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Sex und die lieben Nachbarn

Single
Bock
30.04.18 - 12:11 Uhr

Bau ein Haus, pflanz einen Baum, mach ein Kind – dass dieser Lebensentwurf nicht zwangsläufig auf jeden Menschen zugeschnitten ist, beweisen die anonymen Liebesbriefe ans wunderschöne, elende Single-Leben. Ein Hoch auf Selbstgespräche, Dosen-Ravioli und Liebeleien.

Es gibt sie tatsächlich noch, die echten Treffen zwischen zwei Menschen. In Zeiten endloser Tinder-Wischereien, die entweder in absoluter Frustration oder nicht minder enttäuschenden, peinlich berührten Weisswein-Dates gipfeln, kann es durchaus vorkommen, dass sich Treffen ganz ohne Hilfe von Apps und Nutzerkonten ergeben. An und für sich eine äusserst erfrischende Erkenntnis. Gingen solche Treffen nicht mit Sorge um die Nachbarschaft einher…

Wir schreiben das Jahr 2017. In Chur, der kleinen beschaulichen Hauptstadt im flächenmässig grössten Kanton der Welt, kreuzen sich in einem einschlägigen Ausgangslokal die Blicke eines gut aussehenden, intelligenten und unglaublich bescheidenen Mannes (also mir) und einer attraktiven Dame (also ihr). Cineasten unter Euch werden jetzt unwillkürlich den einen oder anderen Celine-Dion-Song im Ohr haben, welcher diese unglaublich romantische Szene akustisch perfekt untermalen würde. Um Euer Bild gleich vorweg zu zerstören: Durch die Boxen dröhnte irgendein aktueller Partykracher. Sorry, ha! Wenn ich jetzt daran zurückdenke, müsste ich dem DJ eigentlich meinen herzlichen Dank aussprechen. Denn letztlich verleitete die laute Musik die Dame und mich dazu, nach einem kurzen und lauten «Hallo!» die Szenerie zu wechseln, um uns schliesslich vor dem Club in normaler Lautstärke über Belanglosigkeiten zu unterhalten. Es folgten die üblichen Sätze: «Bisch öpa do? Störts, wenn i raucha? Was machsch denn sus so, wenn nid gad im Umgang bisch?»

Die Antworten sowie Detailbeschreibungen beider Seiten lasse ich aus Datenschutzgründen jetzt ausbleiben – diese Stadt ist schlicht und einfach zu klein für ausführliche Personenbeschreibungen.

«Nämemer a Shot?»

Wie ich diesen Satz hasse! Zurück im Club (ja, unsere Diskussion an der frischen Luft dauerte ziemlich genau eine Zigarettenlänge) lud mich die Dame auf einen Shot ein. Jetzt hiess es Contenance bewahren! Denn wenn mir eines Mühe bereitet, dann sind es Frauen, die mich zu Shots einladen. «Echt jetz?», dachte ich mir. Es lief doch eigentlich bislang völlig okay. Kein Grund, sich jetzt mit Shots dumm zu trinken. «Trinkt sie sich mich gerade schön? Oder ist sie eines dieser Whoo-Girls, die schlicht und einfach gern besoffen sind?» – Fragen eines etwas verwirrten Mannes. Ein Glück blieb es bei den vier Zentilitern. So bewegten wir uns kurz darauf von der Bar zur Tanzfläche, wo sich übrigens bekanntlich aus den Tanzschritten einer Person ihre Beischlaf-Kompetenz ableiten lassen soll. Ruft euch diese Theorie nächstes Mal im Ausgang in Erinnerung. Spätestens bei Leuten, die zu den Worten und nicht zum Takt tanzen, wird sich Euch ein Kopfkino eröffnen, für das Ihr locker ein bis drei Oscars einsacken könntet. Egal, zurück zum Thema.

Zirka 300 Tanzschritte später, fiel der Satz der Sätze: «Was machsch nocher no?». Ich konnte ja schlecht antworten: «Also aigentlich hätti no Wösch im Tröchner…». Also entschied ich mich für ein etwas sozialverträglicheres «vor hani no nüd — und du?». Die restlichen Sätze der Konversation kann ich an dieser Stelle nicht mehr rekonstruieren, was aber weder mit Alkohol noch mit Endorphinen sondern schlicht und einfach mit ausgeprägter Müdigkeit zu tun hatte. Wir machten uns also auf den Heimweg – also gemeinsam. Zu mir. «Ah cool, schöni Wohnig. I wohna imfall recht nöch vu do». Diese Information würde mich zu einem späteren Zeitpunkt noch beruhigen, dazu aber später.

Hallo, wir sind nicht mehr im Club!

Eines führte zum anderen, wir landeten in meinem Bett und – es war verstörend! Die Dame hatte wohl vergessen, dass wir nicht mehr in einer Umgebung waren, in welcher man gegen einen Musik-Pegel von durchschnittlich 95dB ankämpfen muss, und schrie die halbe Wohnung zusammen. Und nein, man(n) findet das nicht per se sexy oder fühlt sich dadurch in seiner Männlichkeit bestätigt sondern macht sich eher Gedanken um den Hausfrieden, der gerade mehr als nur gestört wird… So verwandelte sich der Koitus ziemlich rasch von einer äusserst schönen Angelegenheit zum drohenden Spiessrutenlauf. Würde jemand demnächst mit dem Besenstil an die Decke klopfen? Könnte es sein, dass meine Hauswartin, die ich doch so gern hab, demnächst an der Türe klingelt, um zu fragen, ob alles okay sei? Ja, genau solche Gedanken schossen mir durch den Kopf, als wir zugange waren. Irgendwann war dann aber zum Glück auch Schluss und ich wusste nicht, ob ich mich nun in Embryonal-Stellung abdrehen und einfach nur schlafen möchte, oder die Dame fragen soll, ob ich ihr ein Taxi rufen soll.

«Nämemer no an Shot?»

So lagen wir noch kurz im Bett. Sie offensichtlich gelöst und immer noch etwas beschwipst – ich mit einem flauen Gefühl im Magen. «Diese Situation muss sich jetzt auflösen. JETZT!», dachte ich mir. Und dann kam er, der erlösende Satz: «Nämemer no an Shot, bevor i gang?».

Ich huschte aus dem Bett und begab mich über einen Umweg aufs Klo (Frischmachen muss sein!) zum Kühlschrank, wo eine Flasche Kräuterschnaps schon seit längerem darauf wartete, endlich mal geöffnet zu werden. Ich sags Euch, liebe Leserinnen und Leser, noch nie hat mir ein Shot so gut geschmeckt. Ich bildete mir ein, eine süssliche Freiheit im Abgang zu schmecken. Keine drei Sätze später stand die Dame in der Türe und verabschiedete sich mit den Worten: «Tanka und bis bald hoffi». Und dann kam das Problem mit dem Abschiedskuss. Backe, Mund? Oder wie wärs mit einer freundschaftlichen Umarmung? Es sollte ein kurzer Schmatzer auf den Mund werden. Puh, ging glücklicherweise ohne komischen Moment über die Bühne.

Türe zu, Kleider weg und ab unter die Dusche. Mit jedem Zentiliter Wasser, der sich über mich ergoss, liess ich die ganze Situation nochmals Revue passieren und sah mich schon am nächsten Morgen den «Walk of Shame» durchs Treppenhaus zu machen.

Als ich mich dann ins Bett legte und – wie das die heutige Generation halt so macht – nochmal auf mein Smartphone blickte. Leuchtete eine SMS von meiner Nachbarin auf meinem Bildschirm auf:

SMS der Nachbarin.
SMS der Nachbarin.

Nicht schon wieder… Ja, meine Nachbarin hat sich schon bezüglich gewisser Geräusche gemeldet. Aber immerhin schien wenigstens meine Hauswartin nichts gehört zu haben. Oder sie wahrte Diskretion als ich sie kurz darauf im Treppenhaus traf. Unangenehm wars mir trotzdem und zwar auf ganz vielen Ebenen.

Was lernen wir daraus? Achtet im Club nicht nur auf die Tanzschritte sondern auch auf den Sprachpegel Eures Gegenübers. Das kann Euch unter Umständen unangenehme Unterhaltungen mit Euren Nachbarn ersparen.

Über die Nachricht, die mir meine Nachbarin bezüglich Lautstärke bereits Wochen vorher gesendet hatte, schreibe ich ein ander Mal. So viel sei aber jetzt schon verraten: Das Vorspiel dauerte 13 Jahre. Kein Witz!

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