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Ein bisschen retro, viele Wassertropfen und eine fast leere Batterie

Seit dem 16. Juni findet täglich auf der Oberen Au in Chur die «Südostschweiz Drive-in Bühne» statt. Auch Spielfilme werden gezeigt. Vom Auto aus wird zugeschaut und der Sound kommt über eine eigene UKW-Frequenz ins Autoradio. Ein Erlebnisbericht.

Anna
Panier
19.06.20 - 15:16 Uhr
Leben & Freizeit

Ich, 20 Jahre alt, Generation Netflix und Co. und nicht im Besitz eines Fahrausweises gehe in ein Autokino. Was sich wohl im ersten Moment eher wie ein grandioser Witz anhört ist tatsächlich Realität und beschreibt meinen Mittwochabend.

Natürlich habe ich schon von Autokinos gehört, denn so jung bin ich ja nun auch wieder nicht. Und bei den Liebesfilmen, die ich mir immer wieder auf Netflix anschaue, gibt es die eine oder andere romantische Szene im Autokino. Mein Erlebnis im Autokino hatte mit Romantik aber rein gar nichts zu tun und für das verschwommene Bild waren weniger meine Emotionen als die vielen Regentropfen schuld. Aber beginnen wir von vorne.

Vorfreude ist die schönste Freude

In Chur gibt es ein Autokino mit Drive-in Bühne, cool, dachte ich. Das muss ich miterleben. Also checkte ich gleich mal das Programm. Zu meiner Freude war tatsächlich ein Film dabei, den ich mir schon lange anschauen wollte. «Das perfekte Geheimnis», der Name allein schon hörte sich vielversprechend an und der eine Schauspieler, der ebenfalls wirklich vielversprechend ist, war auch dabei. Alle «Türkisch für Anfänger» und «Fack ju Göhte». Fans wissen, wen ich meine.

Der Film stand also und das Ticket wurde noch am selben Abend gekauft. Um meinem Kontrollzwang gerecht zu werden, widmete ich mich dann dem Fragen und Antworten Abschnitt auf der Autokino-Website. Türöffnung ist jeweils 60 Minuten vor Vorstellungsbeginn, bei der Einweisung des Stellplatzes wird auf die Autogrösse geachtet, der Ton läuft übers Radio, Essen wird ans Auto geliefert und applaudieren ist nur mit der Lichthupe gestattet. Alles klar, dann kann ja nichts schieflaufen, dachte ich. Das wird ein lässiger Abend.

Ein bisschen Openair-Feeling

Es ist Mittwochabend. Meine Begleitung - die übrigens Auto fahren darf, was sehr praktisch ist, denn ein Autokino ohne Auto wär ziemlich blöd - und ich setzen uns ins Auto. Auf direktem Weg fahren wir zur Oberen Au, wo das Spektakel abläuft. Ganz stolz, denn sonst nehme ich es mit der Pünktlichkeit nicht so genau, meine ich auf dem Weg: «Zum Glück sind miar a Stund früahner dra, es het sicher viel Bsuacher.» Ich behalte recht, wie sich später herausstellt. 

Angekommen bei der Oberen Au winken uns die Helfer in die Einfahrt ein. Zwei Kolonen, dazwischen ein Gitter, vorne muss das Ticket gezeigt werden, alles hat seine Ordnung. Mich erinnert das Ganze irgendwie eher an ein Openair. Nur, dass hier nicht gedrängelt werden kann und ich nicht nervös bin, weil mein Rucksack als Versteck für Getränke hinhalten muss. Vorne angekommen meint die freundliche Dame hinter ihrer Schutzmaske: «Do isch üseri Karta, viel Spass.»

Ich werfe einen ersten Blick auf die Speisekarte und Zufriedenheit macht sich in mir breit, denn es gibt Burger, mein Leibgericht. Ich male mir bereits den Geschmack des Burgers aus. Zwei Männer in neongelben Westen reissen mich aus meinen Gedanken. Gekonnt weisen sie uns auf unseren Stellplatz ein. «De isch nid schlecht. Miar sind grad vor dr Lienwand», sagt meine Begleitung.

Buffet auf dem Spoiler

Stimmt. Wir sind zwar nicht in der ersten Reihe, aber wir haben eine gute Sicht auf die Leinwand, die aber kleiner ist als gedacht. Daran können weder meine Begleitung, noch die netten Männer in Neon oder ich etwas ändern. Es ist in etwa 19.15 Uhr und darum schlagen wir die Zeit bis zum Filmstart tot, indem wir die Menschen um uns herum beobachten. Je später es wird, desto mehr füllt sich der Platz.

Unsere Blicke bleiben schliesslich bei einem Paar haften, welches ein kleines Buffet auf ihrem Cabriolet veranstaltet. Mir läuft das Wasser nur schon beim Zuschauen im Mund zusammen. Meine Begleitung bemerkt dies wohl, denn sie meint: «Kum miar holen üs öppis z'Essa.» «Aber wend miar nid ans Auto bstella?» antworte ich. Denn tatsächlich werden die feinen Leckereien per Whatsapp-Bestellung ans Auto geliefert. Ein solcher Service ist mir weder vom Kino noch vom «Netflixen» bekannt.

Beim Autokino wurde für Verpflegung gesorgt. Das Essen wurde auf Bestellung sogar ans Auto gebracht.
Beim Autokino wurde für Verpflegung gesorgt. Das Essen wurde auf Bestellung sogar ans Auto gebracht.
ANNA PANIER

Trotzdem verzichten wir darauf und holen uns Etwas beim «Take-Away-Stand». Anschliessend eröffnen wir unser eigenes Buffet auf dem Spoiler des Autos. Mit vollem Magen machen wir es uns dann im Auto gemütlich, also so gemütlich, wie es halt in einem Auto geht. Wir putzen nochmals kurz die Scheibe, was total überflüssig ist, wie sich später herausstellen sollte.

Drama auf...

Punkt 20.00 Uhr beginnt der Film: Achtung, die nächsten Zeilen verraten die Handlung des Films.

Ein 0815-Einstieg. Die einzelnen Geschichten der Hauptdarsteller werden erzählt, im Fokus stehen drei Paare und ein Single, welcher irgendwie doch nicht single ist. Alle trudeln bei einem dieser Paare zum Essen ein. Es wird geredet, gelacht und gegessen. An dieser Stelle werde ich schon leicht nervös und hoffe, dass der Film nicht so langweilig weitergeht. Ich brauche normalerweise zwar nicht wirklich Mord und Totschlag, aber ein bisschen Spannung muss schon sein. Tatsächlich kommt es  zur erhofften Wendung.

Die unterschiedlichen Paare und der Vielleicht-Single-Mann entscheiden sich, ein Spiel zu spielen. Die Handys werden auf den Tisch gelegt, der Ton eingestellt und die Handysperrung deaktiviert. Die Regeln sind simpel: Alle Nachrichten, die reinkommen, müssen laut vorgelesen und alle Anrufe über Lautsprecher geführt werden. Das Spiel beginnt und die ersten Geheimnisse werden aufgedeckt. Die eine Ehefrau erfährt von der Affäre ihres Mannes mit einer Mutter vom Spielplatz. Die andere Ehefrau muss aufgrund eines Anrufes von ihrem Drogenproblem erzählen.

...und neben der Leinwand

Und auch die Männer bleiben nicht verschont. Der eine Mann erfährt am Telefon, in Anwesenheit seiner Partnerin, dass er seine Arbeitskollegin geschwängert haben solle. Und der Vielleicht-Single-Mann outet sich als homosexuell, was nicht bei allen Freunden gut ankommt. Es wird gestritten, die Fetzen fliegen und vor der Schlussszene ist die Stimmung ziemlich am Boden.

Passend dazu beginnt es nun draussen zu Regnen. Auf der Windschutzscheibe sammelt sich immer mehr Wasser und unsere Sicht verschlechtert sich innert Sekunden. Die ersten Besucher pfeifen auf die Regeln des Autokinos und schalten ihr Auto wieder ein. Die Scheibenwischer laufen auf Hochtouren. Nach kurzen Blicken nach rechts und links laufen auch bei uns die Wischer. Zu unserer Verteidigung, irgendwie muss die Scheibe ja von den Regentropfen befreit werden, Regeln hin oder her.

Die Regentropfen sorgten für ein verschwommenes Bild.
Die Regentropfen sorgten für ein verschwommenes Bild.
ANNA PANIER

Als die Scheiben wieder trocken sind, bin ich wieder zufrieden. Kaum zurückgelehnt, blinkt aber eine Meldung auf dem Auto-Display auf. «Die Autobatterie neigt sich dem Ende zu», ist das wirklich wahr? Denn was leere Autobatterien anbelangt, musste ich leider schon meine Erfahrungen machen. Sofort wird also auf mein Verlangen der Motor eingestellt. Das klappt zum Glück noch einwandfrei und die Meldung verschwindet so schnell wie sie gekommen ist.

Eine gute Erfahrung

Es laufen die letzten Minuten des Films. Gezeigt wird, wie die Hauptdarsteller nach diesem Abend weiterleben. Erneut blinkt die Batterie-Meldung auf. «Los stell z Radio ab», meine ich panisch. Über die Schlussszene kann ich Euch also nichts berichten, denn diese bekomme ich nicht mehr wirklich mit. Zu gross sind meine Sorgen, dass das Auto den Geist aufgibt. Zum Glück springt das Auto aber auch ein zweites Mal problemlos an.

Hier endet für mich das Erlebnis Autokino. Alles in allem ist es ein erlebnisreicher Abend mit Höhen und Tiefen gewesen. Auf dem Heimweg ziehen meine Begleitung und ich ein Fazit und sind uns einig: «Es isch a guati Erfahrig gsi, aber ob miar a zweits mol in es Autokino gönd, wüssemer nonid.» 

Anna Panier arbeitet als Redaktorin bei Online/Zeitung. Sie absolvierte ein Praktikum in der Medienfamilie Südostschweiz und studiert aktuell Multimedia Production im Bachelor an der Fachhochschule Graubünden in Chur. Mehr Infos

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