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Gesucht: Superman für Helvetiens Kamikaze-Posten

Andrea
Masüger
07.09.19 - 04:30 Uhr
Bundesanwalt Michael Lauber. KEYSTONE
Bundesanwalt Michael Lauber. KEYSTONE

In seiner Kolumne «Masüger sagts» widmet sich Andrea Masüger aktuellen Themen, welche die Schweiz und die Welt bewegen (oder bewegen sollten). Der heutige Publizist arbeitete über 40 Jahre bei Somedia, zuerst als Journalist, dann als Chefredaktor, Publizistischer Direktor und zuletzt als CEO.

Der heisse Sommer ist vorbei. Wir haben uns mehr oder weniger erfolgreich gegen die Tigermücke gewehrt, eine Grippewelle ist nicht in Sicht und weitere Seuchen suchen nicht Europa, sondern andere Kontinente heim. Dennoch sind wir seit Kurzem von einem Virus befallen, der eine sehr spezielle Krankeit auslöst: die Rücktrittitis.

Derzeit müssen alle zurücktreten, die in ihrem öffentlichen Job nicht zu hundertzwanzig Prozent alles richtig machen, die sich den einen oder anderen Patzer leisten oder sonst unangenehm auffallen. Entweder gehen sie freiwillig oder sie werden rücktrittsreif geschrieben. Andere dreht man so lange durch parlamentarische Mühlen, bis alle glauben, dass nur ein Rauswurf aus dem Amt den gordischen Knoten lösen kann. Die Schweiz schaut verkrampft und verbiestert auf die Chefs und CEOs der Nation, die kollektiv ans Kreuz genagelt werden.

Da wäre der Chef der SBB, Andreas Meyer. Er hat am Mittwoch Zahlen und Fakten zur helvetischen Staatsbahn präsentiert, für die man ihm im nahen Ausland das Bundesverdienstkreuz umhängen würde. Gleichzeitig gab er seinen intern schon im Frühjahr kommunizierten Rücktritt per Ende des nächsten Jahres bekannt. Was danach auf den Newsportalen der schweizerischen Medienwelt und später in den hiesigen Gazetten zu lesen war, schien nicht von dieser Welt zu sein: Da war ein «Schönfärber mitten im Sturm» zurückgetreten, dort verliess ein «Schönwetterkapitän» mitten im «Krisenmodus» die Kommandobrücke. Weil er schon lange das «Vertrauen von Bevölkerung und Politik verloren hatte», lag es nahe, dass ihn Verkehrsministerin Sommaruga zum Rücktritt gezwungen hatte – was diese aber partout nicht bestätigen wollte ...

Da wäre weiter Bundesanwalt Michael Lauber. Als er sein Amt antrat, war er der Sonnyboy, der im Wirkungskreis seines abgewählten (!) Vorgängers endlich Remedur schaffen würde. Man lobte die Kommunikation des Neuen und seinen offenen Stil. Nun hat er ein paarmal mit dem Fifa-Boss geplaudert und ist gleich zum Rücktrittskandidaten mutiert. Weil er das selber nicht so sieht, will ihn die Gerichtskommission des Parlaments nun rauswerfen, sekundiert von den Kommentatoren der Nation: Lauber habe zu viel Geschirr zerschlagen, er habe sich gegen Massnahmen der Aufsichtsbehörde gewehrt, es brauche jetzt einen Neuanfang. Bloss: Bei der Bundesanwaltschaft kann man die Neuanfänge gar nicht mehr zählen.

Und da war die bedauernswerte Postchefin Susanne Ruoff, die nach dem Postautoskandal im Juni letzten Jahres das Handtuch warf. Ihre Untergebenen hatten mit Subventionen gemauschelt und sie war das Bauernopfer. Die in der Öffentlichkeit etwas gehemmt wirkende Managerin, die nie als die erwartete Strahlefrau herüberkam, überlebte die öffentlich-mediale Gerichtsbarkeit nicht.

Kein Wunder, sieht und hört man von ihrem Nachfolger nichts. Dieser heisst übrigens Roberto Cirillo und zieht es nach den Erfahrungen seiner Vorgängerin offenbar vor, auf generelle Tauchstation zu gehen. Sich bloss nicht exponieren, um Himmels Willen!

Offensichtlich will die Schweiz für ihre wichtigen Staatsbetriebe solche Chefs. Duckmäuser, Kleinredner, interne Kontrollfreaks, Bürolisten. Man will sie an der kurzen Leine halten und ihnen überdies den Lohn kürzen – eine schweizerische Spezialität. Jeder Kantonalbank-Chef verdient mehr als Andreas Meyer (gut eine Million pro Jahr), dennoch ist sein Gehalt endloses Thema unter Journalisten.

Jeder Mann und jede Frau, die sich auf den Führungsjob bei einem wichtigen Bundesbetrieb einlassen, tanzen auf einem Vulkan. Sie sind permanent pingeliger Kritik ausgesetzt. Sie können die Verkehrsleistung steigern und bezüglich Sicherheit und Pünktlichkeit ihrer Betriebe jährlich zulegen, wenn aber irgendwo die Lüftung klemmt, ein Zug wackelt oder ein Kanzleibeamter einen Ordner fallen lässt, ist der Ofen aus. Der Rücktrittitis-Virus schwirrt dann durch die Luft.

Mit den absurd hohen Erwartungen, welche heute in diese Ämter gesetzt werden, erreicht man bloss das Gegenteil des Gewünschten. Die Frage ist nämlich, wer das noch auf sich nehmen will. Man wird für diese Jobs künftig nur noch Masochisten oder Deppen finden.

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