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Totengräber oder Lebensretter des Davis Cups?

Dringend benötigte Verjüngungskur oder Sargnagel für einen der ältesten Teamwettbewerbe im Sport? Heute entscheidet sich die Zukunft des Davis Cups. Geplant ist nichts weniger als eine Revolution.

Agentur
sda
16.08.18 - 06:40 Uhr
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Wird es solche Bilder auch in Zukunft noch geben? Tausende Schweizer Fans feuern ihr Davis-Cup-Team an
Wird es solche Bilder auch in Zukunft noch geben? Tausende Schweizer Fans feuern ihr Davis-Cup-Team an
KEYSTONE/SALVATORE DI NOLFI

In der überdachten Fussballarena in Lille war die Hölle los. An drei Tagen im November 2014 verwandelten jeweils über 27'000 Tennisfans das Stade Pierre-Mauroy in ein Tollhaus. Die Krönung: Roger Federer und Stan Wawrinka holten für die Schweiz erstmals den Davis Cup. Geht es nach dem Internationalen Tennisverband (ITF), dem Hüter über den Davis Cup, gehören solche Szenen ab nächstem Jahr der Vergangenheit an.

Denn es gibt auch eine Kehrseite. Wenn die Schweiz im September in Biel Schweden zum Playoff empfängt, ohne Federer und vielleicht auch ohne Wawrinka, ist ein happiges Defizit programmiert. Von den aktuellen Top 6 sind in diesem Jahr nur der Spanier Rafael Nadal und der Deutsche Alexander Zverev im Teamwettbewerb angetreten, im letzten Jahr sogar nur Zverev. Der Davis Cup hat unbestreitbar an Bedeutung verloren.

Nachdem sie an der letztjährigen Generalversammlung mit Reformvorschlägen - unter anderem einer Reduktion auf zwei Gewinnsätze und einem Finalturnier für Männer und Frauen - nicht durchgedrungen war, glaubt die ITF nun das Ei des Kolumbus gefunden zu haben. Es ist nicht mehr eine Reform, sondern eine Revolution, welche die traditionsbewusste Tennisgemeinschaft in ihren Grundfesten erschüttert.

3 Milliarden in 25 Jahren

Eine vom Barcelonas Fussballstar Gerard Piqué gegründete Investorengruppe namens Kosmos bietet der ITF für einen 25-Jahr-Vertrag drei Milliarden Dollar. Das neue Format des Wettbewerbs, der als «World Cup of Tennis» verkauft wird, sieht wie folgt aus: Anstelle einer Weltgruppe mit 16 Teams, die an vier Terminen in Achtel-, Viertel-, Halbfinals und Final ihren Champion küren, gibt es eine Qualifikation mit 24 Teams (12 Begegnungen mit Heimrecht für eines der beiden Teams) im Februar. Die 12 Sieger qualifizieren sich für das Finalturnier Ende Jahr, dazu kommen die vier Halbfinalisten des Vorjahres und zwei Wildcard-Empfänger. Das Finalturnier wird in sechs Dreiergruppen gespielt, danach folgen in der gleichen Woche Viertelfinals, Halbfinals und Final.

Die Begegnungen der Qualifikation bestehen aus vier Einzeln und einem Doppel (jeweils auf zwei Gewinnsätze) an zwei Tagen, die Partien des Finalturniers aus zwei Einzeln und einem Doppel, jeweils an einem Tag. Damit wäre es möglich, den Davis Cup in nur einer Woche zu gewinnen. Sollten Federer und Wawrinka für ein solches Finalturnier zur Verfügung stehen, darf davon ausgegangen werden, dass die Schweiz eine Wildcard erhalten würde, auch wenn sie im Februar in schwächerer Besetzung die Qualifikation nicht geschafft hätte. Auch andere Stars sollen - neben dem üppigen Preisgeld - mit dieser geringeren Belastung wieder zum Davis Cup gelockt werden.

Die ITF unternahm in den letzten Monaten viel, um die Mitgliedverbände von diesem neuen Konzept zu überzeugen. René Stammbach, Präsident von Swiss Tennis und Vizepräsident der ITF, brach in diesem Sommer sogar seine Ferien in der Toskana ab, um die Delegierten des französischen Tennisverbands von einem Ja zu überzeugen - mit Erfolg. Es gibt aber auch Widerstand, namentlich aus Deutschland und Australien. Tennis Australia plant ab Januar 2020 einen World Team Cup für 24 Teams zum Saisonstart und sieht diesen Event konkurrenziert.

Fehlende Atmosphäre

In Australien sind aber auch die Stimmen der Traditionalisten sehr laut, die vor allem die fehlenden Heimspiele und die Verkürzung der Spiele bemängeln. «Das könnte man nicht mehr Davis Cup nennen», macht der zweifache Davis-Cup-Sieger und aktuelle Captain Lleyton Hewitt klar. «Der Davis Cup lebt von der Atmosphäre der Heimfans und den Fünf-Satz-Schlachten.»

Tatsächlich gibt es viele offene Fragen. Die ITF würde viel Macht an die Investoren abgeben, die mit der Vermarktung natürlich ihr Geld wieder hereinholen wollen. Was, wenn ein Oligarch in einem autoritär regierten, politisch heiklen Land am meisten Geld für die Austragung bietet? Was, wenn die Stars am Ende einer langen Saison doch keine Lust mehr haben oder nach den ATP Finals kurzfristig absagen? Fliesst das Geld von Kosmos dann dennoch oder treten die Investoren vom Vertrag zurück?

Für 2019 und 2020 wäre der Final in Europa garantiert (Lille oder Madrid). So lange finden auch die ATP Finals mit Sicherheit in London statt. Was aber, wenn das Saisonschlussturnier danach an einem völlig anderen Ort stattfindet als der Davis-Cup-Final in der Folgewoche? Und was passiert mit den offenen Daten im April und September? «Kosmos wird an diesen Daten weitere Tennisevents auf die Beine stellen», verrät Stammbach. Für ihn ist klar, dass man bei einer Annahme durch die Delegierten das Gespräch mit der ATP suchen würde.

Stammbach ist überzeugt, dass am Donnerstag beim Kongress in Orlando die nötige Zweidrittels-Mehrheit zustande kommt. Denn er hat ein schlagendes Argument: das Geld. Die Mitgliederverbände würden deutlich mehr Geld bekommen. Als Beispiel: Ein Land, das in der untersten Zone 4 spielt, bekommt aktuell 2500 Dollar im Jahr. Neu wären es 25'000. «Geld, das in die Entwicklung des Tennis investiert wird», wie Stammbach betont. Zwar haben die kleinen Länder bei der ITF im Gegensatz zur FIFA nicht gleich viele Stimmen. Da aber drei der vier grossen Grand-Slam-Nationen ebenfalls für den Deal sind, stehen die Chancen für eine Revolution tatsächlich gut.

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