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Silvano Beltrametti erobert die Ski-Welt, wird aber jäh ausgebremst

Nach der Jahrtausendwende wird Skirennfahrer Silvano Beltrametti als grosser Hoffnungsträger und künftiger Seriensieger gefeiert. Doch eine kleine Unachtsamkeit in einem Abfahrtsrennen verändert das Leben des Bündners für immer.

03.12.20 - 09:30 Uhr
Ski alpin

Dass ein Athlet im alpinen Skirennsport in den schnellen Disziplinen mit gerade einmal 20 Jahren bereits mit den Weltbesten mithalten kann, ist selten. Die schwierigsten Abfahrtsstrecken der Welt lassen sich im Training nicht simulieren. Jahrelange Rennerfahrung ist nötig, um sich ans Limit zu tasten. Doch Silvano Beltrametti konnte es.

Im Februar 2001 fährt der 21-jährige Bursche aus Valbella an der WM in St. Anton auf Rang 4 in der Abfahrt. Um gerade einmal neun Hundertstel verpasst er die Bronzemedaille. Anderthalb Monate später gewinnt er an den Schweizermeisterschaften in St. Moritz sowohl den Super-G als auch die Abfahrt. In der Schweiz ist man sich sicher, dass Beltrametti die beiden Disziplinen in der folgenden Dekade auch im Weltcup dominieren wird.   

Den jungen Bündner schickte der Himmel. Denn zu Beginn der 2000er-Jahre ist die Schweizer Ski-Seele angeschlagen. Didier Cuche ist noch nicht der Siegfahrer, zu dem er noch heranreifen wird. Bei den Technikern ist Mike von Grünigen zwar top, doch seine Karriere neigt sich dem Ende zu. Da kommt Draufgänger Beltrametti gerade recht. Endlich ist er da, der lange herbeigesehnte Nachfolger der grossen Abfahrts-Champions wie Pirmin Zurbriggen oder Franz Heinzer.

Auf dem Weg zum ersten Weltcup-Sieg jäh ausgebremst

Zu Beginn der Saison 2001/02 scheint Beltrametti noch einmal einen Schritt nach vorne gemacht zu haben. Zum Speed-Auftakt reist der Weltcup-Tross der Männer Anfang Dezember 2001 nach Val d’Isère. Am Freitag, 7. Dezember, steht der Super-G auf dem Programm. Zwar gewinnt der Österreicher Stephan Eberharter. Doch auf Rang 2 folgt Didier Cuche – und auf Rang 3 Silvano Beltrametti.

Tags darauf wird auf der «Piste Oreiller-Killy» bei besten Bedingungen zur Abfahrt gestartet. Nachdem Beltrametti ein Jahr zuvor in Lake Louise als Zweiter erstmals auf dem Podest stand, trauen dem Bündner nicht wenige den ersten Weltcupsieg zu.

Und Beltrametti beginnt stark. Mit Starnummer 14 gestartet, wird er bei der Zwischenzeit nach rund 75 Fahrsekunden mit 36 Hundertsteln Vorsprung gestoppt. Fünf Sekunden später verpasst er mit Tempo 120 km/h einen Kurvenansatz, verliert die Balance und rast ungebremst durch das von seinen Skiern zerfetzte Auffangnetz. «Oh mein Gott», entfährt es SRF-Experte Bernhard Russi. Danach ist es still am Mikrofon. Beltrametti ist nicht mehr zu sehen, doch dass der fürchterliche Sturz glimpflich ausgegangen ist, kann man sich nicht vorstellen.

Gleich zu Beginn des Videos: Die Sturz, der Beltramettis Leben veränderte

Nachdem Beltrametti das Netz durchrissen hat, fliegt er über eine Kuppe, rutscht durch eine Geröllhalde und wird schliesslich von einem Pfosten gebremst. Beltrametti ist bei Bewusstsein und er weiss sofort, was Sache ist. Zu Cheftrainer Dieter Bartsch, der sofort zur Unfallstelle geeilt ist, soll er gesagt haben: «Dieter, ich werde gelähmt bleiben. Das weiss ich. Aber ich habe noch andere Probleme. Ich glaub, ich schaff's nicht.»

Und es dauert lange, bis der Bergungshelikopter Beltrametti erreicht hat. Nach über einer Stunde wird er in den Zielraum geflogen, dort umgeladen und ins Spital von Grenoble weitergeflogen. Aber Beltrametti schafft es. Dabei hilft ihm das Mindset des grossen Champions, zu dem er als Skifahrer zweifellos geworden wäre. Noch am selben Abend im Spitalbett sagt er seinem Manager und Freund Giusep Fry: «Ich hatte zwar keine Chance. Aber es gibt doch viele Menschen, denen geht es schlechter als mir.»

«Ich habe an diesem Tag aber nicht nur verloren, sondern so brutal wie es ist, auch gewonnen.»

Die Verletzung – eine Fraktur in der Brustwirbelsäule und eine komplette Zertrennung des Rückenmarks – zwang Beltrametti, das Leben fortan im Rollstuhl zu verbringen. Es ist ein Leben, dass der einstige Hoffnungsträger der Ski-Nation Schweiz genauso gut meistert, wie zuvor die schwierigsten Skipisten. Zumindest gegenüber der Öffentlichkeit haderte der mittlerweile 41-Jährige nie mit seinem Schicksal.

«Im Leben gibt es viele Situationen, in denen man sich mit Wörtern wie ‹wenn› und ‹aber› herumschlägt. Ich habe an diesem Tag aber nicht nur verloren, sondern so brutal wie es ist, auch gewonnen. Die Erfahrungen, die ich in diesem Jahr gemacht habe, werden mich das ganze Leben lang prägen», schrieb Beltrametti auf seiner Homepage «beltra.ch».

Seit fast 12 Jahren ist Beltrametti mit Edwina verheiratet. Das Paar führt in Lenzerheide das Berghotel Tgantieni. Aus dem gelernten Zimmermann ist ein erfolgreicher Hotelier geworden. Neben den Tätigkeiten im Hotel engagiert sich Beltrametti im Verein Weltcup Lenzerheide, wo er als OK-Präsident unter anderem vier Mal den Weltcup-Final durchführte. Mittlerweile amtet er als Vizepräsident des Vereins.

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