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Oberster Kartelljäger tritt ab und äussert sich zum Bündner Bauskandal

Rafael Corazza tritt Ende Monat als Direktor der Wettbewerbskommission ab. Im Interview spricht er über den Bündner Bauskandal, Anfeindungen aus der Wirtschaft und eine neue Waffe gegen Absprachen.

Südostschweiz
27.07.18 - 04:30 Uhr
Wirtschaft
«Die Weko könnte mehr Ressourcen brauchen»: Rafael Corazza gibt  sein Amt als Weko-Direktor nach zwölf Jahren ab.
«Die Weko könnte mehr Ressourcen brauchen»: Rafael Corazza gibt sein Amt als Weko-Direktor nach zwölf Jahren ab.
KEYSTONE

Mit Rafael Corazza sprach Michael Burtscher

Er war über Jahre der oberste Kartelljäger der Schweiz: Rafael Corazza. Der 67-Jährige macht als Direktor der Wettbewerbskommission (Weko) nun Platz für seinen bisherigen Stellvertreter Patrik Ducrey. Von 1987 bis 2006 war Corazza Geschäftsführer und Stellvertreter des Preisüberwachers. Mitte 2006 ernannte ihn der Bundesrat dann zum Weko-Direktor.

Herr Corazza, als Weko-Direktor waren Sie nicht überall ein beliebter Mann. Wenn Unternehmen mit Ihnen zu tun hatten, konnte es für diese sehr teuer werden. Wie oft wurden Sie während Ihrer zwölf Amtsjahre beleidigt und bedroht?

Grundsätzlich muss ich betonen, dass der Umgang mit den betroffenen Unternehmen meistens professionell war. Das liegt auch daran, dass wir vor allem mit ihren Anwältinnen und Anwälten zu tun hatten. Doch vereinzelt gab es tatsächlich Anfeindungen und persönliche Beleidigungen, einige wenige Male sogar Drohungen. Glücklicherweise war das aber nicht der Alltag.

Wegen der Untersuchung zu den illegalen Preisabsprachen im Bündner Baugewerbe attackierte «Südostschweiz»-Verleger Hanspeter Lebrument die Weko scharf. Sie sei eine «traurige Institution», die den Bündner Wahlkampf «aufs Schwerste gestört und beschädigt» habe.

Die Aussagen von Herrn Lebrument kann ich absolut nicht nachvollziehen. Es stimmt: Wir haben unseren Entscheid zu diesem Fall rund sechs Wochen vor den Wahlen im Kanton Graubünden vom Juni bekannt gegeben. Doch es ist vollkommen ausgeschlossen, dass die Weko bei ihrer Arbeit auf solche Umstände Rücksicht nimmt. Wenn ein Verfahren so weit ist, dann wird der Entscheid gefällt und so schnell wie möglich veröffentlicht. So haben wir es dieses Mal gemacht, und so haben wir es auch in allen anderen Fällen gehandhabt.

Die Weko kam zum Schluss, dass Bündner Bauunternehmen in verschiedenen Kartellen über Jahre systematisch mehrere Hundert Ausschreibungen im Hoch- und Tiefbau abgesprochen hatten. Waren Sie überrascht darüber?

Leider nein. Dass im Baugewerbe Preisabsprachen auch heute immer noch vorkommen, ist ein trauriger Fakt. Die Geschehnisse in Graubünden reihen sich ein in eine lange Liste von Fällen, die wir in den letzten Jahren untersucht haben. So konnte die Weko Baukartelle in den Kantonen Aargau, Zürich, St. Gallen und Tessin aufdecken.

Trotzdem: Der Bündner Fall war speziell.

Das stimmt. Was die Komplexität und die Masse der Absprachen angeht, war er sicherlich besonders. Seit ich bei der Weko bin, wurde zudem in den Medien noch nie so intensiv über einen Fall berichtet wie dieses Mal.

War das gut oder schlecht?

Für die Prävention ist das kein Nachteil. Aber die grosse mediale Berichterstattung war nicht uns zuzuschreiben.

Ist das Baugewerbe denn besonders anfällig für Absprachen?

Ja, wahrscheinlich liesse sich das international statistisch nachweisen. Insbesondere der Strassenbau dürfte davon betroffen sein.

Woran liegt das?

Die Märkte sind lokal, man kennt sich und arbeitet auch immer wieder zusammen. Vielfach hat man gemeinsame Einrichtungen wie Mischgutwerke. Das alles erleichtert Abreden.

Den Bündner Bauskandal hatte ein Whistleblower ins Rollen gebracht. Wie wichtig sind diese für die Arbeit der Weko?

Whistleblower sind eine gute Quelle, weil sie normalerweise Insider-Wissen haben. Trotzdem müssen wir die Informationen immer sorgfältig überprüfen. Das Motiv des Whistleblowers interessiert uns dabei nicht. Ob jemand der Schweizer Volkswirtschaft einen Dienst erweisen will oder einfach Streit hatte mit seinem Chef, ist egal. Uns interessiert, ob die Vorwürfe stimmen oder nicht.

Die Bündner Baufirmen bestrafte die Weko mit insgesamt rund 7,5 Millionen Franken. Das Geld aus solchen Bussen fliesst immer in die Bundeskasse, die Geschädigten sehen nichts davon. Das ist doch nicht fair!

So stimmt das nicht ganz. Die Opfer des Kartells können zwar grundsätzlich Schadenersatz einfordern, was aber zugegebenermassen sehr aufwendig ist. Immerhin gelingt dies mit einem rechtskräftigen Weko-Entscheid besser. Die EU hat Gesetzesänderungen erwirkt und Massnahmen getroffen, um es für die Opfer einfacher zu machen. In der Schweiz sind wir aber noch nicht so weit. Die Weko hat schon einmal versucht, ein Unternehmen dazu zu bringen, die Opfer des Kartells finanziell zu entschädigen. Wir haben angeboten, dies bei der Sanktionierung zu berücksichtigen. Das wollte die Firma aber nicht, weil die Verantwortlichen befürchteten, dass man dies als Schuldeingeständnis werten könnte.

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