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Vom Schatz zum Drachen

Erich Jud beobachtet leidenschaftlich gern Paare in Restaurants. Dabei denkt er über die Liebe nach.

Linth-Zeitung
08.10.18 - 10:41 Uhr
Menschen & Schicksale
Erich Jud macht sich Gedanken über die Liebe.
Erich Jud macht sich Gedanken über die Liebe.
BILD MARKUS TIMO RÜEGG

von Erich Jud

Ein wunderbarer Anblick, die Mädchen und jungen Frauen. Hübsch und immer gut gelaunt. Wenn sie doch nur immer so blieben, denke ich immer und immer wieder. Und versuche absolut unwissenschaftlich, aber dafür so nah an der Realität wie möglich, zu ergründen, wieso aus fröhlichen Mädchen böse Weiber werden können. «Gopferdeckel, für nichts kann man dich brauchen», faucht die Frau ihren einstigen Liebling an. «Landi, nicht Aldi habe ich gesagt. Es braucht schon einen ausgemachten Idioten, der dies verwechseln kann.» Beide zünden sich eine Zigarette an, bestellen einen Kaffee und geniessen diesen während einer halben Stunde wortlos, dafür mit hasserfülltem Blick.

Warum wohl hat sich das liebe Schätzchen von damals zum Drachen, zu diesem echsenartigen Fabelwesen verwandelt? Nebenbei bemerkt: Lieber hätte ich einen Drachen als die obengenannte Frau im Hause. Denn Drachen kann man töten, ungerechtfertigte Vorwürfe und böse Worte nicht. Dass sich aber die böse Frau wieder bald zum Schätzchen zurückverwandeln würde, war schwer denkbar.

Wer nun glaubt, ich wäre ein Frauenhasser, liegt daneben. Denn mir ist bewusst, dass Frau wie Mann gleichermassen dazu beitragen können, dass aus Liebe Hass wird. Oder zumindest lähmende Langeweile. Vielleicht gibt es dennoch mehr weibliche als männliche Drachen, wie es auch mehr Hühner als Gockel gibt.

Ich habe mir eine Passion daraus gemacht, in Restaurants inkognito Paare zu beobachten. Um herauszufinden, ob es sich um eine neue oder eine gefestigte Liebesbeziehung handelt. Strahlen die Augen, hält man sich die Händchen und schaut einander tief in die Augen, ist man in der Regel wieder einmal frisch verliebt. Konzentriert man sich aufs Essen und Trinken und schweigt, ist es ein verheiratetes Paar. Je verbotener die Liebe, umso interessanter und aufregender scheint diese zu sein.

Szenenwechsel: Zwei ältere Frauen erzählen einander über ihre Beziehung zum starken Geschlecht. «Meinen Vater habe ich nie verstanden. Auch zur Gefühlswelt meines verstorbenen Mannes bin ich nie vorgedrungen, obwohl ich immer alles richtig zu machen versuchte. Das Leben mit ihm war die Hölle.» Ähnliches und über riesengrosse Schwierigkeiten in der Ehe erzählt auch ihre Kollegin. Erst als der Mann krank geworden sei und wegen eines Gebrechens ihre Hilfe gebraucht habe, sei alles ein wenig besser geworden.

Die ewige Liebe scheint also ein eher rares Gut zu sein. So gar nicht wie dieses immer besungen wird. Ist es also vielleicht doch so, wie es Woody Allen sagte: Die Ehe ist der Versuch, zu zweit mit Problemen fertig zu werden, die man alleine nie gehabt hätte. Ein treffenderer Grund ist, dass wir Menschen immer das wollen, was wir nicht haben. Und noch sicherer ist, dass wir unser Glück immer erst dann schätzen, wenn wir es bereits wieder verloren haben. Dies in jeder Hinsicht. Wie jeder Leser dies aus eigener Erfahrung wissen dürfte.

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