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«Mich inspirieren Momente, nicht Orte»

Am Freitag wird die Platte des Glarner Rappers T-31 im Holästei in Glarus getauft. Der 26-Jährige, der mit bürgerlichem Namen Tahir Boshtraj heisst, hat die «Südostschweiz» bereits jetzt in seinen musikalischen Solo-Erstling «Ungeziifr» hören lassen. Zudem spricht er übers Schwarzmalen, Ungeziefer und Kasperlitheater.

Südostschweiz
11.09.18 - 04:30 Uhr
Kultur
Ein Ungeziefer: T-31 ist dreckig, eklig, aber real – diese Rolle verkörpert Tahir Boshtraj aber lediglich auf der Bühne und nicht im wahren Leben.
Ein Ungeziefer: T-31 ist dreckig, eklig, aber real – diese Rolle verkörpert Tahir Boshtraj aber lediglich auf der Bühne und nicht im wahren Leben.
PRESSEBILD

Von Johanna Burger

T-31, wer ist das?

T-31 ist ein Urwesen (lacht). Eines, das lange dafür kämpfen musste, dass es mal eine Stimme bekommt. Es ist das Alter Ego von Tahir. Tahir, der sich an die Regeln hält, der lieb ist und ein Blatt vor den Mund nimmt, wenn er sein Gegenüber verletzen könnte. T-31 ist überhaupt nicht so, er ist genau das Gegenteil. Er ist ein Ungeziefer: dreckig, eklig, aber real.

«Ich sitze manchmal im Zug und höre ein Kind ein Lied summen, das inspiriert mich.»

Du meintest einst, dich würden nicht Orte, sondern Momente inspirieren. Kannst du dich noch an Momente erinnern, die dich auf Ideen für diese Platte (EP) «Ungeziifr» gebracht haben?

Ich muss sagen, diese EP besteht eher aus einzelnen Fragmenten, die zusammengeführt wurden. Die einen Tracks sind fünfjährig, andere sind jünger, und einige sind sehr, sehr jung. Das sind einzelne Geschichten, die in sich verwoben sind. Aber zur Inspiration: Ich sitze manchmal im Zug und höre ein Kind ein Lied summen, da kann ich schon inspiriert sein und etwas schreiben. Ich sehe manchmal an einer seltsamen Stelle eine Pflanze, eine Blume, die heraussticht, und denke mir schon: «Wie bist du dorthin gekommen? Wieso passt du nicht dort rein, und doch bist du dort?» Solche Augenblicke sind das. Das können Sekunden sein, in denen ich irgendwo vorbeifahre. Aber die EP selber, das sind Sachen, die passiert sind, und ich habe versucht, sie auf Papier zu bringen. Meine ältesten Werke werden da veröffentlicht.

«Ungeziifr» ist ein Song und gleichzeitig der Titel der EP.

Ja. Musik wandelt sich stetig, und wir (das Hiphop-Kollektiv Heaven in Hell, HIH, dem auch T-31 angehört) machen eher etwas, das ein bisschen älter ist, so 90er-Jahre-mässig. Das ist jetzt etwas lausig ausgedrückt, aber wir arbeiten eher auf Samplebeats und weniger auf Trap oder diesem Moderneren, das im Radio läuft. Unsere Musik würde wohl nie im Radio gespielt. Man sagt so schön, dass, wenn die modernsten Waffen zum Zug kommen, dann überlebt nur das Ungeziefer. Wobei, um ehrlich zu sein, und real betrachtet, mit diesen heutigen atomaren Waffen würden sie wohl auch das nicht überleben.

Was ist für dich Ungeziefer?

Früher war für mich das Ungeziefer immer das, was übrig bleibt, wenn alles andere schiefgeht. Hierfür hat mich ein Nachtfalter inspiriert. Ich wartete im Zug, und ein Falter klebte an der Aussenseite des Fensters. Ich sah ihn von der Innenseite des Zugs und fand «Gott, bist du hässlich, also wirklich mega wüst.» Dann, als ich nach Hause gelaufen bin, am Zug vorbei, sah ich, dass sein Mantel wunderschön aussah. Da fand ich: «Wie viele Leute tragen einen schönen Mantel, sind innerlich aber hässlich, sind ein Ungeziefer.» Wir (HIH) zeigen das, wir machen das, was wir sein wollen. Wir müssen uns nicht schmücken im Umhang der Zeit. Wir sind so, roh. Wir brauchen in einem Song keine vier Zeilen, die wir vier Mal wiederholen müssen. Sondern wir schreiben nur drei Bretter, und das ist ein Song.

Nebst «Ungeziifr» rappst du auch über «Wandverdräggr» – hast du etwas gegen Graffiti?

Überhaupt nicht, das ist ja «a alli Anderschtdänggr, chranggi Wandverdräggr». Krank bezieht sich auf sick sein, im Sinne von anders sein. Nein, im Gegenteil, ich finde Graffiti schön. Ich finde es aber schade, dass sie missbraucht werden. Wenn jetzt jemand seine zwei Buchstaben an eine Wand sprayt, finde ich das nicht schön. Aber es gibt wundervolle Künstler. Ich liebe das. Wenn ich meine Wand vertaggen lassen könnte, würde ich das sehr gerne machen. Aber natürlich: Alles hat seinen Ort und Platz und muss bewilligt sein.

Auf dem dritten Song der EP ist da ein Kasperlitheater mit in den Beat gewoben?

Richtig, ja (lacht). Das war Jokees Idee. (ein weiterer Rapper von HIH, Anmerkung der Redaktion).

Welche Rolle spielten denn der Kasperli und Musik in deiner Kindheit?

Ehrlich gesagt: Kasperlitheater habe ich nicht gehört. Ich wurde gross mit den Liedern, die mein Vater gesungen hat, und ich habe mitgesungen, schon als ich vier war. Das waren alte kosovarische Lieder, die kennt man heute gar nicht mehr. Später, in der Primarklasse, kann ich mich erinnern, da habe ich mit einem Freund ganze Mittwochnachmittage vor dem Fernseher gesessen und darauf gewartet, dass Eminem, also «Slim Shady», auf Viva läuft. Das ging teils drei Stunden, bis der wieder lief! Und ich ging immer in die Bibliothek, habe dort CDs ausgeliehen und dann mitgesungen. Ich war mehr der Sänger. Das mit dem Rappen hat erst mit dreizehn begonnen.

«Früher war für mich das Ungeziefer immer das, was übrig bleibt, wenn alles andere schiefgeht.»

Bei HIH bist du dabei seit ...?

2006. Mit Jokee zusammen. Da bin ich reingerutscht. Ich weiss auch nicht, was die wollen mit einem Typen wie mir (schmunzelt).

Beim Durchhören der ganzen EP zeigt sie sich als eher düster und nachdenklich. Könnte man dich als gequälten Künstler bezeichnen?

Solange ich mich nicht selber so bezeichnen muss, ist doch alles in Ordnung. Ich nehme es niemandem übel. Ich male gerne schwarz. Ich hatte lange nur schwarze Farbe auf meiner Palette. Wenn du nur diese Farbe zur Verfügung hast, malst du nur damit.

Wenn wir gerade von Schwarz sprechen, du hast einen gleichnamigen Track. Dort malst du auch – und zwar ein ziemlich düsteres Menschenbild. Wann bekommst du diesen Eindruck der Menschheit, und bleibt da Hoffnung?

Wann ich den Eindruck bekomme? Gerade ist das sehr aktuell. Der Song begleitet mich aber schon, seit ich in der Schweiz bin, um ehrlich zu sein. Bleibt Hoffnung? Ja, sie muss. Ich rede mir das ein. Sonst habe ich keinen Grund zum Weitermachen.

Von «Schwarz» gibt es gleich zwei Versionen auf der EP, einmal die Originalversion und dann den Remix.

Ich wollte den Song zuerst nicht so düster aussehen lassen. Ich wollte ihn einkleiden in etwas Schönerem. Wie das Ungeziefer, eben der Nachtfalter. Als Schöneres gegen aussen habe ich einen lockereren Beat genommen. Aber dann konnte mich Jones (ebenfalls ein Rapper von HIH) doch davon überzeugen, dass ich «Schwarz» auch sein wahres Gesicht geben soll. Deshalb ist jetzt der Remix auf der EP drauf.

Zusammen mit dem Remix sind acht Tracks auf der EP, hast du da einen Liebling?

Es kommt drauf an inwiefern ein Liebling: Zum Hören sind es «Schwarz» und «Ungeziifr». Wenn ich die höre, begebe ich mich in eine andere Welt. Am liebsten geschrieben habe ich «Märli», weil ich dort mit Silben spiele. Zum Performen: «Hungrig», weil da die die Menge gut mitmacht.

«Zuerst will ich mein Pädagogik-Studium abschliessen, das wäre also mehr der Tahir.»

«Hungrig» ist auch einer der Songs, zu denen es bereits ein Video gibt. Ein weiteres ist «Schwarz» und dann gibt es noch einen Mitschnitt eines Auftritts von dir zu «Märli». Sind da noch mehr Videos geplant?

Nein, geplant sind zu dieser EP keine mehr (kurze Pause). Vielleicht gebe ich doch noch was raus. Ich weiss es noch nicht, ich habe da schon etwas im Hinterkopf.

Da sind wir gespannt, was die Zukunft bringt. Apropos: In «Alles guät sowiit» sagst du, dass du keine Angst vor der Zukunft hast. Was bringt sie denn für dich?

Zuerst will ich mein Pädagogik-Studium abschliessen, das wäre also mehr der Tahir. Und T-31 ist wieder an neuen Sachen dran mit HIH. Das läuft. Es kommt Neues.

Die Plattentaufe von «Ungeziifr» findet am Freitag, 14. September, ab 22 Uhr, im Kulturzentrum Holästei statt.

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