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Freizügigkeitsabkommen schützt nicht vor Landesverweisung

Eine Einschränkung der Personenfreizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung, wie es das Freizügigkeitsabkommen vorsieht, ist in Strafrechtsfällen nicht so eng auszulegen wie im Ausländerrecht. Dies hat das Bundesgericht entschieden.

Agentur
sda
18.06.19 - 12:00 Uhr
Politik
Ein wegen qualifizierten Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilter Spanier muss nach dem Urteil des Bundesgerichts die Schweiz verlassen. (Archivbild)
Ein wegen qualifizierten Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilter Spanier muss nach dem Urteil des Bundesgerichts die Schweiz verlassen. (Archivbild)
KEYSTONE/LAURENT GILLIERON

Im konkreten Fall wurden in der Wohnung eines Spaniers rund 590 Gramm Kokaingemisch gefunden, das zum Verkauf vorgesehen war. Das Bezirksgericht Zürich verurteilte den Mann wegen qualifizierten Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 19 Monaten. Davon hatte er 140 Tage in Haft und vorzeitigem Strafvollzug verbüsst. Der Rest wurde aufgeschoben.

Zudem ordnete das Bezirksgericht eine Landesverweisung von sieben Jahren an, da es sich um eine Katalogstraftat des Strafgesetzbuches handelt, die eine obligatorische Landesverweisung vorsieht. Das Zürcher Obergericht bestätigte die Landesverweisung im April 2018.

Das Bundesgericht hat die Beschwerde des Mannes gegen die Landesverweisung in einem am Dienstag veröffentlichten Leitentscheid abgewiesen. Es setzt sich im Urteil mit der Frage auseinander, wie die strafrechtliche Landesverweisung und die Einschränkung der Personenfreizügigkeit gemäss FZA miteinander vereinbar sind.

Das FZA sieht vor, dass die Freizügigkeit nur eingeschränkt werden darf, wenn dies aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der Sicherheit und der Gesundheit gerechtfertigt ist (Artikel 5 Absatz 1 Anhang I FZA).

Kein strafrechtliches Abkommen

Das Bundesgericht ist zum Schluss gelangt, dass die entsprechende FZA-Bestimmung im Bereich des Strafrechts nicht eng auszulegen sei. Das FZA sei ein wirtschaftsrechtliches und nicht ein strafrechtliches Abkommen. Bereits in einem früheren Urteil habe es festgehalten, dass der Aufenthalt von EU-Bürgern in der Schweiz unter dem Vorbehalt eines rechtskonformen Verhaltens stehe.

In seinen Erwägungen geht das Bundesgericht auch auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ein. Diese Rechtsprechung zeige, dass der Gerichtshof den Vertragsstaaten bei der Auslegung von Artikel 5 Absatz 1 Anhang I FZA zwar eine Eigenständigkeit einräume, diese aber auf eine strickte Auslegung beschränkt sei.

Eine solche strikte Auslegung sieht die Rechtsprechung des Bundesgerichts im Zusammenhang mit dem Ausländerrecht vor, wenn es um die Einschränkung der Personenfreizügigkeit geht. Diese einschränkende Auslegung lehnt das Bundesgericht beim Strafrecht aber explizit ab.

Anleitung für Gerichte

Den Strafgerichten gibt das Bundesgericht mit dem vorliegenden Urteil eine Anleitung für die zukünftigen Fälle mit auf den Weg. So müssen diese Gerichte jeweils im Einzelfall prüfen, ob das FZA einer Landesverweisung entgegen steht. Dabei handle es sich im Wesentlichen um die Prüfung der Verhältnismässigkeit staatlichen Handelns.

Ein zentrales Kriterium bei der Landesverweisung ist gemäss Bundesgericht, wie gross die Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit, Gesundheit sowie des Gemeinwohles durch die Katalogstraftat ist.

In Bezug auf den Spanier schreibt das Bundesgericht, das FZA habe ihm die Einreise zur Erwerbstätigkeit in der Schweiz ermöglicht. Mit dem beabsichtigten Kokainhandel sei er bewusst das Risiko eingegangen, sein Aufenthaltsrecht zu verwirken. (Urteil 6B_378/2018 vom 22.05.2019)

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