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Vom Höflichsein und vom Fluchen

Karin
Hobi-Pertl
07.12.16 - 13:37 Uhr

Karin Hobi-Pertl ist zweifache Mutter und «nebenbei» noch Autorin. Seit ihrer Jugendzeit schreibt sie - aus Leidenschaft und Berufung. In ihrem Blog berichtet sie über Mutterfreuden, Perfektionismus und was das Muttersein noch so mit sich bringt.

Ich bin grundsätzlich ein sehr hilfsbereiter Mensch. Einer der achtsam und mit offenen Augen durchs Leben geht. Steigt eine ältere Person in den Bus, mache ich Platz. Frauen mit Kinderwagen biete ich bei hohen Treppen meine Hilfe an. Ich lasse an der Kasse im Supermarkt immer mal wieder jemandem den Vortritt. Und ich sage noch Danke und Bitte, gebe gerne Trinkgeld, wo ich es für richtig empfinde, frage Gastgeber, ob ich etwas mitbringen kann, und zaubere dem einen oder andern Strassenkünstler mit einem kleinen Batzen ein Lächeln aufs Gesicht. Ich mache das gerne. Jemandem mit ganz einfachen Nettigkeiten eine Freude zu bereiten, das finde ich schön. Jawohl.

Alle tun das aber nicht gleich gerne wie ich. Nett sein. Das ist mir kürzlich im Bus erneut aufgefallen. Als der Buschauffeur, kaum hatte ich das Fahrticket bei ihm bezahlt, sofort aufs Gaspedal trat und ich – mit Baby im Tragtuch – fast durch den gesamten Bus geschleudert worden wäre. Nun gut. Jeder tut das, was er gerade tun möchte oder kann. Und dieser Chauffeur wollte so rasch wie möglich von A nach B fahren. Da kann man nichts machen. Wie auch damals nicht, als ich mit hochschwangerem Bauch mitten im vollbesetzten Bus stand. Die sitzenden Passagiere, welche nicht auf ihr Handy starrten, gafften mich an. Wie ich mit angestrengtem Gesicht zitternd das Gleichgewicht und einen stabilen Kreislauf aufrechterhalten musste. Wäre ich in diesem Moment ein nicht-höflicher Mensch gewesen, ich hätte laut geflucht. Aber, ich gebe zu, darin habe ich noch grosses Übungspotenzial.

Gestern hat sich fast schon ein Lernfeld dafür geboten, meine Meinung kundzutun. Und zwar, als ich mit beiden Kindern im Einkaufsladen auf den Aufzug wartete. Auf den einen kleinen Lift, der Menschen mit Kinderwagen, Gehbehinderungen oder sonstigen Handicaps ermöglicht, alle Stockwerke zu erreichen. Und jedes verdammte Mal (sorry fürs Fluchen!) wenn ich dort warte und sich nach einer halben Ewigkeit endlich die Türe des Aufzugs öffnet, ist der Lift besetzt. Und zwar mit jungen, kinderlosen, nicht-gehbehinderten und verdammt faulen Leuten (ups, schon wieder geflucht…). So auch gestern. Innerlich war ich sowieso schon auf 180, nachdem ich an einer Kreuzung ohne Lichtsignal ewig warten musste, da mir niemand den Vortritt gewährte. Dann schnappte mir jemand vor der Nase den Parkplatz weg und als ich endlich in der Stadt angelangt war, sah mir ein Mann beim Eingang des Kaufhauses grinsend zu, wie ich mit Müh und Not Kinder und Wagen durch die Türe hievte. Ohne mir höflich dabei zu helfen, versteht sich. Die Leute im Lift glotzten mich an. Und ein Mann, Mitte vierzig, zuckte mit den Schultern, um mir klar zu machen, dass für eine Frau mit Kinderwagen kein Platz mehr war. Noch bevor ich mein Nicht-höflich-sein kundtun konnte, stand ich wieder vor verschlossener Lift-Türe. Und wer bekam das Fett weg? Mein lieber, sich kümmernder Ehemann und Vater meiner Kinder, der nichtsahnend von der Arbeit nach Hause kam. Da fällt mir gerade ein: Bei ihm gelingt es mir tatsächlich, nicht nett zu sein. Nicht gerade nett. Finde ich.

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