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Als «Tödi-Greina» die Bahn in den Süden werden sollte

Seit der Gotthard-Basistunnel offen ist, ist das Ostalpenbahn-Versprechen kein Thema mehr. Für Glarnerland und Linthgebiet schien die Tödi-Greina-Bahn aus den 1960er-Jahren eine interessante Variante zur Neat.

Südostschweiz
21.07.20 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Toedi Greine Bahn
Die Akten zum Projekt Toedi Greina Bahn, aufgenommen in der Kantonsbibliothek Chur.

von Killian Oberholzer

Für Graubünden war der Verkehr über die Pässe seit jeher von grösster Bedeutung. Es sind die Pässe Oberalp, Lukmanier, San Bernardino, Splügen, Julier, Septimer, Maloja, Bernina, Albula, Ofen, Umbrail (Wormser Joch), Flüela, um nur die noch heute befahrenen Übergänge zu nennen. Der Säumerverkehr, später die Postkutschen brachten Arbeit und Verdienst ins Land. Die Bevölkerung hatte vielfältige Kontakte zur weiten Welt. Luzi C. Schutz behandelt in seinem Werk «Ostalpenbahn – Geschichte eines langlebigen Bünder Verkehrsprojekts» die Bemühungen um die Realisierung einer Eisenbahn-Nord-Süd-Verbindung durch den Kanton Graubünden.

Der Kanton Glarus – auf halbem Weg zwischen Zürich und Chur – lag zwischen der Ostalpenbahn-Achse und der Gotthard-Route. Und wurde erst spät mit den Ideen für eine Tödi-Greina-Bahn als Zugang in den Süden in Betracht gezogen.

Frühes Interesse an einer Ostalpenbahn

Zu Beginn des Eisenbahnzeitalters, so ab den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts, erkannten Politiker und Regierungen die Notwendigkeit, den Anschluss an den Eisenbahnbau nicht zu verpassen.

Als eigentlicher Pionier darf der St. Galler Landammann Gallus Jakob Baumgartner (1797 bis 1869) gelten. Für diesen führenden Politiker stand die Anbindung der Ostschweiz an eine Nord-Süd-Verbindung über die Ostalpen im Vordergrund. Damals dachte man beim Eisenbahnbau an grossräumige Verbindungen und nicht an einen städtischen S-Bahn-Verkehr.

So wurden schon 1838 auf Baumgartners Veranlassung hin Planaufnahmen für Eisenbahnstrecken Chur-Walenstadt und Schmerikon-Weesen aufgenommen, dies in Hinblick auf eine künftige Ostalpenbahn. Von einer Gotthardbahn war vorerst nicht die Rede. In Graubünden setzten die Eisenbahnpläne nur wenig später ein. Bereits 1845 wurde zwischen St. Gallen, Graubünden und dem Tessin ein Konkordat zugunsten eines Lukmanierüberganges abgeschlossen.

Für den Lukmanier machte sich vor allem der Bündner Kantonsingenieur Richard La Nicca (1794 bis 1883) stark. In Graubünden stellten sich regional verschiedene Interessen der Konzentration auf ein einziges Bahnprojekt entgegen. Doch wurde das Konkordat trotzdem ratifiziert. Wir wissen, die Bemühungen um eine Ostalpenbahn blieben erfolglos.

Weesner ETH-Professor mit Visionen

Im Nachfolgenden soll an das Projekt einer Tödi-Greina-Bahn erinnert werden. Es war der in Weesen wohnhafte ETH-Professor Manfred Rauscher, der die Idee in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 14. Dezember 1962 vorstellte. Er propagierte einen Tödidurchstich Linthal–Truns und einen Greinatunnel Truns–Aquarossa.

Eine Verlegung der Tunnelportale im Norden nach Schwanden und im Süden nach Biasca hätte zu einer Reduktion der Steigung auf zwölf Promille geführt. Die Verbindung hätte so den Charakter einer Flachbahn mit nur wenig über zehn Promille Steigung erhalten.

Von Norden her sah Rauscher eine Einspurlinie Chur-Truns vor, um den zu erwartenden Verkehr aus dem Raum München-Augsburg zu übernehmen. Die Zufahrt aus dem westlicheren Süddeutschland wäre für den Personenverkehr über Stuttgart-Schaffhausen-Zürich und für den Güterverkehr über Konstanz–Wil–Wattwil–Uznach–Ziegelbrücke durch den Rickentunnel möglich gewesen.

Rauscher sah als Zufahrtlinien aus dem Raum Zürich den Ausbau der Glatttallinie Zürich-Uster-Rapperswil und der Meilemer Linie vor, weil die linksufrige Zürichseelinie mit dem Verkehr Richtung Graubünden bereits ausgelastet war.

Vorteile für das Glarnerland und das Linthgebiet

Die Tödi-Greina-Linie hätte dem sanktgallischen Linthgebiet, Ausserschwyz, den Kantonen St. Gallen und Glarus schnellere Verbindungen in den Süden gebracht. Für Zürich hätte die Neubaustrecke gegenüber der Gotthard-Bergstrecke kürzere Fahrzeiten gebracht. Gegenüber der heutigen Gotthard-Neat wären die Fahrzeiten in etwa gleich ausgefallen.

Die Tödi-Greina-Linie war für den Raum Basel als Einfallstor aus dem Norden zu abseits gelegen. Auch Zürich hätte die Ostalpenbahn gegenüber einer Gotthard-Basislinie keine Vorteile gebracht. St. Gallen stand abseits, weil man in der Hauptstadt, im Rheintal und im Sarganserland von einer Splügen-Flachbahn träumte.

Doch diese Idee war völlig abwegig. Dies aus gesamtschweizerischer Sicht dann vor allem, weil eine Splügenbahn in den Raum Chiavenna geführt hätte und keine Aussicht bestand, dass Italien die halben Tunnelbaukosten tragen und den Verkehr in Chiavenna abnehmen würde.

Mit den Tatsachen abgefunden

So war es denn bald einmal klar, dass das sogenannte Ostalpenbahn-Versprechen weiterhin uneingelöst bleiben und der Gotthard-Basistunnel verwirklicht werden würde. Inzwischen hat man sich in der Ostschweiz mit den Tatsachen abgefunden und ist mit den angebotenen Verbindungen in den Süden zufrieden.

Als in Bern der Entscheid zugunsten der Neat gefallen war, hielt der Glarner SVP-Nationalrat Fritz Hösli aber fest, dass Tödi-Greina die beste Lösung gewesen wäre und die Ostschweiz vernachlässigt bleibe.

Eine Ostalpenbahn besteht mit immerhin der Bernina-Linie. Ihr touristischer Wert wird durch die langen Fahrzeiten nicht gemindert, für den Transitverkehr ist sie dagegen ohne Bedeutung. Seit der Eröffnung im Jahr 1910 steht der Fremdenverkehr im Vordergrund, und der Gütertransport fällt nur im lokalen Bereich für Holz (Richtung Süden) und Heizöl (Richtung Norden) ins Gewicht.

Die Porta Alpina, der Zugang aus dem Raum Sedrun zu einer Zwischenstation im Gotthard-Basistunnel, ist in den letzten Tagen wieder ins Gespräch gekommen. Wenn die Idee verwirklicht werden sollte, so wäre das für den Tourismus im Raum Tawetsch-Urserental von Bedeutung, doch die Kapazität des Basistunnels würde stark eingeschränkt.

Luzi C. Schutz: «Ostalpenbahn – Geschichte eines langlebigen Bündner Verkehrsprojekts». Herausgegeben vom Staatsarchiv Graubünden, Desertina Verlag Chur. 45 Franken.

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