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Können, Credos und Charisma – Erinnerungen an Hartly Mathis

Hans Peter
Danuser
28.11.17 - 01:00 Uhr

Hans Peter Danuser und Amelie-Claire von Platen sind im Engadin zu Hause und zeigen uns ihren Blickwinkel. Was bewegt Land und Leute? Wo ist das Engadin stark und wo hinkt es einzelnen Mitbewerbern hinterher? Und was geschieht auf politischer Bühne? Der Blog «Engadin direkt» berichtet persönlich und authentisch.

Ende Oktober 2017 ist der legendäre Berg-Gastronom Hartly Mathis gestorben. Ich durfte für die «Südostschweiz» einen Nachruf verfassen, aber hatte wirklich Mühe, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren und das Zeilenmaximum einzuhalten. Soviel hatte der Chef, Patron und Jäger alter Schule in seinen 91 Jahren geleistet, angestossen und umgesetzt! Für mich ist er ein seltenes Beispiel dafür, was berufliches Können, eiserne Grundsätze und Persönlichkeit in dieser Kombination bewirken können.

Zum Können:

Hartly Mathis war ein hervorragender Koch und Organisator. Als Chef der Küchenbrigade des Suvretta House entschied er mit gut 40 Jahren, Unternehmer zu werden und in der Corviglia Bergstation, 2486 Meter über Meer. ein Restaurant für Gourmets zu betreiben: Austern, Kaviar, Trüffel und Filets statt Hüttenwürste und Käseplättli, wie damals ob der Waldgrenze üblich. Die Idee war 1967 revolutionär – und schon rein logistisch eine gewaltige Herausforderung: täglich 30 bis 45 Mitarbeiter und alle Frischwaren um 7.15 Uhr mit der ersten Bahn hinauf und – zwölf Stunden später – um 18.30 Uhr mit der letzten Bahn wieder runter, vier bis fünf Monate lang von Dezember bis April. 25 Jahre lang unter Hartlys Regie, dann nochmal 25 Jahre lange unter der Führung seines Sohns und Nachfolgers Reto.

Die verwöhnten St. Moritzer Gäste waren begeistert und inspirierten den Chef zu spektakulären Kreationen, die den Mythos und die Marke «Mathis Corviglia St. Moritz» auch in New York und Tokyo bekannt machten. Der Schah von Persien brachte ihm eine Büchse Kaviar auf den Berg, woraus Mathis seinen «Corviglia Schnee» kreierte: Kartoffelschnee, Butterflocken, Kaviar und Sauerrahm-Sauce. Dazu Roederer Crystal Champagner und/oder Wodka.

Zum Credo:

Mathis war überzeugter Fan und Anhänger der französischen Küche mit all ihren Regeln und Grundsätzen beim Kochen, Essen und Trinken. Er war ein Patron alter Schule, der seinen Gästen die Wünsche von den Lippen ablesen konnte. Qualität und Freundlichkeit hatten höchste Priorität.

Zum Charisma:

Küche, Service, Ambiente und Aussicht im «La Marmit» waren exzellent und ergaben einen extravaganten Mix. Was ihn von allen Nachahmern und Mitbewerbern unterschied und nicht kopierbar war, war die geradezu königliche Art und Weise, wie Hartly die «Marmite» inszenierte und dabei diskret, aber wirksam seine Persönlichkeit einbrachte. Die Art, wie er die Trüffelknollen über seine Leckerbissen raffelte, die Zabaione am gigantischen Dessert-Buffet grosszügig auf die gewählten Süssigkeiten verteilte, ist unvergesslich.

Und Hartly Mathis hatte auch den Blick für andere starke Persönlichkeiten. Ueli Prager etwa, oder Robert Mondavi, den Weinpionier aus Amerikas «Nappa Valley». Mit Bocuse war er befreundet, und das Beispiel von Philippe Graf Pozzo di Borgo zeigte mir, wie sensibel Hartlys Blick auch bei damals weniger bekannten Persönlichkeiten war. Der Graf war damals CEO von Pommery Champagne, einem frühen Lizenznehmer der Marke «St. Moritz». Er unterbreitete uns vor gut 25 Jahren die Idee des St. Moritz Gourmet Festivals und unterschrieb bei Mathis oben einen entsprechenden Vertrag. Für die Abfahrt ins Tal wählte der elegante Mann in Cashmere Mantel und Halbschuhen nicht die Bahn, sondern den Deltasegler, den wir ihm auf der Corviglia bereit gestellt hatten. Philippe schnallte sich an und flog nach einigen Schritten Anlauf perfekt auf den gefrorenen See hinunter. Einige Monate später stürzte er in den Pyrenäen ab und ist seither vom Hals abwärts gelähmt. Er gab aber nicht auf, ist heute verheiratetet, hat zwei Töchter und lebt in Marocco. Sein Schicksal wurde verfilmt und machte ihn weltberühmt: «Les Intouchables» (Ziemlich beste Freunde). Es ist der erfolgreichste französische Film aller Zeiten und ein Hohelied auf die Lebensfreude – ganz im Sinne von Hartly Mathis.

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