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Maria Ugolkova: «Ich war etwas verloren»

Maria Ugolkova und Wasser - das ist eine Einheit. Umso schwieriger war für sie die Zeit des Lockdowns.

Agentur
sda
02.06.20 - 17:10 Uhr
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Es ist morgen früh im Hallenbad Uster. Maria Ugolkova schwimmt zusammen mit anderen Längen um Längen im 25-m-Becken. Die 30-jährige gebürtige Russin ist glücklich, endlich wieder ihre grosse Leidenschaft ausüben zu können. Sie bezeichnet die Zeit, in der das aufgrund des Coronavirus nicht möglich war, als «extrem schwierig». Normalerweise sei sie täglich vier Stunden im Wasser. «Nun war ich etwas verloren, musste ich eine neue Routine finden.»

Als positiver Mensch machte Ugolkova das Beste aus der Situation. Sie suchte neue Herausforderungen, eine davon waren Handstand-Liegestützen. Von diesen schaffte sie nach der dritten Woche 15, nachdem ihr beim ersten Mal acht gelungen waren. Ugolkova betont aber, dass die Einheiten auf dem Land für sie kein wirkliches Training gewesen seien. Ohnehin ist sie für ihren Coach Pablo Kutscher «mehr Fisch als Landmensch».

Die Sportart wurde Ugolkova quasi in die Wiege gelegt, waren doch beide Eltern Schwimmtrainer. Als sie klein war, spielte sie zudem Klavier. Doch als es darum ging, sich zu entscheiden, fiel ihr das einfach. «Das Gefühl im Wasser habe ich immer geliebt», sagt Ugolkova, die im August 2005 im Alter von 16 Jahren mit ihrer Mutter in die Schweiz gezogen ist.

Für Kutscher ist Ugolkova ein «sehr emotionaler Mensch und ein absoluter Profi». Es sei schwierig, sie aus dem Wasser zu bekommen. «Dass sie früh spielerisch mit Schwimmen anfing, hat ihr stark geholfen. Zudem ist sie sehr beweglich.» Ist sie auch sonst sehr zielstrebig? «Wenn sie an etwas Spass hat, dann gibt sie 100 Prozent. Ansonsten ist sie nicht immer die Fleissigste», erklärt Kutscher. Es gebe für sie nur schwarz oder weiss. Stimmt das, Maria Ugolkova? «Das ist so. Es ist schwierig für mich zu akzeptieren, dass es eine Grauzone gibt. Ich war immer so extrem. Meine Mutter sagte, dass das von meinem Vater komme. Ich arbeite jedoch seit einem Jahr mit einem Mentalcoach an dieser Problematik.»

Die Zwangspause war für Ugolkova umso bitterer, da sie sich zuletzt in einer sehr guten Form befand. Im vergangenen Dezember gewann sie an den Kurzbahn-Europameisterschaften in Glasgow über 200 m Lagen die Silbermedaille, nachdem sie ein Jahr zuvor im 50-m-Becken auf der gleichen Strecke EM-Dritte geworden war. Die Hoffnungen auf ein gutes Resultat an den Olympischen Spielen in Tokio waren gross. «Ich befand mich auf einem guten Weg», sagt sie selber.

Ursprünglich war Ugolkovas Plan, nach Tokio «vielleicht noch eine Saison anzuhängen». Eine Option wäre die International Swimming League (ISL) gewesen. Mit der Olympia-Verschiebung um ein Jahr hat sich an ihren hohen Ambitionen zwar nichts geändert, für die Zeit danach ist aber alles offen. «Wir müssen viele Dinge diskutieren», so Ugolkova. Und es ist auch eine finanzielle Frage. Konkrete Gedanken für die Zeit nach der Karriere hat sie sich aber trotz eines Studiums im Bereich Wirtschaft noch nicht gemacht. Sie muss noch etwas finden, «das mir wirklich gefällt», wobei es nichts gebe, was sie so liebe wie das Schwimmen. «Ich weiss nicht, ob ich für einen Bürojob gemacht bin. Aber vielleicht öffnet sich ja eine Tür.»

Zu den Zielen in Tokio will sich Ugolkova (noch) nicht äussern. «Wieso liebt ihr Journalisten immer diese Frage?», entgegnet sie. «Zuerst einmal hoffe ich, dass die Spiele überhaupt stattfinden, es gibt ja viele Spekulationen. Ausserdem bleibt noch viel Zeit. Oh mein Gott, ich wäre dann ja schon 32 Jahre alt», sagt Ugolkova und lacht. Kutscher traut ihr in Tokio die Qualifikation für den Final zu, wenn sie noch «einen kleinen Sprung vorwärts» machen kann. «Und in einem solchen wäre mit ihrem Kopf alles möglich.»

Damit spricht Kutscher eine wesentliche Eigenschaft von Ugolkova an, nämlich, dass sie ein ausgesprochener Wettkampftyp ist. Sie liebt es, sich zu messen, allerdings nur dann, wenn sie darin gut sei, sagt Ugolkova und lacht laut. Denn sie verliert äusserst ungern. Umso härter trifft es sie, dass sie sich derzeit nicht mit der internationalen Konkurrenz vergleichen kann - national befindet sie sich in eigenen Sphären.

Immerhin wird diskutiert, im Herbst während vier Wochen die ISL auszurichten. Wenn, dürfte diese in Australien über die Bühne gehen, irgendwo an der Gold Coast oder in Perth. Florida war ebenfalls im Gespräch. Ugolkova wäre bei einer Durchführung in einem Team mit der ungarischen Star-Schwimmerin Katinka Hosszu, der 26-fachen Weltmeisterin auf der Lang- und Kurzbahn sowie dreifachen Olympiasiegerin.

Das ist aber Zukunftsmusik. Nun gilt es zunächst, die Form wieder aufzubauen, wobei für Kutscher das Niveau angesichts der Umstände «erstaunlich gut» ist. Er hatte eine grössere Leistungseinbusse erwartet. Für ihn ist denn auch nicht das Körperliche das Hautproblem, sondern das Mentale. Diesbezüglich muss man sich bei Maria Ugolkova aber keine Sorgen machen.

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