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Green Deal vs. «Expertenblödsinn»

Wir tickern für Euch die wichtigsten Entscheidungen und Reaktionen aus dem Bündner Kantonsparlament. Am zweiten Tag der Landsession in Pontresina wird gewählt, über Gerichte debattiert, und zahlreiche Aufträge werden angepackt.

Philipp
Wyss
12.06.19 - 22:20 Uhr
Politik

Ticker

Leere Strassen während der Landsession des Grossen Rates in Pontresina.
Leere Strassen während der Landsession des Grossen Rates in Pontresina.
OLIVIA ITEM

Am zweiten Tag der Junisession hat der Bündner Grosse Rat:

  • Mario Cavigelli zum Regierungspräsidenten 2020 gewählt
  • Eine Gerichtsreform verabschiedet
  • Parlamentarische Vorstösse debattiert
  • Den Green Deal für Graubünden (Klimaschutz als Chance nutzen) debattiert

Die Session wird am Donnerstag ab 8.15 Uhr fortgesetzt. Die Debatten sind öffentlich. Wie bei jeder Session tickern wir auch von der Auswärtssession in Pontresina für Euch.

Ungleiche Freunde!

Posted by Jon Pult on Wednesday, June 12, 2019
Das Faltdachs «Horizon» bei der ARA Chur.
Das Faltdachs «Horizon» bei der ARA Chur.
MARCO HARTMANN

Green Deal für Graubünden?

Grossrat Philipp Wilhelm (SP, Davos) will mit seinem Auftrag «Green Deal für Graubünden: Klimaschutz als Chance nutzen». Wilhelm nennt als Beispiel das Faltdach «Horizon» bei der ARA Chur (Bild), das in Graubünden aufgebaut und von Bündnern entworfen wurde. «Sagen wir ja zur Zukunft der Jungen, zu sauberen Arbeitsplätzen und zum Green Deal», so Wilhelm. Der Auftrag, der von mehr als 80 Grossräten unterzeichnet wurde, fordert von der Regierung, mit höchster zeitlicher Priorität einen umfassenden Aktionsplan «Green Deal für Graubünden» vorzulegen, der konkrete und wirksame Massnahmen zum Klimaschutz inklusive Finanzierungsplan und notwendigen Anpassungen von gesetzlichen Grundlagen enthält. Damit soll Graubünden die Chancen der Energiewende nutzen und interkantonal und international eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz einnehmen.

Doch der Auftrag hat auch Gegner: «Experten oder Möchtegernexperten behaupteten vor einigen Jahren, dass bald keine Bäume mehr stehen würden», sagt Grossrat Lorenz Alig (FDP, Pigniu). Und ich als eingeschüchterter Junge, habe diesen Unsinn vor 40 Jahren auch noch geglaubt. «Heute wachsen entlang der Autobahnen die schönsten und grössten Bäume», so Alig weiter. «Ich habe mir damals geschworen, dass ich solchen Expertenblödsinn nie wieder glaube. Und das ist bis heute so geblieben. «Die Gletscher schmelzen seit Jahrhunderten.» Vorstösse zu diesem Thema würden einzig und allein den bevorstehenden nationalen Wahlen dienen, so Alig abschliessend.

Ebenfalls gegen den Auftrag äusserte sich Grossrat Gian Peter Niggli (FDP, Samedan). «Klimaschutzpolitik ist aktuell sehr populär und hat vielleicht etwas mit den anstehenden Wahlen zu tun. Zweifelsohne gehört der Klimawandel aber zu den grössten Herausforderungen unserer Zeit», so Niggli weiter.

Die Regierung ist bereit, den Auftrag mit einigen Anpassungen entgegenzunehmen. Die von der Regierung 2015 beschlossene Klimastrategie geniesst wegen ihres konzeptionellen Aufbaus und wegen der gut funktionierenden Zusammenarbeit breite Anerkennung. Sie umfasst zehn Handlungsschwerpunkte: zwei zum Klimaschutz und acht zur Klimaanpassung. Die Regierung möchte dem Grossen Rat einen umfassenden Aktionsplan «Green Deal für Graubünden» vorlegen, der konkrete und wirksame Massnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung inklusive Finanzierungsplan und notwendige Anpassungen von gesetzlichen Grundlagen enthält. Für die Umsetzung eines Aktionsplans ist mit Investitionen von 15 bis 26 Millionen Franken und mit jährlich wiederkehrenden Kosten von 20 bis 50 Millionen Franken für Bund, Kanton und Gemeinden zu rechnen.

Weil um 16.30 Uhr ein Apéro mit der Bevölkerung beginnt, unterbricht Standesvizepräsident Alessandro Della Vedova (CVP, San Carlo) die Session noch bevor über den Green Deal befunden wird.

Bis hier reichte der Morteratsch-Gletscher anno 1880. Auch darum kämpfen wir morgen für den Green Deal in Graubünden....

Posted by SP Graubünden - PS Grischun - PS Grigioni on Tuesday, June 11, 2019
Die 50 Grossräte die vor einem Jahr das letzte Mal im Parlament waren. Bild Olivia Item
Die 50 Grossräte die vor einem Jahr das letzte Mal im Parlament waren. Bild Olivia Item
OLIVIA ITEM

Keine Amtszeitbeschränkung

Standesvizepräsident Alessandro Della Vedova (CVP, San Carlo) übernimmt die Ratsleitung und beginnt den Nachmittag mit dem Auftrag Grossrat Oliver Hohl (BDP, Chur) betreffend Einführung einer Amtszeitbeschränkung für die Mitglieder des Grossen Rates. Hohl: «71 von 75 Bisherigen wurden bei den vergangenen Grossratswahlen im Wahlkreis Chur wiedergewählt. Das entspricht 94 Prozent. Hohl sieht den Politnachwuchs in Gefahr, weil ihm Bisherige im Wege stehen können. Er verlangte von der Regierung einen Vorschlag für eine Amtszeitbeschränkung, wie beispielsweise im Churer Gemeinderat. Die Regierung lehnt den Auftrag, der von beinahe der Hälfte der Grossräte unterzeichnet wurde ab.

Grossrat Reto Crameri (CVP, Surava) äussert sich stellvertretend für einige Grossräte gegen den Auftrag. «Neun Personen wurden vor 2006 und acht Personen im Jahr 2006 gewählt», so Crameri. Mit einer Amtszeitbeschränkung bestrafen wir die Jungen, denn sie würden nach ihrer Zeit im Grossen Rat wohl aus der Bündner Politik ausscheiden.» Für Crameri soll der Auftrag zwar etwas für die Jungen machen, erreichen würde er aber genau das Gegenteil, ist Crameri überzeugt. «Es braucht keine Bevormundung der Wähler.» Und Grossrat Urs Marti (FDP, Chur) doppelt nach: «Es braucht ein paar Jahre Erfahrung, um den Betrieb und das Wissen gut zu kennen.»

Auch die Regierung ist gegen eine Amtszeitbeschränkung für Mitglieder der kantonalen Parlamente. Eine solche kennen aktuell die vier Kantone Obwalden, Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Jura, schreibt die Regierung in ihrer Antwort. Die Frage der Amtszeitbeschränkung beim Grossen Rat wurde bereits im Rahmen der Totalrevision der Kantonsverfassung in der Verfassungskommission diskutiert. Die Verfassungskommission lehnte eine solche Einschränkung ab. Sie begründete dies im Wesentlichen mit den praktischen Erfahrungen, wonach der Grosse Rat im Rahmen der Gesamterneuerungswahlen aufgrund von Rücktritten und Abwahlen jeweils um rund einen Viertel erneuert werde. Die politische Erneuerung ist in den Augen der Regierung Aufgabe der Parteien und der Wählenden. Auch ohne Amtszeitbeschränkung ist eine angemessene Erneuerung des Grossen Rats nach wie vor gewährleistet, wie die Erneuerungsquoten bei den Gesamterneuerungswahlen aufzeigen. Bei den Wahlen im Jahr 2010 lag die Quote bei ca. 41 Prozent (49 Mitglieder), im Jahr 2014 bei 27 Prozent (32 Mitglieder) und zuletzt im Jahr 2018 bei 42 Prozent (50 Mitglieder).

Nach einer längeren Diskussion lehnt der Grosse Rat den Auftrag mit 48:68 Stimmen ab.

Das Haus zur Kante an der Masanserstrasse in Chur.
Das Haus zur Kante an der Masanserstrasse in Chur.
ARCHIV

Grundeigentümer werden frühzeitig informiert

Noch vor der Mittagspause hat der Grosse Rat einen Auftrag von Grossrat Thomas Bigliel (FDP, Landquart) betreffend Inventar der Denkmalpflege überwiesen. Bigliel verlangte eine frühzeitige Information der Grundeigentümer von möglicherweise schützenswerten Gebäuden. Derzeit erstellt und führt der Kanton ein kantonales Inventar von schutzwürdigen Ortsbildern, Gebäudegruppen und Einzelbauten. Die Inventarisierung bildet dabei die Grundlage für die Erhaltung und die Pflege des baulichen Kulturerbes. Aktuell werden aber die Grundeigentümer laut Bigliel erst spät im Inventarisierungsprozess miteinbezogen. Häufig erfahren diese erst bei einem Verkauf der Liegenschaft oder bei baulichen Massnahmen, dass ihr Gebäude im Inventar figuriert, schreibt der Grossrat. Meistens sinkt dadurch das Käuferinteresse und bauliche Verzögerungen sind die Folge.

Die Unterzeichnenden beauftragen deshalb die Regierung, die Inventarisierung so zu regeln, dass die betroffenen Eigentümer aber auch die mit der Ortsplanung betreuten Gemeindebehörden von Beginn an in den Inventarisierungsprozess einbezogen werden.

Die Regierung lehnte den Auftrag mit folgender Begründung ab: Die Denkmalpflege wird das Verfahren unter Berücksichtigung der gemachten Erfahrungen weiter optimieren und in Rücksprache mit den Gemeinden dafür sorgen, dass eine direkte Benachrichtigung der betroffenen Grundeigentümer soweit als möglich auch auf Stufe der Erstellung der Inventarliste erfolgt.

Dies reichte dem Parlament nicht. Mit 82:30 Stimmen überwies es den Auftrag zuhanden der Regierung.

PIXABAY

Justizia wird renoviert

Nach der grundsätzlichen Zustimmung zu einer Gerichtsreform im Kanton Graubünden muss die Regierung nun eine Botschaft für eine Gesetzesrevision erarbeiten. Diese dürfte in den kommenden Jahren in den Grossen Rat und wohl auch vors Volk kommen.

Impressiuns dalla sessiun a Puntraschigna en La Quotidiana

Posted by Kevin Brunold on Wednesday, June 12, 2019

Teilzeit am Gericht

Mit 111:1 Stimmen ermöglicht das Bündner Parlament an den Gerichten Teilzeitstellen. Und bei mehrmonatigen Ausfällen von Richtern sowie bei ausserordentlich hohen Geschäftslasten lässt der Grosse Rat ausserordentliche Richter an die oberen kantonalen Gerichte zu. Dieser Frage stimmte das Parlament mit 110:1 Stimmen klar zu.

Die CVP-Grossräte René Epp und Maurus Tomaschett gratulieren Regierungsrat Mario Cavigelli zu seiner ehrenvollen Wahl...

Posted by Mitte/Center/Centro GR on Wednesday, June 12, 2019
Kommissionspräsident Ilario Bondolfi.
Kommissionspräsident Ilario Bondolfi.
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Klarheit im Rat

Die Frage: Sollen bei Wiederwahlen im ersten Wahlgang nur die sich zur Wiederwahl stellenden Personen gewählt werden können, leht der Grosse Rat mit 98:0 Stimmen klar ab.

Und ob die oberen kantonalen Gerichte ermächtigt werden sollen, Verfahren auf Änderung der Kantonsverfassung sowie von Gesetzen im Bereich der Justizverwaltung und der Justizaufsicht direkt beim Grossen Rat anhängig zu machen, stimmt das Parlament mit 107:0 Stimmen deutlich zu.

Als letztes befindet der Grosse Rat nun darüber, ob bei mehrmonatigen Ausfällen von Richtern und bei ausserordentlich hohen Geschäftslasten ausserordentliche Richter an die oberen kantonalen Gerichte gewählt werden sollen, wie Kommissionspräsident Ilario Bondolfi (CVP, Chur, Bild) erklärt.
ARCHIV

Kaffeepause

Standespräsidentin Tina Gartmann-Albin (SP, Chur) schaltet die morgendlichen Kaffeepause ein. Das Wetter ist nach wie vor trüb und nass.

Eindrückliche Naturgewalten beim Zusammenfluss von Ova da Bernina und Ova da Roseg zur Flaz. #hotelsaratz #pontresina #flaz #engadin

Posted by Hotel Saratz on Tuesday, June 11, 2019

Kein neues Wahlverfahren

Das Parlament schmettert die Frage nach einem geänderten Wahlvorschlagsverfahren für Richter der oberen kantonalen Gerichte deutlich ab. Mit 106:6 Stimmen bei einer Enthaltung wird die Änderung verworfen.

Vom 11. bis 14. Juni heisst Pontresina die Landsession des Kantons Graubünden willkommen. Während vier Tagen treffen...

Posted by Pontresina on Monday, June 10, 2019
Das Bündner Kantonsgericht an der Poststrasse in Chur.
Das Bündner Kantonsgericht an der Poststrasse in Chur.
ARCHIV

Detailfragen zum Gericht

Aktuell debattiert das Parlament Detailfragen zum Bericht betreffend die Optimierung der Organisation der oberen kantonalen Gerichte. Und dabei die Frage, ob im Falle der Zusammenlegung des Kantons- und Verwaltungsgerichts ein Spezialverwaltungsgericht geschaffen werden soll. Dies mit dem Präsidenten des Verwaltungsgerichts des Kantons Tessin sowie zweier Ostschweizer Kantone. Wie Regierungsrat Peter Peyer (SP, Trin) ausführte, wurden die entsprechenden Stellen noch nicht angefragt, weil die Regierung zunächst den Entscheid des Grossen Rates abwarten wollte.

Die Session in Pontresina ist erfolgreich gestartet. An dieser Stelle auch wirklich ein grosses Dankeschön an die vielen...

Posted by Tobias Rettich on Tuesday, June 11, 2019

Philipp Wyss ist Chefredaktor der gemeinsamen Redaktion der Zeitung «Südostschweiz» und der Internetseite «suedostschweiz.ch». Damit zeichnet er für das Team und für den Inhalt dieser Produkte verantwortlich. Mehr Infos

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