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Künstlerkreise in Davos

Südostschweiz
24.07.18 - 04:30 Uhr
Eintauchen in das Leben Erwin Poeschels.
Eintauchen in das Leben Erwin Poeschels.
ZVG

Hans Peter Danuser und Amelie-Claire von Platen sind im Engadin zu Hause und zeigen uns ihren Blickwinkel. Was bewegt Land und Leute? Wo ist das Engadin stark und wo hinkt es einzelnen Mitbewerbern hinterher? Und was geschieht auf politischer Bühne? Der Blog «Engadin direkt» berichtet persönlich und authentisch.

Von Amelie-Claire von Platen

Eintauchen in die Zeit vor 100 Jahren in Davos, das konnte ich diese Tage mit der Lektüre über das Leben Erwin Poeschels. Der Ort zeigte sich damals als riesiges Sanatorium von bis zu 30‘000 an Lungentuberkulose-Erkrankten. Sie kamen aus der Schweiz und den Nachbarländern, vor allem aus Deutschland, Frankreich und Österreich. Einige darunter waren Künstler, Literaten und Poeten. Ab Mitte der 1920er-Jahre suchten diese Gäste nicht nur nach Heilung, sondern flohen in die neutrale Schweiz, um geistig frei zu sein. In Zürich gab es Künstlertreffpunkte im Café «Terrasse« und später im «Odeon», stundenlange Kaffee-Sitzungen wurden dort abgehalten. Aber auch in den Bergen kreuzten sich die Wege vieler Künstler, die dort zum Teil regelrecht ansässig wurden.

Kennengelernt, zusammengebracht und beherbergt hat sie unter anderem der deutsche Erwin Poeschel, der 1913 selbst als Patient nach Davos kam. Als sich sein Gesundheitszustand stabilisierte, eröffnete er mit seiner Frau Frieda die Pension Stolzenfels, die die beiden neun Jahre führten. Der gelernte Jurist Poeschel jedoch beschränkte sich nicht allein auf die Aufgabe als Wirt, sondern begann auch für die NZZ Ausstellungskritiken und Feuilleton-Essays zu schreiben, die ihm in Künstlerkreisen hohes Ansehen verschaffte.

Er ist bekannt mit Hermann Hesse, der ihn von Montagnola aus in Davos aufsucht. Mit ihm teilt er die Bekanntschaft mit den Schriftstellern Klabund und Jakob Wassermann.

Augusto Giacometti lobte Poeschel für seine feinfühlige Sprache und Sachverstand in einem Aufsatz über Hermann Hesse. Briefwechsel zwischen den beiden lesen sich wie wunderbare Freundschaftsbekundungen. Erstmals schreibt Giacometti an Poeschel einen Dankesbrief für seinen 17-seitigen Aufsatz über eine Einzelausstellung in Zürich. Was folgt, ist ein reger Schriftverkehr zwischen den beiden. Poeschel schreibt eine Monografie über das Werk von Augusto Giacometti, die 1922 rauskommt.

1928 schliesst Poeschel mit seiner Frau die Pension in Davos, die infolge der Inflation in Deutschland kaum genug zahlende Gäste mehr hat. Ein Angebot des Bündnerischen Ingenieur- und Architektenvereins kommt ihm deshalb sehr gelegen. Gesucht wird ein Redaktor für das Gemeinschaftswerk «Das Bürgerhaus in der Schweiz», der den Kanton Graubünden übernimmt. Poeschel gibt in der Folge drei Bände zum Bürgerhaus in Graubünden heraus. Ein Jahr später zieht Poeschel mit seiner Frau nach Zürich und etabliert sich immer mehr als einer der anerkanntesten Kunsthistoriker in der Schweiz, so dass er einige Jahre später den Ehrendoktor der Universität Zürich erhält. Sein siebenbändiges Werk «Die Kunstdenkmäler des Kantons Graubünden» bescherte ihm landesweite Bedeutung und gilt in Fachkreisen noch heute als ein an Scharfsinn und Ausführlichkeit unübertroffenes Werk.

Thomas Poeschel schreibt diese Geschichte des Cousins seines Grossvaters in «Der Nestor» nun auf. Viel zu jung ist er, als dass er Erwin Poeschel bewusst hätte begegnen können. Erst 2014 sieht er endlich den Nachlass seines Vorfahren. Kurzweilig und mit vielen Briefzitaten zeichnet er das Leben Poeschels nach und gibt damit Einblick in die Künstlerkreise der 1910er- und 1920er-Jahre in der Schweiz. Das Buch ist ein wunderbares Dokument für die Schweizer Kunstgeschichtsschreibung und im Besonderen für Graubünden.

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