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Warnen, bevor die Keller voll sind

Viel Schnee, viel Wärme und viel Regen: Das sind die Zutaten für Hochwasser im Frühling. Man sei heute viel besser vorbereitet als im Frühling 2005, als das Wasser Schäden in Millionenhöhe verursachte.

Sebastian
Dürst
07.04.18 - 04:30 Uhr
Ereignisse
Fredy Braun von der Feuerwehr Glarus füllt zusammen mit einem Mitarbeiter des Werkhofs Sandsäcke im Depot im Buchholz.
Fredy Braun von der Feuerwehr Glarus füllt zusammen mit einem Mitarbeiter des Werkhofs Sandsäcke im Depot im Buchholz.
SASI SUBRAMANIAM

Es ist wie bei den Fluglotsen im Tower des Flughafens in Kloten: Wenige Leute tragen viel Verantwortung – und werden trotzdem nicht nervös. «Wir gehen nach einer Standardprozedur vor», sagt Dani Rüegg, Abteilungsleiter Wald und Naturgefahren beim Kanton Glarus. Das heisst: Nur weil es im Moment viel Schnee in den Bergen hat und wärmer wird, stehen die Mitarbeiter von Dani Rüegg noch nicht an der Linth und beobachten ängstlich den Pegelstand oder versuchen, mit dem Auge die Schneehöhen abzuschätzen.

«Es braucht drei Faktoren, damit es zu einem Frühlings-Hochwasser kommt: Viel Schnee und warme Temperaturen, das haben wir im Moment. Aber es braucht auch noch viel Regen bis weit oben in den Bergen. Und das haben wir nicht», sagt Rüegg.

«Wir müssen wissen, wo das Wasser kommt und wo die Menschen sind.»

Natürlich lehnen sich die Verantwortlichen nicht einfach zurück und warten ab, was passiert. Aber: «Wir erhalten zwei bis drei Tage vorher eine Vorwarnung von Meteoschweiz», sagt Rüegg. Und dann beginne die Arbeit des Prognoseteams: Mit Schneemessstationen, Durchfluss-Messern in den Flüssen und Bächen, Niederschlagsmessern und Meteo-Stationen könne man in Echtzeit die Situation erfassen. Aus all diesen Daten kann das Prognoseteam dann mit einem Hochwasser-Modell berechnen, ob und wo es eine Gefahr gibt. Das Prognoseteam der Abteilung Wald und Naturgefahren entscheidet aufgrund dieses Modells, ob eine Warnung herausgegeben werden muss.

Seit 2005 stand dieses Team 22 Mal im Einsatz, zum Teil über mehrere Tage. Zehnmal wurde Warnstufe gelb ausgerufen. Das bedeutet, dass die Feuerwehren und anderen Helfer sich einsatzbereit machen. Viermal wurde Warnstufe orange ausgerufen, die Feuerwehren wurden aufgeboten.

Das Glarner Modell ist ein Exportschlager

«Unser Ziel ist es, zu warnen und Vorbereitungen zu treffen, bevor die Keller voll mit Wasser sind», sagt Dani Rüegg. Der Kanton Glarus sei beim letzten grossen Hochwasserereignis im Jahr 2005 ungenügend vorbereitet gewesen. Das Wasser hat vor 13 Jahren Schäden in Millionenhöhe verursacht.

Aber auch ein Umdenken: Das Abflussprognose-Modell wurde 2005 als Pilotprojekt gestartet. Damit sind frühe Warnungen besser und schneller möglich. Heute wird das Glarner Modell auch im Kanton Zürich für die Sihl und im Tessin angewendet. Nur auf die Daten verlassen will sich Dani Rüegg aber nicht. «Ein Modell funktioniert so, dass es aktuelle Daten mit Erfahrungen von früher zusammenbringt», sagt er. Und diese Erfahrungen seien nicht nur alte Daten, sondern auch die Erfahrungen, das Gespür der Mitarbeiter. Und schliesslich gelte es auch abzuwägen, wo es das grösste Schadenspotenzial gebe. «Das ist ganz einfach: Wir müssen wissen, wo das Wasser kommt und wo die Menschen sind», sagt Rüegg. Anschliessend könnten die Massnahmen bestimmt werden.

Wenn das Wasser kommt, bleibt die Massnahme klassisch

Die Massnahmen bei Hochwasser sind sehr klassisch und werden von den Feuerwehren, unterstützt durch die Werkdienste, ausgeführt: Um das Wasser zu stoppen, werden Sandsäcke gestapelt oder die orangen, mit Wasser gefüllten «Beaver»-Dämme aufgestellt.

Weil es viel mehr Schnee als letztes Jahr hat und die Temperaturen langsam, aber sicher steigen, werden vorsorgliche Massnahmen getroffen.

Die Feuerwehr Glarus hat zusammen mit den Glarner Werkhofmitarbeitern in der letzten Woche hunderte von Sandsäcken mit der Sandsack-Abfüllmaschine vorbereitet. «Wenn man diese Möglichkeit hat, ist diese Massnahme sicher nicht falsch», kommentiert das Feuerwehrinspektor Josef Gisler.

Neben der Vorwarnung und der Warnung habe man auch die Interventionplanung in den letzten 13 Jahren verbessert. Auch wenn sich hier die Digitalisierung nicht niederschlägt. «Wenn man Menschen und Gebäude vor Wasser schützen will, kann man die Welt nicht neu erfinden», sagt Gisler.

Aber man kann, wie es geschehen ist, die Intervention bis zu einem gewissen Mass planen. «Und das haben wir gemacht», sagt Gisler. Mit dem Wasser-Interventionsplan (WIP) wissen alle Feuerwehren, wann was wo getan werden muss. Bei einem Ereignis ermöglicht dieser Plan ein strukturiertes und effizientes Vorgehen. «Dabei gilt wie bei anderen Feuerwehreinsätzen auch, Personenschutz vor Sachwertschutz», so Gisler.

Und Dani Rüegg sagt: «Natürlich, das Wasser ist und bleibt die grösste Naturgefahr. Man soll sie aber nicht verteufeln: Wasser ist auch eine Lebensader.»

Sebastian Dürst ist Redaktionsleiter der «Glarner Nachrichten». Er ist in Glarus geboren und aufgewachsen. Nach Lehr- und Wanderjahren mit Stationen in Fribourg, Adelboden und Basel arbeitet er seit 2015 wieder in der Heimat. Er hat Religionswissenschaft und Geschichte studiert. Mehr Infos

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