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In Chur ist soviel Kokain im Umlauf wie noch nie

Chur wird überschwemmt von Kokain. Längst ist das weisse Pulver keine «Reichen-Droge» mehr. Zu jeder Tageszeit erhält man die Droge auf den Churer Strassen. Das zeigen Recherchen von Radio Südostschweiz.

Südostschweiz
03.05.18 - 12:15 Uhr
Ereignisse
Kokain Drogen Kokainkonsum Geldnote
Kokain erfreut sich in Chur immer grösserer Beliebtheit.
YANIK BÜRKLI

«In Chur gibt es zurzeit eine richtige Schwemme an Kokain auf den Strassen. Es scheint überall verfügbar zu sein.» Diese Aussagen machte Margrith Meier, Leiterin des Ambulatoriums Neumühle in Chur gegenüber RSO-Redaktor Simon Lechmann. Im Ambulatorium finden Menschen mit Kokainproblemen Hilfe, der Aussage von Meier darf Beachtung geschenkt werden.

Kokain wird immer günstiger

Kokain, umgangssprachlich «Koks, Koki oder Schnee», ist schon lange nicht mehr die Droge der Reichen. Kokain ist in Mode und auch bei weniger vermögenden Leuten immer beliebter. Gemäss Umfragen ist Kokain nach Cannabis die meist konsumierte Droge in der Schweiz. «Seit 2005 hat man einen Preiszerfall von Kokain festgestellt», erklärt Meier. Kostete ein Gramm Kokain in den Neunzigerjahren noch Hunderte von Franken, ist es heute auf der Strasse für 60 bis 100 Franken zu haben.

Dass Kokain so günstig ist und überall zur Verfügung steht, sei problematisch, wie Margrith Meier ausführt: «Kokain ist eine Substanz mit grossem Suchtpotenzial. Der Drang nach mehr ist sehr gross. Konsumenten kaufen beispielsweise zehn Gramm, um es auf eine Woche aufzuteilen.» Wer aber zehn Gramm kaufe, neige auch dazu, diese dann direkt zu konsumieren. Die Droge löse ein derart gutes Gefühl aus, dass man immer mehr wolle.

Margrith Meier über die Abhängigkeit von Kokain.

Bessere Stimmung durch Kokain

Diesen Suchthunger erlebte auch Konsument Andreas B.*. «Ich habe täglich ein Gramm konsumiert, mehr konnte ich mir nicht leisten. Wenn ich mal zu wenig Geld hatte, habe ich den Koksmangel mit Alkohol gedeckt.» Den Grund für seinen Konsum beschreibt B. so: «Koks war gut für meine Stimmung, ich konnte dann besser mit Leuten sprechen.»  

Heute sei Kokain in Chur, im Gegensatz zu früher, jederzeit verfügbar. Das erste Mal hat B. das weisse Pulver in Chur auf der Bahnhofstoilette gekauft. «Mir wurde gesagt, dass da Afrikaner Kokain verticken.» Das Kokain kaufte B. dann meist beim gleichen Dealer. «Sobald man die Nummer vom Dealer hatte, konnte man rund um die Uhr Koks kaufen. Es lag nur am Geld, wenn man keines kaufen konnte, nicht am Angebot.»

Der Geldmangel wurde B. schliesslich zum Verhängnis. Er hat jeden Monat rund 3000 Franken für Kokain ausgegeben, bis es nicht mehr ging. Seit kurzem ist er in einer Reha. «Mit einem Gramm täglich war ich aber nur ein kleiner Kokser. Viele konsumieren drei bis vier Gramm pro Tag», erzählt B. weiter. «Wer so viel nimmt, dreht dann aber krumme Dinger, dealt selber, klaut oder verübt Einbrüche.»

Mehr Dealer, mehr Stoff

Die Bündner Kantonspolizei beschlagnahmt immer mehr Kokain. Letztes Jahr war es die fünffache Menge des Durchschnitts der letzten Jahre. Statt 200 bis 300 Gramm, waren es im Jahr 2017 total ein Kilo und 240 Gramm. Gross zu Buche schlägt ein Zufallsfund bei einer Kontrolle in Südbünden. Dabei stellte die Polizei auf einen Schlag ein Kilo Kokain sicher. Aber nicht nur die Menge hat sich markant erhöht, auch die Anzahl Personen, bei denen das weisse Pulver beschlagnahmt wurde, hat sich fast verdoppelt. Der übliche Jahresschnitt lag bei rund 52 Personen, im letzten Jahr wurde aber bei 93 Konsumenten, Dealern oder Kurieren Kokain sichergestellt.

Dass es aktuell so viel Kokain in den Churer Strassen hat, kann Markus Walser, Mediensprecher der Kantonspolizei Graubünden, weder bestätigen noch dementieren. «Wir können keine Aussage machen, weil wir selber nicht wissen, wie viel Kokain im Umlauf ist.»

Der Kokainkonsum sei auf den ersten Blick nicht sichtbar, denn konsumiert werde im Versteckten: Auf einer Toilette in einem Club oder in einer Bar. Aus diesem Grund könne man nur aus Verdachtsmomenten und Hinweisen aus der Bevölkerung tätig werden und ermitteln. Diese Ermittlungen seien aber sehr zeitintensiv und aufwändig, so Walser.

Markus Walser zu Aufwand und Fahndungen.

Mehr «Koks» im Abwasser

Was in der Nase landet und dann später vom Körper wieder ausgeschieden und im WC runtergespült wird, kann in der Abwasserreinigungsanlage ARA nachgewiesen werden. Im Abwasser wird dabei die Konzentration von Benzoylecgonin gemessen. In Chur ergaben diese 2014 130,6 und 2015 178,6mg pro 1000 Einwohner und Tag. Das geht aus einer Abwasserstudie der ETH-Wasserforschungsstelle Eawag hervor.

«Umgerechnet bedeutet das, dass 2014 in Chur im Schnitt täglich 31 Gramm Kokain konsumiert wurden», erklärt Dr. Christoph Ort, Mitautor der Studie. Ein Jahr später waren es schon 42 Gramm. Neuere Zahlen liegen nicht vor, da in Chur seither keine Messungen mehr gemacht wurden. «Da wir nur zwei Datenpunkte haben, würde ich wohl den Mittelwert der beiden Jahre nehmen, also rund 36 Gramm», so Ort weiter.

*Name der Redaktion bekannt

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SO schreibt:
"Chur wird überschwemmt von Kokain. Längst ist das weisse Pulver keine «Reichen-Droge» mehr. Zu jeder Tageszeit erhält man die Droge auf den Churer Strassen."
Und:
"Die Droge löse ein derart gutes Gefühl aus, dass man immer mehr wolle."
Konklusive Frage von Donald Duck:
Das Leben in Chur löst zu wenig "gute Gefühle" aus bzw. wäre turnaroundwürdig (wie der GR-Tourismus)?

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