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Kleines Virus, grosse Wirkung

Südostschweiz
09.04.20 - 04:30 Uhr

Spitzensport – für die meisten Athletinnen und Athleten bedeutet dies harte Arbeit, Entbehrungen und eine grosse Portion Leidenschaft. Im Format «Sportlerblog» schreiben junge Bündner Sporttalente über ihren Weg an die Spitze.

von Marino Capelli

An dieser Stelle hätte ich Euch sehr gerne etwas über gute Rennresultate oder ähnliches berichtet. Da ja aber aktuell ein gewisser «Mister Corona» das internationale Geschehen weitestgehend bestimmt, ist dies leider nicht möglich. Stattdessen werde ich in den nächsten paar Zeilen versuchen, Euch an einigen Gedanken zur Corona-Krise aus Sicht eines Spitzensportlers teilhaben zu lassen.

Für mich hatte das Saisonende noch früher und unerwarteter stattgefunden als für viele andere, nämlich schon am 9. Februar. Geplant war nach diesem Rennwochenende ein dreiwöchiger Trainingsblock. Anfangs März, als es mit den Rennen wieder weitergehen sollte, kam eben dieser internationale Gast, der sich momentan als sehr wichtig aufführt und das Gefühl hat, er könne die Weltherrschaft übernehmen.

Ungewissheit als Belastung

Am Freitag dem 28. Februar hatte ich am Vormittag noch ganz normal meine Wettkampfvorbereitung auf der Rennstrecke absolviert und am Nachmittag auch noch meine Skis vorbereitet. Leider kam jedoch am Abend der Bescheid, dass in Graubünden ab sofort alle Wettkämpfe untersagt seien. Von da an folgten laufend weitere Absagen von Wettkämpfen und je nach Land auch bereits andere allgemeine Einschränkungen des öffentlichen Lebens.

Es folgten für mich Tage der Ungewissheit. Ich versuchte, zusammen mit Kollegen spontan zu reagieren und zu schauen, welche alternativen Möglichkeiten es bezüglich Training und Rennen gibt – natürlich immer im Rahmen des Erlaubten. Die Gesundheit aller steht natürlich klar an erster Stelle. Für mich als Sportler sowieso, da mein Körper und meine Gesundheit schlussendlich mein Kapital sind, um überhaupt die Leistungen zu erbringen. So gesehen haben die Behörden absolut richtig entschieden. Am Anfang war es jedoch schwer zu akzeptieren, dass es so ist. Ich glaube aber, das ist menschlich und geht vielen von uns so, egal ob Sportler oder nicht. Gerade, wenn man etwas so gerne und leidenschaftlich macht, wie ich das Langlaufen, ist ein solcher «Lockdown» besonders einschneidend. Ich trainiere den ganzen Sommer jeden Tag hart, um im Winter möglichst gut an den Wettkämpfen abzuschneiden.

Am Anfang hatte ich ziemlich den «Anschiss». Nachdem Mitte März definitiv alles abgesagt wurde, fasste ich mich zum Glück schnell wieder. Es war für mich nun klar, dass «Mister Corona» definitiv das Zepter übernommen hat. Endlich hatte ich auch die Gewissheit, dass ich mich diese Saison nicht mehr auf Rennen vorbereiten muss. Denn das schwierigste an der Situation war die Ungewissheit. Nicht zu wissen, ob allen Einschränkungen zum Trotz in einigen Tagen dennoch der nächste Wettkampf ansteht. Ich baue zu den Rennen hin jedes Mal eine gewisse Spannung auf. Die hilft mir schliesslich, dass ich voll fokussiert das Rennen bestreiten kann. Für das ist u.a. genau auch die oben erwähnte spezifische Wettkampfvorbereitung am Tag vor dem Rennen.

Trainings in Davos weiterhin möglich

Von diesem Moment an gab es für mich eigentlich nur noch zwei Optionen: entweder ich versinke im Selbstmitleid und denke immer, was ich für ein armer Mensch bin – oder aber ich sage mir, dass ich es jetzt erst recht packe und dann das Beste aus der ganzen Situation mache. Ich habe mich für Letzteres entschieden.

Zudem wurde mir bald einmal bewusst, dass es mir ja eigentlich nicht so schlecht geht. Ich bin mega froh, dass ich gesund bin und jeden Tag aufstehen kann und mich trotz allem noch in der Natur bewegen gehen darf. Schliesslich habe ich in Davos das Privileg, dass ich auf den immer noch präparierten Loipen meine Trainings absolvieren kann. Zu dieser Jahreszeit kann ich zudem bei schönem Wetter (klare, kalte Nacht und blauer Himmel am Tag) auch abseits der Loipen zu sogenannten Firntouren gehen, wo man auf dem gefrorenen Schnee langlaufen kann, ohne dass man einsinkt. Wenn man also meine Situation in Relation mit den Leuten setzt, die aktuell an COVID - 19 erkrankt sind oder andere Nöte haben – wie beispielsweise Hunger, kein Dach über dem Kopf, Naturkatastrophen, fehlende Schulbildung – weiss ich, dass ich mich sowieso nicht beklagen darf.

Die positive Einstellung, zusammen mit genügend Bewegung hilft mir sehr, durch Krisen zu kommen. So bin ich überzeugt, dass wir alle zusammen auch den «Mister Corona» zur Vernunft bringen können, und uns danach wieder dem «normalen» Alltag (hoffentlich gestärkt mit einem gefüllten Rucksack an positiven Erfahrungen) widmen können. In diesem Sinne wünsche ich allen beste Gesundheit und trotz der schweren Zeit, dass ihr den Mut und das Lachen nicht verliert. Stay strong!

Der 24-jährige Davoser ist Langläufer im U24-Kader von Swiss Ski. Seit er mit sechs Jahren mit dem Langlaufen begann, hat ihn diese Leidenschaft nicht mehr losgelassen. Seit der Matura am Sportgymnasium Davos 2016 ist Capelli Profilangläufer. Für «suedostschweiz.ch» berichtet er in der Saison 2019/20 über seine Erlebnisse und Erfahrungen als Sportler.

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