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Goldmann

23.09.18 - 00:44 Uhr
PIXABAY

In dieser Kolumne von Pesche Lebrument gehts um nichts Besonderes. Einfach Leben.

Der Sommer schneidert kurze Kleider. Grelles Licht sonnt sich auf dunklen Brillen. Gebremst von älteren Menschen schieben sich Kinderwagen an verliebten Pärchen vorbei. Unaufhörlich strömen Passanten über den grossen Platz. 

Etwas weiter vorne: Stehengebliebene Menschen überall. Faszination liegt in den Gesichtern von Schülern, Senioren, sogar Säuglingen. Worauf starren die alle bloss? Ich schlängle mich vor. Erst jetzt sehe ich ihn. Passanten hielten ihn verdeckt. Ein Mann steht auf einem goldenen Podest. Nicht nur der Sockel ist golden. Auch die Schuhe, die Handschuhe, sein ganzes Gewand samt Hut. Selbst sein Gesicht ist goldfarben bemalt. 
 
Er rührt sich nicht, steht einfach da. Nicht das geringste Zucken. Ich kann nicht erkennen, ob er blinzelt, der glitzernde Hut verdeckt sein Gesicht. 

Wer das wohl ist, der sich da oben hinstellt und begaffen lässt? Ein Student, ein Arbeitsloser? Ein Schauspieler kann es nicht sein, er führt ja nichts auf. Er ist ein Darsteller des Nichts, wie flüchtige Klatschspalten-Promis. Tarnt ihn die auffällige Kleidung eigentlich oder hebt sie ihn hervor?

Eben lichtet sich eine Gruppe Jugendlicher mit ihren Handys vor dem Goldmann ab. Ausgestellt vor einer Schar Schaulustiger. Braucht das Talent, Können oder einfach nur Mut? Ich glaube, das können nicht viele, höchstens virtuell auf Social-Media-Selbstdarstellungsbühnen.

Wie versteinert steht er da. Bestimmt ist er schon lange auf den Beinen. Er muss ein geduldiger Mensch sein. Sich nicht zu bewegen ist anstrengend. Schon als Schüler schaffte ich es kaum, still zu sitzen. Es kam mir vor, als würde die Zeit sterben.

Ein Kind legt Geld in den Hut. Plötzlich bewegt sich die lebende Statue wie ein Roboter. Er dreht sich zur Seite, gegenläufig gleiten seine Hände auf und ab. Zum Schluss zieht er dankend den Hut und erstarrt. Das Kind lacht und erbettelt bei Mutter weiteres Kleingeld. Der Goldmann bewegt sich nur, wenn er dafür bezahlt wird. 


Wie nennt sich das eigentlich, was er da macht? Ist das ein richtiger Beruf? Was ist ein richtiger Beruf? Braucht es für gewerbemässiges Stillstehen eine behördliche Genehmigung?  

Wo immer ich Goldmännern begegne, ziehen sie Menschenmengen an. In bewegten Zeiten ist Stillstand offenbar eine echte Attraktion. Können einige seiner Konkurrenten besser stillstehen? Kann man Regungslosigkeit perfektionieren?

 Ich frage mich, was die Zuschauer wohl in ihm sehen. Der unbewegliche Unbekannte spielt den Umstehenden nichts vor und vereint doch verschiedene Rollen. Je nach Blickwinkel ist er Künstler, Kuriosum oder Kasper. Jeder ist gegenüber anderen ein anderer. 

Bevor ich weitergehe, möchte ich ihn selbst zum Tanzen bringen. Ich werfe Geld in den Hut. Erkennt er am Klang den Wert? Schon bewegt sich die menschliche Jukebox.  Erstmals sehe ich sein Gesicht. Tiefe Furchen falten sich über einer Zahnlücke. Der alte Mann strahlt, als danke er für meine Beachtung und die Münzen der Anerkennung. Er stellt nicht nichts dar. Er ist der Goldmann.

Die Gedanken ziehen mit mir weiter. Hätte sich der alte Mann nicht auf das goldene Podest gestellt – ich wäre an ihm vorbeigelaufen – als wäre nichts gewesen.

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