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Die lebende Davoser Legende

Er hat in Davos längst Legendenstatus erreicht. Seit Jahren spielt er in der höchsten Schweizer Eishockeyliga. Und in diesem Jahr hat er sein 1000. Spiel absolviert. Dies schafften bis dato erst ein Dutzend Hockeyaner. Die Rede ist von Andres Ambühl. Für seine unglaubliche Karriere wird er als «Bündner des Jahres» 2019 nominiert.

Kristina
Schmid
05.12.19 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Andres Ambühl spielt schon seit Jahren für den HC Davos und ist aus dem Team nicht mehr wegzudenken.
Andres Ambühl spielt schon seit Jahren für den HC Davos und ist aus dem Team nicht mehr wegzudenken.
PHILIPP BAER

Andres Ambühl war aufgeregt. Es war das erste Mal, dass er bei einem Eishockey-Training dabei sein würde. Er zog sich seine Schlittschuhe an, schnürte sie fest zu und lief zum Eisfeld. Vorsichtig setze er einen Fuss nach dem anderen aufs Eis, hielt sich dabei an der Bande fest. Es war nicht nur sein erstes Training, es war überhaupt das erste Mal, dass Ambühl auf Schlittschuhen stand. Er war sieben Jahre alt. «Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass mein Trainer in der ersten Stunde nur damit beschäftigt war, mir das Schlittschuhlaufen beizubringen», sagt Ambühl und lacht. 

Es dauerte nicht lange, da hatte Ambühl seine Schlittschuhe im Griff. Und nicht nur das. Er entwickelte sich zu einem der besten Spieler auf dem Eisfeld, sodass man schnell auf ihn aufmerksam wurde. Er war talentiert. Aber auch ehrgeizig. Er wollte das schaffen, was er auf dem Eisfeld in der Arena in Davos mit sechs Jahren erlebt hatte. Damals, als sein Papa ihn zu seinem ersten Hockey-Match ins Stadion mitgenommen hatte. Sein Vater, der schon ein riesiger Fan des HC Davos war, noch bevor Ambühl überhaupt auf der Welt war, besass eine Saisonkarte. Entsprechend konnte er sich alle Spiele ansehen, wenn ihm danach war und er Zeit hatte. Und eines Tages nahm er seinen Sohn mit. Ambühl war sogleich angefressen vom Spiel, sagte seinem Vater: «Das will ich auch mal machen.» Also meldeten sie ihn fürs Training in Davos an.

Andres Ambühl verrät dem Nachwuchs das Wichtigste, um im Eishockey erfolgreich zu sein.

Heute, 30 Jahre später, spielt Ambühl in der Profi-Liga. Es ist inzwischen seine 16. Saison – und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. Sein Vertrag läuft noch bis 2021. Und auch danach will der 36-Jährige noch einmal verlängern. Das zumindest wäre sein Wunsch, wenn es seine Gesundheit zulässt. «Ich will mindestens bis 40 spielen», sagt er. Im Oktober bestritt Ambühl sein 1000. Spiel in der National-League, der höchsten Eishockey-Liga der Schweiz; etwas, das bis dato nur zwölf Eishockeyspieler vor ihm geschafft hatten. Und doch haben nur die wenigsten von ihnen so viel erreicht wie Ambühl. Er holte sechs Meistertitel mit dem HC Davos und den ZSC Lions. Er war bei 15 Weltmeisterschaften und vier Olympia-Turnieren dabei, wobei er mit der Nati an der WM 2013 in Schweden sensationell die Silbermedaille gewann. Fünf Jahre später holte die Schweiz bei der WM in Dänemark erneut Silber. Diesmal aber ohne Ambühl. Ihm wurde zuvor nahegelegt, nicht zu spielen, weil er sich eine Knieverletzung zugezogen hatte. «Das hat mich schon recht genervt», sagt er. «Aber was sollte ich schon machen?»

Und niemals wird er müde ...

Wer Ambühl auf dem Eis im Blick behält, sieht jemanden, der scheinbar nie müde wird. Dass Ambühl so viel Ausdauer und Energie besitzt, dass er sogar dann weiter läuft, wenn sich alle anderen am liebsten nur noch hinlegen würden, das liegt sicherlich an seiner ausgezeichneten Kondition –, aber auch an seiner Kindheit. Aufgewachsen ist Ambühl im Davoser Sertigtal, wo seine Eltern einen Bauernhof besassen. Dort lernte er früh anzupacken. «Halt z'schaffa.» Nicht selten musste er auf dem Hof mithelfen, während seine Freunde sonst wo ihren Spass hatten. «Früher nervte mich das schon ziemlich. Aber rückblickend bin ich dankbar für diese Erfahrung. Es hat mich zu dem Menschen geformt, der ich heute bin», sagt Ambühl.

Auf dem Betrieb gab es immer genug zu tun. Und die Tage waren niemals kurz. Vor allem nicht im Sommer. Da musste er oft gemeinsam mit seinen beiden Schwestern die Kühe auf der Alp hüten. Und wenn abends noch Training auf dem Programm stand, lief er vom Jakobshorn zum elterlichen Bauernhof, wo er sich auf sein Velo setzte und nach Davos radelte. Nach dem Spiel düste er mit dem Velo wieder zurück und lief noch am selben Abend zu den Kühen auf der Alp. Manchmal ging er auch erst am nächsten Morgen wieder hoch. Ambühl liebte das Eishockey schon als Kind innig. Für ihn war der Sport nicht nur ein Hobby. Es war seine Leidenschaft. Anders ist nicht zu erklären, dass er Weg und die Mühe auf sich nahm, nur um bei einem Training dabei zu sein. Aber für Ambühl war es eben nie nur ein Training. Es war die Möglichkeit, zu spielen. Etwas, das er bis heute am liebsten tut.

«Dass ich so weit gekommen bin, verdanke ich vor allem meinen Eltern», sagt Ambühl. Sie seien es gewesen, die ihn im Winter zum Training gefahren und anschliessend wieder abgeholt hätten, weil um diese Zeit kein Bus mehr ins Sertigtal fuhr. Sie seien es gewesen, die das Training bezahlt hätten. Und sie seien es auch gewesen, die hinter ihm gestanden seien, als er sich gegen eine Lehre entschied, um voll auf die Karte Hockey zu setzen. «Sie hatten Vertrauen in mich. Aber wir hatten auch einen Deal. Wenn das mit dem Hockey nach einem Jahr nicht klappen sollte, würde ich eine Lehre anfangen.» Es hat aber geklappt. Mit 16 lud ihn der damalige HCD-Trainer Arno Del Curto ein, mit der ersten Mannschaft zu trainieren. Er wurde Teil eines Teams, welches das Schweizer Eishockey mehr als zehn Jahre dominieren sollte. 

Eine verpasste Chance

Bevor Ambühl mit dem Spielen aufhört, hat er noch einiges vor. Er will noch mindestens einmal mit dem HC Davos den Meistertitel holen. «Mindestens», betont Ambühl. Ausserdem will er unbedingt bei den Weltmeisterschaften im Frühjahr 2020 dabei sein. Nicht nur weil eine Heim-WM ansteht und damit die Möglichkeit, hierzulande den Sieg zu holen. Etwas, das für Ambühl unbezahlbar wäre. Sondern auch, weil Ambühl kein Freund des Sommertrainings ist. Biken und Bergtouren stünden in diesem Fall auf dem Programm. Und darauf ist Ambühl nicht sonderlich scharf. «Wäre ich bei der WM dabei, würde ich mehr Zeit auf dem Eis verbringen. Ich würde spielen. Und damit wären zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen», sagt er und lacht.

Ambühl lacht gerne, spricht gerne. Über Hockey, Sport und noch mehr Hockey. Er ist ein bodenständiger Mensch. Und jemand, der stets mehr als 100 Prozent gibt. Wohl auch deshalb ist er bereits viermal von den Zuschauern zum beliebtesten Spieler der Liga gewählt worden. Und auch das freut ihn. Über alles kann Ambühl mit grosser Freude sprechen. Ausser über seine Zeit in den USA. Es ist der einzige Moment während des Gesprächs, in dem das Leuchten aus Ambühls Augen verschwindet. Noch immer hat er damit zu kämpfen, dass er es nicht geschafft hat, in der NHL, der besten Eishockeyliga der Welt, zu spielen. In Übersee kam er ausschliesslich in der tiefer klassigen American Hockey League (AHL) bei Hartford Wolf Pack, dem Farmteam der New York Rangers, zum Einsatz. «Die Erfahrung in der NHL hätte ich schon gerne gemacht. Wenigstens ein Spiel. Aber das war leider nichts», sagt Ambühl und wird leise. 2010 brach er nach nur einer Saison den Versuch ab, bei den Rangers Fuss zu fassen – und kehrte in die Schweiz zurück, wo er bei den ZSC Lions unterschrieb. «Die Erfahrung, in der Schweiz auch einmal woanders zu spielen, war sehr wichtig für mich. Das ist wie bei einem Unternehmen. Wenn Du nicht der ewige Lehrling bleiben willst, musst Du auch einmal weg.»

Auf die Saison 2013/14 hin wechselte Ambühl dann wieder zurück zum HC Davos. «Der Wunsch, wieder heimzukommen, war nach drei Jahren schon gross. Und doch hätte ich das nie getan, wenn ich keine Möglichkeit gesehen hätte, mit der Mannschaft etwas zu reissen», sagt Ambühl. Und das tat sie. Ein Jahr später gewann der HCD die Finalserie ausgerechnet gegen die ZSC Lions und holte damit zum 31. Mal den Schweizer Meistertitel. Weniger erfolgreich war bekanntlich die vergangene Saison für den HC Davos. Das soll sich nun ändern. Und zumindest stehen die Chancen nicht schlecht, dass sich das Team um Captain Ambühl für die Playoffs qualifizieren kann. Der Start in die neue Saison ist geglückt. «Wir haben neue, junge Spieler. Gute Spieler. Und ich will mit meinem Team wieder zurück an die Spitze. Das können wir schaffen. Davon bin ich überzeugt.»

«suedostschweiz.ch» stellt Euch diese Woche jeden Tag einen der fünf Nominierten vor, ehe es ab dem 9. Dezember ans Voten geht. Dann entscheidet Ihr mit Eurer Stimme, wer letztlich das Rennen als «Bündner/in des Jahres 2019» macht. Der Sieger oder die Siegerin wird am 16. Dezember bekannt gegeben.

Kristina Schmid berichtet über aktuelle Geschehnisse im Kanton und erzählt mit Herzblut die bewegenden Geschichten von Menschen in Graubünden. Sie hat Journalismus am MAZ studiert und lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Rheintal, worüber sie in ihrem Blog «Breistift» schreibt. Mehr Infos

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