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Auf der Suche nach dem «analogen Prinzen»

Single
Böckin
07.05.18 - 04:30 Uhr
PIXABAY
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Bau ein Haus, pflanz einen Baum, mach ein Kind – dass dieser Lebensentwurf nicht zwangsläufig auf jeden Menschen zugeschnitten ist, beweisen die anonymen Liebesbriefe ans wunderschöne, elende Single-Leben. Ein Hoch auf Selbstgespräche, Dosen-Ravioli und Liebeleien.

Meine Grossmutter hat meinen Grossvater ganz romantisch auf einer gemeinsamen Arbeitsstelle kennen- und lieben gelernt. In dieser Zeit war auch noch das Schreiben von Briefen Usus. Ach, wie romantisch und vor allem aufschlussreich. Oder kennt Ihr jemanden, der seine Briefe von jemand anderem (handschriftlich!) verfassen lässt? Ein Tinder-Profil ist da ganz anders. Die Bilder wurden ja ach so zufällig geschossen und meist handelt es sich um die drei besten Bilder, welche je von einem geschossen wurden. Der «ahnungslose Liebessuchende» hat aber immerhin Schwein, wenn die Bilder nicht bereits vor fünf Jahren entstanden sind.

Ein handschriftlicher Brief hingegen könnte kaum ehrlicher sein. Falsch angefangene Sätze, durchgestrichene Wörter und vor allem die eigene Handschrift sagen wohl mehr als jedes bearbeitete Foto. Und dennoch: Dating-Plattformen sind in aller Munde.

Die meisten meiner Freunde versuchen ihre Accounts zu verheimlichen und erklären, dass sie die App kaum nutzen und natürlich auch noch niemanden getroffen haben. Das Gejammer über die magere Ausbeute lässt aber dann doch nicht lange auf sich warten. Ein Kollege hat gar auf die bezahlte Version gewechselt – vielleicht sind es auch bereits mehr, aber niemand gibt dies wohl gerne zu. Was die Bezahlversion kann? Freie Standortwahl, prominentere Platzierung des eigenen Profils und mehr sogenannte Super-Likes. Ich würde jetzt gerne beurteilen, ob sich die Kosten lohnen, aber auch für mich klingt dies wie Kauderwelsch. Ich bin nur gut im swipen für andere.

Swipen als Gruppenbeschäftigung

Ja, richtig gehört, ich swipe für andere. Mittlerweile machen wir das gar als Gruppenbeschäftigung. Wir versammeln uns rund um ein Smartphone und versuchen den perfekten Match für den Smartphone-Besitzer zu finden. Nicht selten kommt es dann vor, dass dieser im Nachgang ein Whatsapp an alle zuvor Anwesenden versenden muss und fragt, wer denn diesen Match zu verantworten hat. Tinder, ein doch etwas oberflächliches Business. Ein Tool für die schnelle und teils auch langfristige Liebe. Ich möchte nicht abschliessend darüber urteilen. Aber dennoch denke ich in diesen Tagen oft an die Liebe meiner Grosseltern. An eine Liebe, welche noch Liebesbriefe kannte und ich frage mich, ob es diese Männer und Frauen noch gibt, welche zu Stift und Papier greifen. 

Vielleicht ist es eine altmodische Vorstellung, aber ich glaube noch an die «analogen Prinzen» und an Liebesbriefe. Ich glaube noch an romantische Gesten und hoffe, dass ich nie den Satz «Ich habe Tinder fertig gespielt» benutzen muss. 

Also liebe Männer, haut nicht in die Tasten, sondern setzt Euch an einen Tisch und schreibt. «Analoge Prinzen» sind im Jahr 2018 gefragt. Männer, die sich noch Zeit für Worte und Zeilen nehmen. Die Sätze überdenken und Worte klug wählen. 

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