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Brücken bauen, lächeln und recht haben

Christian Menn, der weltberühmte Ingenieur aus Chur, ist gestorben. Ein sehr persönlicher Nachruf von Architekturkritiker Köbi Gantenbein.

Südostschweiz
21.07.18 - 04:30 Uhr
Stars & Sternli

Nachruf von Köbi Gantenbein

Meine nächste Mennbrücke führt über den Rhein bei Bad Ragaz. Sie schwingt für die Autobahn einen eleganten Bogen über den Fluss. Sie ist nicht für mich gedacht und gemacht, weil ich ja nicht Auto fahren kann. Und dennoch ist sie viel mehr für mich als für die Automobilistin- nen. Ich sehe sie als Teil der Land- schaft, als perfekt proportionierten Schwungtrog über den Rhein, als Plastik, schmal auf der einen Seite, sich verbreiternd gegen die Mitte und schmal auf der andern Seite wieder. Scheinbar. Und in allen Stufen der Farbe Grau schimmert der langsam verwitternde Beton zauberhaft. Die Autofahrer aber haben gar keine Zeit zum Schauen – schwuppdiwupp sind sie schon hinweggestoben. Ich weiss, dass ich zum Werk eines grossen Ingenieurs nicht so schreiben darf, weil der Zweck, die Ökonomie und die Brauchbarkeit ihm ja heilige Aufgaben sind. Das waren sie auch für Christian Menn. Aber wenn am Morgen ein Nebelchen vom Wasser her-auf über die Brüstung dieser Rheinbrücke kriecht, tut es mir wohl, einen betonierten Zweck zum zwecklos Schönen umzudeuten. Dafür hatte der Ingenieur aus Chur Sinn, und daran hatte er Freude.

Christian Menn ist am Montag mit 91 Jahren gestorben. Ich besuchte den alten Mann hin und wieder in seinem Haus am Plantaweg. Wir sassen in der Stube mit grossartigem Stadt- und Bergblick und berichteten, «was nicht gut ist und unbedingt anders werden muss». Zum Beispiel am Gotthard, wo wir beide den Bau der zweiten Röhre bekämpften. Der Ingenieur, weil er das Projekt schlecht, ökonomisch verwegen und fantasielos fand. Ich, weil jeder Ausbau von Strassen nur mehr Verkehr stifte. Das war mein Funken für einen köstlichen Streit. Probleme wollte er technisch lösen, einfach besser als die Wenigkönner. Dass ich sie gesellschaftlich lösen wollte, war ihm suspekt. In früheren Jahren hat er mir deshalb die Türe gewiesen und seine Briefe vom «Du» aufs «Sie» gewechselt. Im Alter hatte er einen Hauch Milde – die Art, wie Bundesrätin Leuthard und die Ihren die zweite Röhre durchgeboxt haben, gab ihm zu denken und hat ihn auch persönlich beleidigt, denn er schätzte es nicht, wenn man nicht auf Professor Menn hörte. Mich hat sein Selbstverständnis fasziniert. Er war neben Monica Brügger, Robert Obrist, Thomas Domenig, Andres Liesch, Max Kasper und seinem Architektenbruder Hans-peter einer aus der Generation der Moderne im Kanton Graubünden, die bis zur Sturheit wussten, was richtig und falsch ist und das dann auch oft auch durchsetzen konnten.

Das Werk von Christian Menn – die Brücken – ist weltberühmt. Er pflegte ihr Bild und sein Ansehen gut, er engagierte sich zum Beispiel mit grossem persönlichem und finanziellem Einsatz für das Buch «Christian Menn. Brücken, Bridges», erschienen vor drei Jahren im Verlag Scheidegger & Spiess. Ponte Nanin, Ganter-, Sunniberg- und Viamalabrücke und fast alle 70 weiteren Brücken, die Menn entworfen hat und dann grad noch einmal so viele, bei denen er wesentlich beteiligt war, sind hier versammelt, geprägt von eindrücklichen Bildern des Fotografen Ralph Feiner. Christian Menn hatte grosse Freude an diesen Bildern, er fühlte sich vom wachen Auge des Fotografen gut verstanden, auch wenn er ihm ab und zu das Leben schwer machte, «weil der es wieder einmal nicht begriffen hat». Ans Herz gewachsen war ihm die Letziwald-Brücke im Avers, wo er in einem seiner ersten Projekte schon seine Essenz gut geraten sah: «Bau und Landschaft sind zu verknüpfen. Das will ich. Das kann ich.» Stolz war er auf sein ganzes Werk, besonders auf die Sunniberg-Brücke, wo er statische Prinzipien, über die er lange nachgedacht hatte, realisieren konnte. Er hoffte auch, die Brücke am Grimselsee, weit hinter Meiringen, wo er 1927 zur Welt gekommen war, noch gebaut zu sehen. An einem Punkt nur wollte er den so zierlich scheinenden, aber natürlich viele Tonnen Beton schweren Bau aufhängen. Als ich ihm sagte, dass diese Brücke nur nötig würde, weil ein Stausee ein Stück zauberhafter Berglandschaft zerstöre, die wir beide doch liebten, hob er seine Augenbrauen und hielt mir eine Standpauke, dass ich «grundsätzlich nichts verstanden» hätte.

Christian Menn war ein Ingenieur, welcher die Schönheit suchte und kannte. Das Herumrechten über «schön», «nicht schön» und «warum schön» langweilte ihn – er hatte ein Gschpüri, dem er voll und ganz vertraute. Dieses band er an das Bauwerk selber und an die Landschaft, in die er es stellte. Und wenn ich ihm sagte, dass er ein Ingenieur sei, der die Landschaft bereichere, kniff er seine Augen zusammen, liess die Lachfältlein zittern und hatte Freude.

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