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Die Welt bebt, wenn Finanz-Zeus mit einem Hilfsgott streitet

Andrea
Masüger
05.10.19 - 04:30 Uhr

In seiner Kolumne «Masüger sagts» widmet sich Andrea Masüger aktuellen Themen, welche die Schweiz und die Welt bewegen (oder bewegen sollten). Der heutige Publizist arbeitete über 40 Jahre bei Somedia, zuerst als Journalist, dann als Chefredaktor, Publizistischer Direktor und zuletzt als CEO.

Über lange Tage wurde uns nun eingehämmert – und übers Wochenende wird es in den Sonntagszeitungen wohl fortgesetzt –, welch monströser Bankenskandal die Schweiz heimgesucht hat. Die missglückte Überwachungsaktion für einen früheren Kadermann der Grossbank CS hat die Schlagzeilen beherrscht, als wäre der Dritte Weltkrieg ausgebrochen. Die Zeitungen brachten permanent Frontseiten-Aufmacher, Doppelseiten mit Berichten, Analysen und Kommentaren, ergänzt durch permanente Breaking News der Online-Medien. Auch droht das Ganze zu einem Medienpolitikum zu werden, weil das Schweizer Fernsehen es wagte, die Diskussionssendung «Club» irgendwelchen Wunderkindern zu widmen, statt kurzfristig das Banken-thema aufzunehmen, diesen «Riesenskandal, der die Schweiz erschüttert» (so eine Medienplattform).

Was ist denn passiert? Ein Grossbank-CEO und ein Abteilungsleiter dieser Bank sind sich nicht mehr grün, seit es auf einer Cocktailparty des Chefs zu einem verbalen Schlagabtausch zwischen den beiden gekommen ist. Angeblich ging es um zu grossen Baulärm, der von der Villa des Subalternen zum zufällig benachbarten Grundstück des Bosses herüberschallte. Unabhängig davon liess der Stab des Chefs den geräuschvollen Nachbarn durch eine Detektei überwachen, weil dieser – wegen des Streits oder warum auch immer – zur Konkurrenz wechseln wollte. Die Überwachungsaktion war dilettantisch und flog auf, und im Zuge dieser Wirren nahm sich auch noch ein Beteiligter das Leben.

Es handelt sich um einen Nachbarschaftsstreit von der Sorte, wie man sie aus billigen Serien der deutschen Privatsender kennt. Der eine Nachbar lässt den Hund auf das Grundstück des anderen fäkalieren, weil dieser die Hecke über den Zaun geschnitten hat. Darauf legt jener dem anderen eine tote Krähe in den Milchkasten. Und so weiter.

Doch dieser Banker-Streit wird nicht für eine solche TV-Serie angemeldet. Er wird zur ultimativen Staatsaffäre emporstilisiert, die sogar Trumps Ukraine-Machenschaften locker in den Schatten stellt. Angereichert mit süffigen Details einer stümperhaften Groschenroman-Überwachungsaktion wird daraus ein hochtoxisches Gemisch aus gescheiterter Geschäftsfreundschaft und Industriespionage.

Doch wen würde es interessieren, wenn ein Basler-Chemieboss einen Untergebenen überwachen liesse? Wenn ein CEO eines grossen Industrieunternehmens auf einen seiner Direktoren einen Detektiv ansetzte? Wenn ein Kadermitglied einer internationalen Hotelkette plötzlich gewahr würde, dass er von seinem Hauptsitz aus beschattet wird? Als vor einem Jahr bei der Ems-Chemie ein Fall von gravierender Wirtschafts-spionage aufflog, kam esin den Medien zu allenfalls anekdotischen Meldungen.

Doch die Banken stehen in der Schweiz in einem wundersamen Fokus. Über sie wird permanent berichtet, was das Zeug hält. Die Konsumenten befinden sich hier in einer permanenten, während 365 Tagen und 24 Stunden andauernden Telenovela. Kleinste Veränderungen im Management werden akribisch analysiert, Akteure hoch- und andere niedergeschrieben, Jahresbilanzkonferenzen gefeiert wie Landesausstellungen und die CEOs behandelt wie Mega-Super-Bundesräte. Dabei optimieren diese bloss Geld und sind ansonsten ziemlich langweilige Zeitgenossen.

Interessanter wären Reportagen und Interviews über Männer und Frauen, die grosse KMU-Betriebe führen, im Ausland Flüchtlinge retten oder während 20 Stunden im Operationssaal stehen. Oder über Kantonalbank-Chefs, die dem kleinen Mann auf der Strasse viel näher sind als diese ausländischen Manager-Importe, die nur die Zürcher Bahnhofstrasse von oben kennen.

Vielleicht fasziniert die Bankenwelt auch durch die Tat-sache, dass sie vor elf Jahren die Weltwirtschaft fast in den Totalkollaps führte. Irgendwie sind diese Grossbank-Zauberer eben moderne Götter, die mit unserem Schicksal spielen. Und wenn Zeus mit einem Untergott ein Problem hat, ist dieses gleichzeitig auch das unsere.

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