichen Mitarbeiter konnten bleiben, bis 2015 das Werk in Schwanden geschlossen und das Areal verkauft wurden. Heute wird in Schwanden aber weiter an der Industriegeschichte geschrieben: Im Areal hat sich unter anderem der Ski- und Snowboardbauer Kessler eingemietet, der dort die weltweit gefragten Produkte in Handarbeit herstellt. (leo)

Das gibt es noch entlang der Strecke zu sehen
In Schwanden gibt es neben den ehemaligen Gebäuden der Textildruckerei F. Blumer & Cie sowie dem einstigen Electrolux-Werk noch weitere spannende Zeugen der Glarner Industriegeschichte. Der Glarner Industrieweg führt auch entlang des Industriegebiets «Tschachen», welches im Laufe der Zeit diversen Unternehmern und ihren Mitarbeitern ein Zuhause bot. Heute wird ein grosser Teil des Areals von der Kunststoff Schwanden AG genutzt. Ausserdem von der Schätti AG Metallwarenfabrik. Ebenfalls in Schwanden ist die heute einzige Brauerei im Glarnerland anzutreffen, die Brauerei Adler AG. Beide Firmen bieten Besichtigungen an. (leo)

50 Kilometer Industriekultur
Der Glarner Industrieweg führt über insgesamt 50 Kilometer von Linthal und Elm bis nach Ziegelbrücke Er eignet sich gleichermassen für Velofahrer und Wanderer und kann am Stück oder in Teilen erkundet werden. Unterwegs wird die Industriegeschichte des Glarnerlandes lebendig.
Bei rund 50 besonders bedeutenden und typischen Anlagen sind Objekttafeln aufgestellt. Sie beschreiben in Text und Bild historische, bauliche, technische oder soziale Aspekte. Einige davon stellen die «Glarner Nachrichten» in einer siebenteiligen Serie näher vor. Heute stellt der 3. Teil die Industrie in Schwanden vor. (leo)

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