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«Es braucht Kreativität, Zeit und Vorarbeit»

Was macht einen guten Podcast aus? Welche Formate werden siegen? Und was tut eigentlich eine Podcastschmiede? Besuch bei Gründer Nico Leuenberger.

Agentur
sda
08.07.20 - 11:32 Uhr
Kultur
Die Befürchtungen von Nico Leuenberger, Gründer und Inhaber der Podcastschmiede, haben sich nicht bewahrheitet: Podcasts boomen trotz der Coronakrise.
Die Befürchtungen von Nico Leuenberger, Gründer und Inhaber der Podcastschmiede, haben sich nicht bewahrheitet: Podcasts boomen trotz der Coronakrise.
Keystone/GORAN BASIC

Die Schallisolation besteht aus einer Matratze und einer Wolldecke. Abenteuerlich nennt man das wohl. Nico Leuenberger lacht. Sein kleines Büro in Winterthur ist auch ein Podcaststudio - deshalb die Matratze und die Decke. «Es ist gebastelt», sagt der 36-Jährige. «Doch es funktioniert.» Und so entstehen dort die meisten seiner Produktionen und Arbeiten.

Seit Leuenberger die Ohren der Schweizer mit Informationen, Geschichten, Humor und Emotionen versorgt, ist er auch in Zürich im EWZ Selnau anzutreffen. Dort hat der Podcast Club Switzerland, ein Non-Profit-Verein, deren Co-Präsident Leuenberger ist, ein Kabäuschen mit der nötigen Technik installiert.

Leuenberger hat bei der Planung und dem Bau mitgeholfen. Das Studio wird zurzeit von durchschnittlich fünf Personen pro Woche benützt, das Ziel wären 10 bis 15. «Es zieht an», sagt Leuenberger. Er sagt aber auch: «Es gibt noch Luft nach oben.»

Geschichten so erzählen, wie man will

Leuenberger ist ein Radiomann. Zehn Jahre hat er für unterschiedliche Sender in der Schweiz gearbeitet - er hat moderiert, recherchiert und produziert. Geschichten habe er schon als Jugendlicher gerne und öffentlich erzählt. Trotzdem hat er mit einem Bauingenieur-Studium begonnen. «Ich dachte, es müsse etwas Rechtes sein», sagt er. «Radiomoderator, das kann man doch nicht lernen.»

Als er in der Studienberatung erfährt, dass das sehr wohl geht, wechselt er den Studiengang und schliesst an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften die Journalistenausbildung ab. Es folgen Praktika und ein ganzes Jahrzehnt bei den verschiedenen Radioanstalten.

Als er merkt, dass es wegen der Sparmassnahmen nicht mehr möglich ist, Geschichten so zu erzählen, wie er sich das vorstellt, entscheidet sich Leuenberger Anfang 2019 für den Weg in die Selbstständigkeit und gründet die Podcastschmiede. Er nimmt zur Existenzsicherung ein Kommunikationsmandat bei einer Stiftung an («mein bedingungsloses Grundeinkommen», wie er es nennt) und beginnt, Podcasts herzustellen.

«Abverheit» entsteht, eine Sendung übers Scheitern. Unternehmerinnen und Unternehmer erzählen Leuenberger von ihren besten Ideen, die dann doch nicht funktioniert haben.

Podcastboom trotz Corona

Leuenberger zeigt sich, macht Werbung, sucht Sponsoren. Mit mässigem Erfolg. «Die Zeit war noch nicht reif.» Doch er gibt nicht auf. Und plötzlich «hängt es ein». Grosse Namen wie Avenir Suisse oder Economiesuisse werden seine Kunden. Und auch die Schweizer Medienhäuser machen mit. «Es gab einen Push», erinnert sich Leuenberger.

Seine Hartnäckigkeit zahlt sich aus, seine Qualität wird geschätzt. Er wird weiterempfohlen. So produziert er nun unter anderem den Wissenschaftspodcast «Durchblick» für den «Blick» oder eine Sendung für die Migros zum Thema Nachhaltigkeit («Chrut & Rüebli»). Wichtig ist ihm: «Ich bin kein Werbekanal. Ich bereite die Themen so auf, wie ich es als richtig empfinde.» Er behält sich auch vor, Aufträge abzusagen. Die Podcastschmiede ist momentan ausgelastet, für eigene Projekte fehlt die Zeit.

Für Leuenberger ist klar: «Podcasts sind, wie so vieles, ein Luxusgut. Ich fürchte, dass sie verschwinden, wenn eine Krise kommt. Weil die Mittel nicht mehr aufgebracht werden wollen.»

Diese Aussage liess sich schneller überprüfen als gedacht. Im März kam das Coronavirus ins Land. «Momentan ändern sich die Hörgewohnheiten, weil das Pendeln wegfällt», so Leuenberger kurz danach. «Das schadet zwar gewissen Podcasts, andere aber sind durch die Krise aufgeblüht, allen voran natürlich das Corona Update des NDR mit Christian Drosten oder der Corona-Podcast von Radio 1.» Abgesehen von denjenigen Podcasts, die an Live-Events geknüpft waren, seien keine Aufträge zurückgezogen worden. «Meine Befürchtungen haben sich zum Glück nicht bewahrheitet.»

So halten sich in der Podcastschmiede die entfallenen Aufträge etwa die Waage mit neuen Aufträgen. «Wir haben zum Beispiel Texte zur Corona-Sondersession des Parlaments vertont», so Leuenberger. «Es freut mich, dass in der Krise auch neue Wege ausprobiert werden, und da eignen sich Podcasts als intimes Medium mit hoher Glaubwürdigkeit sehr.»

Was ist ein guter Podcast?

Was ist denn ein guter Podcast? Wichtig sei, die Zielgruppe genau zu definieren, so Leuenberger. Grundsätzlich plädiert er hierzulande ausserdem für Mundart. «Die Menschen sind einfach authentischer - und das hört man.»

Leuenberger findet nicht die perfekt produzierten Podcasts am besten. «Einige Ähs, Räusperer, Hintergrundgeräusche oder Pausen sollen durchaus drin bleiben. Einer sterilen Aufnahme fehlt das Leben.» Weitere Fallstricke: Viel zu oft werde versucht, vermeintlich Erfolgreiches zu kopieren. Zudem fehle vielen die Erfahrung. Das höre man nicht wenigen Produkten an.

Der Blick auf schnellen Erfolg und hohe Klickzahlen bringe nichts. «Es braucht Kreativität, Zeit und eine gründliche Vorarbeit», so Leuenberger. Und allem voran ein Alleinstellungsmerkmal. Er bringt die Analogie zum Büchermarkt: Rund 70'000 belletristische Werke erscheinen jedes Jahr. Lesen kann ein einzelner Mensch nur die wenigsten. Wie also auffallen? Wie eine gewisse Relevanz schaffen und die Menschen dazu bringen, dem Produkt treu zu sein? Und vor allem: Wie gelingt es, dass bei den Hörern das Kopfkino zu laufen beginnt? Wenn diese Fragen erfolgreich beantwortet werden könnten, sei es auch die Frage beantwortet, was ein guter Podcast ist.

Und wie lebt es sich als professioneller Podcasthersteller? «Ganz gut», sagt Leuenberger. Was hilft: Er sei keine ängstliche Person und könne die Fixkosten tief halten. Doch: «Wem ein sicherer Arbeitsplatz wichtig ist, wird in dieser Branche nicht glücklich.»

Momentan sucht er neue Räumlichkeiten. Der Vertrag in Winterthur läuft im September aus. Ob die Matratze und die Wolldecke den Umzug überleben, weiss Nico Leuenberger noch nicht. «Es wäre eine schöne Anekdote», sagt er. Vielleicht sogar der Anfang eines Podcasts.

www.podcastschmiede.ch

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