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«Mission bedeutet nicht mehr, Eingeborene in Afrika zu bekehren»

Das Kloster St. Otmarsberg in Uznach feiert heuer sein 100-Jahr-Jubiläum. Die Ordensgemeinschaft der Missionsbenediktiner hat den Schwerpunkt ihrer Arbeit von Afrika ins Linthgebiet verlagert. Über die Mission vor Ort in der Einrosenstadt gibt Abt Emmanuel Rutz Auskunft.

19.01.19 - 04:30 Uhr
Politik
Abt Emmanuel Rutz feiert mit seiner Ordensgemeinschaft in Uznach 100 Jahre Kloster St. Otmarsberg.
Abt Emmanuel Rutz feiert mit seiner Ordensgemeinschaft in Uznach 100 Jahre Kloster St. Otmarsberg.
BILD MARKUS TIMO RÜEGG

Seit hundert Jahren existiert das Kloster St. Otmarsberg in Uznach. Ist seither kein Stein auf dem anderen geblieben?
Abt Emmanuel Rutz: Es hat sich viel verändert seit dem Jahr 1918. Zuerst waren wir gewissermassen illegal, weil Klostergründungen bis 1973 gar nicht erlaubt waren. Zudem ist erste Haus an der Rickenstrasse, das sogenannte Benediktusheim, ein Kriegskind: Die Kongregation von St. Ottilien suchte einen neutralen Standort für seine Mönche, weil Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg darniederlag und zudem einen schlechten Ruf hatte. Wir mussten kämpfen, um überhaupt hier sein zu können. Erst waren wir ein kleines Haus für Missionsurlauber. Erst 1947 wurde daraus ein Priorat und 1982 schliesslich eine Abtei.

Zur Person

Emmanuel Rutz, geboren am 9. August 1972 in Flawil und aufgewachsen in Wolfertswil, erlernte den Beruf des Käsers, machte die Meisterprüfung und leitete eine Käserei in Bütschwil. Er trat im Jahr 2000 der Ordensgemeinschaft der Missionsbenediktiner bei und studierte Theologie. Emmanuel Rutz empfing 2008 die Priesterweihe. 2013 wählten ihn die Missionsbenediktiner in St. Otmarsberg in Uznach, der jüngsten Abtei der Schweiz, zum dritten Abt des Klosters. Die Wahl erfolgte auf unbestimmte Zeit. Er folgte in diesem Amt auf Marian Eleganti bzw. Adelrich Staub, dem Prior-Administrator seit 2010. Zu seinen Hobbys gehören Lesen, Wandern und Velofahren.

Wie viele Mönche leben heute in Uznach?
Am Anfang waren wir sieben Mönche. Auf dem Höhepunkt in den 60er-Jahren zählte das Haus um die dreissig Brüder. Jetzt sind wir 21 Mönche und im Schnitt 66 Jahre alt. Bezüglich Nachwuchs will ich mich nicht beklagen, solange ein Bruder alle Jahre in unsere Gemeinschaft eintritt.

Wie läuft Ihr Projekt «Kloster auf Zeit»?
Wir haben die Möglichkeit, das Haus mit Gästen und Laien zu beleben: Im letzten Jahr haben wir im Rahmen des Projekts «Kloster auf Zeit» 190 Gäste aufgenommen, die bis zu drei Monaten mit der Klostergemeinschaft mitgelebt haben. Ein schönes Erfolgserlebnis, das offensichtlich einem Bedürfnis entspricht. Im Vergleich zum Vorjahr konnte die Anzahl Gäste um einen Viertel gesteigert werden. Unterdessen gibt es auch die Möglichkeit, dass sich Laien bei uns langfristig im Haus niederlassen.

«In der Schweiz war das Christentum nie eine Massenbewegung. Von einer
Volkskirche zu sprechen, halte ich für verfehlt.»

Ist es möglich, das Haus mit Mönchen aus Afrika oder aus Asien zu füllen, um eine Klosterschliessung zu verhindern?
Theoretisch ja, praktisch nein. Es gibt zwar in der Tat in Afrika und Asien bei weitem mehr Missionsbenediktiner als bei uns. Aber die Mönche werden, zum Beispiel in Tansania, just dort unten gebraucht, um die Bildungsinstitutionen und Infrastrukturen aufzubauen. Ich halte es grundsätzlich für keine gute Idee, einfach Ordensleute aus Afrika nach Europa zu «importieren» mit der einzigen Motivation, die hiesigen Klostergebäude mit Mönchen aus Drittweltstaaten zu füllen.

Früher gingen die Missionare nach Afrika, um dort das Christentum zu verbreiten. Kommen heute die Afrikaner nach Europa, um uns die Religion zurückzubringen, weil bei uns der Glauben verdunstet?
Was die Missionsbenediktiner betrifft: Bei uns würde ich keineswegs von einer «umgekehrten Mission» sprechen, die wir praktizieren würden, nur weil bei uns der Atheismus überhandnimmt. Die Geschichte lehrt uns die Wahrheit. In der Schweiz war das Christentum nie eine Massenbewegung. Von einer Volkskirche zu sprechen, halte ich für verfehlt, weil es diese historisch gar nie gegeben hat. Vielleicht einmal ansatzweise damals in den 50er- bis 70er-Jahren: Aus dieser Zeit hat die Kirche viele Strukturen, Gebäude und Infrastrukturen, die sie nun nicht mehr zu füllen weiss und verkaufen muss. Abgesehen davon sind die Leute in unserer Zeit gar nicht atheistisch. Sie gehen vielleicht nicht mehr in die Kirche, aber an irgendetwas glauben die meisten. Und es wird auch immer Menschen geben, die an Gott glauben. Gut möglich, dass sich die Kirche in unserer Zeit zu einem Forum entwickelt, ausgerichtet für einen kleineren Kreis.

Wie hat sich der Stellenwert der Mission in den letzten hundert Jahren verändert?
Fundamental. Während es vor hundert Jahren noch eine grosse Herausforderung und ein Abenteuer war, in ein Land in Afrika zu reisen, um dort eine fremde Kultur kennenzulernen und dort für die Verbreitung der christlichen Religion zu sorgen, steht heute die Mission vor Ort, hier in Uznach, im Fokus unserer Arbeit. Heutzutage haben wir aus unserer Abtei nur noch drei Mönche, die fix in Afrika sind, zwei sind temporär dort.

«Die Leute in unserer Zeit gehen vielleicht nicht mehr in die Kirche, aber an
irgendetwas glauben sie immer.»

Hat diese Entwicklung damit zu tun, dass Mission an sich anrüchig geworden ist?
In der Tat geriet in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren die Mission in ihrem herkömmlichen Sinn stark in die Kritik. Unterdessen hat sich der Missionsbegriff allerdings fundamental verändert: Dank Papst Franziskus wurde die Mission in diesem 21. Jahrhundert wieder in, zu einem Topthema, das unterdessen auch in der Wirtschaft zum wesentlichen Begriff wurde. Natürlich geht damit einher, dass Mission längst nicht mehr bedeutet, dass Europäer nach Afrika reisen, um dort Eingeborene zu bekehren.

Was sieht eine Mission vor Ort konkret aus?
Uznach als Wirkungsort nimmt an Bedeutung laufend zu. Wir beten und pflegen Gemeinschaft und Gastfreundschaft hier, begleiten Menschen, bieten Einzelgespräche an, engagieren uns in der Flüchtlingsarbeit, sind in den Schulen von Uznach aktiv und betreuen Randständige. Ein neues Aufgabenfeld hat sich uns überdies mit dem Projekt Adoray eröffnet, in dem wir junge Leute im Glauben begleiten. Abgesehen davon sind wir für die Betreuung des Wallfahrtsortes Maria Bildstein in Benken zuständig.

Nehmen Sie auch Frauen als Gäste auf?
Durchaus. Allerdings ist aufgrund des Klausur-Bereichs in unserem Kloster, der nur Männer offen steht, der Zugang zum Haus beziehungsweise das freie Bewegen im Kloster für Frauen etwas eingeschränkt. Von daher empfehle ich den Frauen, sich als Gast in einem Frauenkloster niederzulassen, zum Beispiel in Wurmsbach bei den Zisterzienserinnen.

«In unserer Zeit überfordern die Abzockerei und das Tempo in der Arbeitswelt den Menschen masslos.»

Was halten Sie von der Forderung, dass auch Frauen Priesterinnen werden könnten?
Wir verfolgen die Diskussion aufmerksam, ohne dass wir diese Frage aktiv aufgreifen würden. Wir sehen es grundsätzlich nicht als Aufgabe unseres Klosters an, Kirchenpolitik zu betreiben, und halten uns da eher zurück. Wir wären allerdings durchaus vom Umstand, dass es Priesterinnen gäbe, aktiv betroffen, weil wir dann nicht mehr in Frauenklöster ausrücken müssten, um dort die heilige Messe zu lesen (lacht).

Was bleibt von Benedikt von Nursia, dem Ordensgründer aus dem frühen Mittelalter? Ora et labora?
... et lege. Neben dem Gebet und der Arbeit gehörte auch das Lesen zu seinen wesentlichen Regeln. Interessant ist, wie aktuell Benedikt von Nursia geblieben ist: Er wollte in der Zeit des 6. Jahrhunderts, als eine Völkerwanderung stattfand, eine stabilitas loci, eine Ortsgebundenheit, schaffen: Eine beständige Ordnung, ein Heim, eine beständige Struktur, die Ruhe und Stille schafft im Lärm der Welt. Heute stehen wir mit der Globalisierung im 21. Jahrhundert wieder an einem ähnlichen Punkt. Dank Benedikt verfügen wir über einen Ort der Stabilität in einer enorm schnelllebigen Zeit, die den Menschen zu schaffen macht.

Benedikt stelle neben dem Gebet die Arbeit in den Fokus seines Wirkens. Diese prägt unsere Gesellschaft wie kaum ein anderer Bereich.
Allerdings hat Benedikt zu einem massvollen Umgang mit der Arbeit aufgerufen, in welcher der Mensch im Mittelpunkt stehen soll. In unserer Zeit hingegen überfordern die Abzockerei und das Tempo in der Arbeitswelt den Menschen masslos. Aufgrund des Drucks in der Arbeitswelt geht die Menschlichkeit verloren. Just hier gibt Benedikt von Nursia mit seinen Regeln Gegensteuer.

«Der Plan B lautet, dass auch ein Leben in diesem Haus ohne Mönche, dafür mit Laien, möglich sein wird.»

Seine Regeln besagen, dass auf das Fleisch vierfüssiger Tiere verzichtet und der Weinkonsum beschränkt wird und dass es maximal eine gekochte Hauptmahlzeit am Tag gibt: Halten Sie sich noch an diese Regeln?
Ich muss Sie korrigieren: Benedikt sagte, dass es maximal zwei gekochte Hauptmahlzeiten pro Tag geben soll, und daran halten wir uns. Fleischlos essen wir drei bis vier Tage pro Woche, Wein gibt es zwar täglich, aber eben in Massen. Überhaupt zeigt sich in seinen Regeln, dass Benedikt nichts Radikales, Extremes anstrebte, was am Menschen vorbeigeführt hätte. Dank den massvollen Regeln kann der Mensch den Weg zu Gott finden.

Seine Regeln wurden im Verlauf der Geschichte auch immer wieder mal angepasst etwa im Rahmen einer Klosterreform. Wäre es an der Zeit, auch in Uznach wieder einmal eine Reform durchzuführen?
Ecclesia semper reforandam, die Kirche bedarf der ständigen Erneuerung, heisst unser Motto in der Tat. Wenn ich daran denke, was mit unserem Kloster in den letzten zwanzig Jahren geschehen ist, dann würde ich von einer fortlaufenden Reform sprechen. Allein die Tatsache, dass sich die Mission von Afrika nach Uznach vor Ort verlagert hat, führte zu einer ausgesprochenen Neuausrichtung unseres Hauses.

Zum Jubiläum

Seit hundert Jahren wirken die Missionsbenediktiner von Uznach auf verschiedenen Kontinenten. Das Kloster St. Otmarsberg ist im Jahr 1963 aus dem Zusammenschluss zweier in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eröffneten Gemeinschaftshäuser der Benediktiner entstanden. Eine offizielle Gründung fand jedoch nicht statt, da zu dieser Zeit das Gründen von Klöstern und Bistümern verfassungsmässig verboten war. Vom 27. bis 29. September wird heuer das 100-Jahr-Jubiläum in Uznach gefeiert. Ein Höhepunkt der Feierlichkeiten wird die Einweihung eines Missionswegs sein, der rund um die Abtei St. Otmarsberg führt.

Wie sehen Sie die Perspektiven für das Kloster Uznach in Zukunft?
Mit Bestimmtheit wird die Abtei St. Otmarsberg ein Ort der Stabilität bleiben. Unabhängig davon, wie viel Bewegung es innerhalb unseres Ordens geben wird, kann davon ausgegangen werden, dass noch lange Zeit Leben durch diese Gemäuer strömt. Denn schliesslich gibt es, wenn alle Stricke reissen, auch immer noch einen Plan B: Dass auch ein Leben in diesem Haus ohne Mönche, dafür mit Laien, möglich sein wird.

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