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Lebensschule Mutter

Südostschweiz
19.08.18 - 04:30 Uhr
KARIN HOBI-PERTL
KARIN HOBI-PERTL

Karin Hobi-Pertl ist zweifache Mutter und «nebenbei» noch Autorin. Seit ihrer Jugendzeit schreibt sie - aus Leidenschaft und Berufung. In ihrem Blog berichtet sie über Mutterfreuden, Perfektionismus und was das Muttersein noch so mit sich bringt.

Wenn ich ohne Kinder unterwegs bin, kann ich mich wieder daran erinnern, wie es damals war. Als ich in meinem Tempo und nur mit der Verantwortung für mich selbst aus dem Haus gehen und «rasch noch etwas erledigen konnte». Niemand schreit nach etwas oder will etwas von mir. Ich muss grad nichts erklären, niemanden auf Gefahren hinweisen. Keine Windeln wechseln oder zur nächsten Toilette rennen. Keine sich beissenden und an den Haaren ziehenden Kinder trennen. Niemand ruft nach Essen oder Trinken oder Spielplätzen oder einem Eis oder will getragen werden oder in den Buggy sitzen und dann doch wieder raus oder rein oder sonst was.
Da bin nur ich.
Ich und ich und meine innere Ruhe.
Und dann frage ich mich, ob ich diese Ruhe damals ebenso intensiv wahrgenommen und geschätzt habe, wie ich das heute tue. Ich glaube nicht.

Mutter werden (oder auch Vater) ist ja irgendwie schon eine ganz verrückte Sache. Dieser Entscheid oder diese Wunscherfüllung beinhaltet ein unermessliches Paket. Viel Fremdbestimmung. Loslassen der Kontrolle. Das ständige Spüren der eigenen Grenzen. Veränderung der Beziehung (zum Partner, zu Freunden und zu sich selbst). Und das Verrückteste daran ist: Das bist du dir alles zuvor nicht bewusst. Auf jeden Fall nicht in diesem Ausmass. Ich war ja schon immer sehr abenteuerlustig. Aber mein Leben jetzt als Mutter, das übertrifft also tatsächlich jedes Abenteuer, das ich bisher erlebt habe. Schon rein emotional. Liebe, Wut, Traurigkeit und Angst begleiten mich intensiver denn je. Meine beiden Kinder lassen mich grenzenlose Liebe fühlen und Stolz. Sie bringen mich an den Rand der Verzweiflung und rufen Ärger bis unglaubliche Verzweiflung in mir hervor. Sie bringen mich zum Lachen und zum Weinen. Und lassen mich erkennen, was es bedeutet, tiefste Verbundenheit wahrzunehmen. Egal was grad ist. Da ist sie, die bedingungslose Liebe, von der alle reden.

Das Muttersein verändert nicht nur meinen Alltag und mein ganzes Leben. Es verändert auch mich selbst. Beispielsweise bin ich so was von vergesslich geworden. Das zeigt sich auch an der Kasse des Supermarktes, wenn ich all meine Einkäufe bezahlt habe. Dann darf ich regelmässig über mich lachen. Wieso um alles in der Welt fragt mich die Kassiererin eigentlich ständig nach Klebemarken und Sammelpunkten und Karten, wo ich doch viel lieber an die Kehrichtsäcke erinnert werde. Denn die fehlen, trotz Einkaufsliste, jedes Mal in meiner Einkaufstasche. Jedes Mal! Aber wie gesagt: Ich nehme es mit Humor. Wie so manches. Das Vergesslichsein ist ja auch das Zeichen einer Entwicklung. Wenn ich mir heute Morgen vorgenommen habe, die Wohnung mal wieder durchzusaugen, ging‘s dann halt vielleicht auch vergessen, weil das Malen mit den Kindern, ein langer, schöner Spaziergang und meine Pausen mit Nichtstun und einer Tasse Kaffee oder Tee in der Hand ganz einfach erfüllender waren. Und das ist auch gut so. Wir waren ja alle mal Kinder. Und damals haben wir auch danach gestrebt, genau das zu tun, was uns guttut. Und nicht das, was wir meinen «tun zu müssen». Schön, diese kindliche Seite in sich neu zu entdecken.

Ich liebe es auch zu beobachten, wie die kleinen Menschlein sich selbst in den Vordergrund stellen und nicht zuerst die Bedürfnisse anderer berücksichtigen. Die schauen echt noch darauf, dass es ihnen selbst gut geht und kümmern sich nicht um alles rundherum, bis sie erschöpft zu Boden fallen. Bemerkenswert. Und seit ich meiner Tochter Märchen vorlese, steht sie regelmässig vor dem Spiegel und fragt ihn, wer denn die Schönste im ganzen Land sei. Ihre eigene Antwort dazu ist ja wohl klar. ICH! Diese kleinen Kinder lieben sich selbst abgöttisch. Und zwar unabhängig davon, was sie grad anhaben, ob sie überhaupt was anhaben, ob sie ein schmutziges Gesicht haben oder ob die Windeln voll oder die Haare gekämmt sind. Die sehen sich. Schauen sich selbst voller Liebe und Bewunderung in die Augen. Es gab mal eine kinderlose Zeit, in der ich dachte, Kinder müssen von ihren Eltern lernen. Ha! Heute muss ich sagen: Danke Kinder. Ich hatte noch keine grössere Lebensschule als diese hier mit euch!

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