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Los Kind, lern das jetzt!

Oliver
Fischer
13.09.19 - 04:30 Uhr

Beginnt das Chaos jeden Tag von vorn, sagen wir: Herzlich Willkommen im Familienleben. Unser Alltag reiht verrückte, bunte, profane und ab und zu unfassbar perfekte Momente aneinander. Das Leben als Mama oder Papa ist eine aufregende Reise, auf die wir Euch nun mitnehmen. Ganz nach dem Motto: Unser Alltag ist ihre Kindheit.

Kürzlich habe ich an anderer Stelle einen Blog eines Papas gelesen. Er führte darin fünf Dinge auf, die er als Vater seinen beiden Söhnen nicht beibringen könne. Etwa Fussballspielen oder Dinge reparieren. Nachdenklich haben mich dann vor allem die Kommentare unter dem Blog gestimmt, wo er als «Pussy», «halber Mann» oder sonst was bezeichnet wurde. Das hat mich selbst dazu veranlasst, darüber nachzudenken, was ich meinem Kind auf seinen Lebensweg mitgeben möchte. Abgesehen von üblichen Tugenden (Anstand, Tischmanieren, Velofahren etc.).

Was ist mir im Leben eigentlich wirklich wichtig? So wichtig, dass ich es für Wert befinde, es an die nächste Generation weiterzugeben. Was kann ich denn auch entsprechend gut, dass ich mich für qualifiziert befinde, es weiterzugeben? Und vor allem, warum sollte mein Kind etwas lernen – und hoffentlich auch lernen mögen –, was ich wichtig finde, zunächst einmal unabhängig davon, ob es selbst das auch so empfinden wird, irgendwann mal, vielleicht?

Hier also meine ganz persönliche Liste von Dingen, von denen ich möchte, dass sie mein Kind einmal kann und vor allem Freude daran haben wird:

     1. Essen, Geniessen: Kochen

Der Titel Kochen ist zu eng gefasst, für das, was ich meine. Es geht mir dabei auch um den Umgang mit Lebensmitteln im Allgemeinen und ums Geniessen. Dazu gehört für mich dann auch ganz konkret das Verarbeiten von Lebensmitteln, sprich das Kochen. Ich habe die Lust am Kochen und am guten Essen von meinem Vater geerbt. Ich sage bewusst geerbt, weil ich es nur bedingt von ihm gelernt habe. Als Kind und Jugendlicher hat mich Kochen wenig interessiert. Erst als nicht mehr täglich automatisch etwas auf dem Tisch stand und ich selbst dafür sorgen musste, merkte ich, dass ich keine Lust habe, lausig zu essen. Es ist mir aber wichtig, gerade weil ich selbst das erst recht spät realisiert und gelernt habe, einem Kind schon jetzt mitzugeben, was gutes Essen heisst, woher es kommt, wie man es zubereitet und wie man es geniesst.
Aktueller Stand: «I will plutti Nüdali»

     2. Lesen, Schreiben: Sprache

Lesen zu können, richtig lesen zu können, will gelernt und geübt sein. Früher war das als Kind wohl einfacher als heute – so ohne Gamekonsolen, Smartphones und ähnliche Ablenkungen. Bei schlechtem Wetter zuhause rumsitzen, hiess für mich meist, ich steckte meine Nase in Bücher – durchaus zweifelhafter Provenienz und Qualität, aber immerhin. Dass ich heute die Sprache zu meinem Beruf gemacht habe, hat stark damit zu tun, dass ich durchs Lesen meine Faszination für die Möglichkeiten der Sprache kennen gelernt habe. Ich gebe zu, das ist auch ein ganz egoistischer Wunsch, ich lese nämlich wahnsinnig gerne vor und warte seit viereinhalb Jahren darauf, dass mein Kind endlich alt und interessiert genug ist, dass ich ihm «richtige» Bücher vorlesen kann und nicht «nur» Bilderbücher erzählen. Wir versuchen uns gerade am «Kleinen Gespenst» von Ottfried Preussler.
Aktueller Stand: «Das Gschpengschtli ich mega khuul.»

     3. Lernen, Wissen: Neugierde

Ja ja, es mag ein unsägliches Klischée sein. Und als Kind und Jugendlicher hätte ich ab solchen Aussagen meiner Eltern wohl rückwärtsessen mögen. Aber heute, rückblickend, war die ganze Schulzeit eigentlich ein einziges, riesiges Abenteuer des Wissens. Es gibt so unendlich viel Wissenswertes über die Welt und alles, was sich darauf und darin befindet, das sich zu lernen lohnt. Was ich mir für mein Kind mehr wünsche als fast alles andere, ist, dass es die Schulzeit als ein Abenteuer begreift, an dem es jeden Tag etwas Neues – manchmal Langweiliges, aber viel öfter Spannendes – lernen kann. Ein Bewusstsein, das mir selbst sehr lange gefehlt hat, was ich heute wahnsinnig schade finde. Ich hätte es so viel mehr geniessen sollen, als ich konnte …
Aktueller Stand: «Das waiss I tenk schu Papa.»

     4. Rennen, Klettern, Wandern: Bewegung

Ich war als Kind und Jugendlicher ein Bewegungsmonster. Ich weiss noch, wie viel Energie ich jeden Tag in mich hineingeschaufelt habe, um all das bewältigen zu können. Heute ist das deutlich weniger geworden. Weniger Bewegung und weniger «In-mich-Hineinschaufeln». Aber die Freude daran draussen zu sein, zu Wandern oder Velo zu fahren, hat mich nie losgelassen. Ich wünsch(t)e mir, mein Kind, so es denn etwas älter und ausdauernder ist als heute, wird mich (uns) aus Lust und Freude und nicht, weil es muss, auf Wanderungen oder Velotouren begleiten. Immerhin, Kinderkrippe sei Dank, hat das Kind heute schon grosse Freude am Tanzen.
Aktueller Stand: «Kasch mi trega Papa?»

     5. Mut, Neugierde: Mit offenen Augen durchs Leben gehen

Damit meine ich wohl so etwas wie ein generelles Interesse am Leben und der Welt. Ich könnte es wohl auch Mut nennen. Mut, Neues kennen zu lernen, Unbekanntes auszuprobieren, die Welt entdecken zu wollen, im Kleinen wie im Grossen. Das fasst eigentlich alle oben ausgeführten Punkte mehr oder weniger zusammen. Ich wünsche mir, dass wir unser Kind zu einem offenen, wissbegierigen Menschen erziehen können, der sich seine Welt aktiv erobert und sich nicht davor verschliesst und nur auf dem sicheren Boden des Bekannten sitzen mag.
Aktueller Stand: «Papa, kum miar machend an Obedspaziargang.»

Wie ich geschrieben habe, habe ich einiges davon selbst als Kind und Jugendlicher selbst überhaupt nicht gemacht oder geschätzt. Und wenn ich das nochmal durchlese, komme ich mir gleich ziemlich alt und zugegebenermassen schon etwas oberlehrerhaft vor … Ich weiss ja selbst, wie wenig man als Kind und erst Recht als Jugendlicher auf seine Eltern hören mag, wenn sie einem sagen, die Schule sei doch etwas Lässiges (Ich seh schon verdrehte Augen beim Gedanken daran).

Mit gut zureden funktioniert sowieso gar nichts davon. «Komm probier doch den <Röslichöhl>, der ist impfall megafein» - «Lies doch mal ein Buch, statt immer auf (Social Media des Jahres 2028 einfügen) rumzuhängen» - «Schule macht Spass». Seht Ihr auch, wie jeder Teenager im Kanton Brechreiz bekommt?

Ich versuche darum einfach mal selbst das Kind, rsp. der Teenager zu sein, den ich mir rückblickend in diesen Belangen gewesen zu sein gewünscht hätte. Und hoffe das Kind macht es mir einfach nach.

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