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Verrücktes Wetterjahr: Bauern mussten Kühe notschlachten, Förster Bäume zwangsnutzen

Das Linthgebiet erlebte im Sommer eine regelrechte Dürre, die zu einer Katastrophe für die Landwirtschaft führte. Auch die Holzwirtschaft hat wegen der Trockenheit und wegen Stürmen stark gelitten. Die Winzer am Obersee jubeln derweil über eine historisch gute Ernte. Ein Rückblick auf das extreme Wetterjahr 2018.

05.01.19 - 04:30 Uhr
Politik

Das Jahr 2018 startete mit einem Paukenschlag im Linthgebiet: Anfang Januar fegt der Sturm «Burglind» durch die Gegend und reisst in den Wäldern Bäume um. Im Kinderzoo wehen die Dächer der Himmapan-Lodge und eines Heustalls davon, im Kapuzinerkloster Rapperswil fliegen Ziegel vom Dach, auf dem Fischmarktplatz stürzt eine Bühne zusammen.
Ende Februar herrscht eine Kältewelle im Linthgebiet: Bise und Frost legen am Obersee Baustellen lahm. Auf einen kühlen März folgt der zweitwärmste April seit Messbeginn 1864: Er übertrifft die Norm um vier Grad, schreibt Meteo Schweiz.
Es folgt ein Sommer der Rekorde: Er ist der dritte in kurzer Folge mit weit überdurchschnittlicher Temperatur. Zusammen mit den Sommern 2017, 2015 und 2003 hebe er sich mit seinen 15 Grad Durchschnittstemperatur (Tag und Nacht) deutlich ab von allen übrigen Sommern seit Messbeginn 1864, hält Meteo Schweiz fest: Im Linthgebiet hat sich die vom Frühling bis zum Herbst anhaltende Regenarmut zu einem «Jahrhundert-Ereignis» entwickelt.

Dürre-Hotspot liegt am Obersee

In den acht Monaten von April bis November fielen nur 59 Prozent der Norm. «Es fehlte der Regen von mehr als drei normalen Sommermonaten. Das ist das deutlich massivste April-bis-November-Regendefizit am Obersee seit Messbeginn 1864», schreibt Meteo Schweiz.
Klimatologe Stephan Bader hat in seiner 30-jährigen Karriere am Obersee noch nie eine Dürre erlebt wie in diesem Sommer. «Selbst im Hitzesommer 2003 verfärbte sich das Laub im Linthgebiet nicht», schildert Bader. Eine fatale Kombination sei gewesen, dass Hitze und Trockenheit zusammenfielen: «Je höher die Temperatur liegt, desto stärker ist die Verdunstung – und desto schneller trocknen die Böden aus.»
Wie brutal die Trockenheit einzelne Gegenden heimsucht, zeigt nur schon die Messstation in Weesen: In der Walensee-Gemeinde werden seit Frühling gerade einmal 480 Millimeter Regen registriert. Bader spricht im Fall von Weesen deshalb von einem «gigantischen Manko». Zwischen April und Oktober sei nur etwas mehr als ein Drittel des sonst üblichen Niederschlags gefallen. Im Linthgebiet gilt denn ab Ende Juli ein absolutes Feuer- und Feuerwerksverbot.

Bauern müssen Futter kaufen

Wegen der Jahrhundertdürre leidet die Landwirtschaft am Obersee am meisten: Bauern müssen Kühe verkaufen und notschlachten. Weil ihre Wiesen verbrennen, müssen sie Futter zukaufen. Weil die eigene Quelle versiegt und wegen der Hitze kein Gras mehr wächst, müssen Landwirte ihre Kuhherde auf der Alp mit Wasser aus dem Tal durch den Sommer bringen. Dass die Armee gratis das Wasser auf die Alpen transportierte, sorgte bei privaten Heli-Anbietern für Verärgerung.
Der Kanton St. Gallen erlaubt den Bauern im Linthgebiet, den Obersee und den Linthkanal anzuzapfen. Im Rietstuckweiher in Eschenbach kommt es bei den Fischen zu einem Massensterben: Die Fische ersticken, weil wegen Wassermangels der Zufluss des Weihers versiegt. Viele Gewässer am Obersee müssen abgefischt werden. Am 22. Oktober bricht hoch über Amden in einem Waldstück von 1500 Quadratmetern Grösse ein Brand aus. Die Gemeinde schrammt knapp an einer Katastrophe vorbei. Die Ursache des Brandausbruchs liegt in einer Feuerstelle.

Katastrophales Jahr für Wälder

Ende Oktober braust der Orkan «Vaia» durch das Linthgebiet und hält die Feuerwehren auf Trab. Diese müssen Bäume und Äste von den Strassen räumen. Rieden ist kurzzeitig ohne Strom. Der Sturm richtet in den Wäldern am Obersee immense Schäden an. Auch die lang anhaltende Trockenheit setzt den Wäldern zu. Dann kam der Borkenkäfer, der ebenfalls von der Trockenheit profitierte. In der Waldregion 4 müssen wegen des Borkenkäfers rund 2300 Kubikmeter Holz zwangsgenutzt werden. Weil sehr viele Bäume gefällt werden, brechen die Preise auf dem Holzmarkt vollends zusammen: Neben der Landwirtschaft gehört auch die Holzwirschaft zu den Leidtragenden dieses Jahres, die unter den heurigen Witterungsbedingungen besonders zu leiden haben.

Gewinner des Klimawandels

Es gibt naturgemäss auch Gewinner in diesem Jahr 2018, die vom warmen und trockenen Wetter profitiert haben: Neben den Bademeistern am Obersee, die teils Rekorde bei den Eintrittszahlen verzeichnen, gehören sicherlich die Winzer dazu. Die Witterungsbedingungen im vergangenen Jahr sorgten dafür, dass in den Weinkellern am Obersee ein hervorragender Jahrgang 2018 heranreift. Der Weinbau im Linthgebiet profitiert vom Klimawandel.
Dass der Klimawandel bereits da ist, bestätigt Stephan Bader: «Die Häufung von höheren Temperaturen und stärkeren Niederschlägen im Winter ist seit dreissig Jahren signifikant zu beobachten.» Eine Zunahme von ungewöhnlich regenarmen April–Oktober-Perioden sei in den Messreihen allerdings nicht zu beobachten, konstatiert der Klimatologe: In diesem Sinne könne die extreme Trockenheit im Sommer 2018 ein Einzelfall und «Ausreisser» bedeuten.
Dass Winzer zu den Gewinnern des Klimawandels gehören, bestätigt Bader gleichsam: So beobachtet der Klimaforscher, dass Weinbauern am Zürichsee seit einigen Jahren Merlot, der auf milde Temperaturen angewiesen ist, statt Riesling-Silvaner anpflanzen.

Ackerbau statt Viehzucht?

Bader geht davon aus, dass sich gemäss den Modellen der Trend zu wärmeren Jahren und zu mehr Regen im Winterhalbjahr fortsetzen werde. Es sei gut möglich, dass sich demzufolge Speicherseen, die im Winter dank stärkeren Niederschlägen gefüllt würden, zukünftig als Ausgleich in den Sommern als Wasserreservoir dienen könnten.
Weil es (noch) keinen definitiven Trend zu trockeneren Sommern gebe, sei es derweil offen, ob sich die Landwirtschaft bereits auf trockenere Phasen umstellen muss und etwa von Viehzucht auf Ackerbau umstellen soll. 

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