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Der Entschlossene

Er ist ein Kämpfer, der weiss, was er will: Alois Vinzens. 17 Jahre lang führte er die Geschicke der Graubündner Kantonalbank und engagierte sich für die Bündner Wirtschaft. Wir finden: Grund genug, den 60-Jährigen als «Bündner des Jahres 2019» zu nominieren.

Kristina
Schmid
02.12.19 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Alois Vinzens war 17 Jahre lang das Gesicht der Graubündner Kantonalbank (GKB).
Alois Vinzens war 17 Jahre lang das Gesicht der Graubündner Kantonalbank (GKB).
OLIVIA ITEM-AEBLI

Alois Vinzens braucht keinen Wecker. Nicht, wenn er in einem Hotel übernachtet und am nächsten Morgen ein Meeting hat. Nicht an diesem Morgen, als zu einem Interview erscheinen muss. Und auch nicht an allen anderen Tagen. Er hat eine innere Uhr, die ihn Punkt sechs aus den Träumen holt. Somit ist nichts mit Ausschlafen. Und schon gar nicht bis halb zehn.

Einmal so richtig ausschlafen – das würde dem 60-Jährigen nach Jahrzehnten sicher gut tun. Könnte man meinen. Schliesslich gab Vinzens diesen Sommer seinen Rücktritt als CEO der Graubündner Kantonalbank bekannt. Und das nach 17 Jahren in Chefposition, in der er die Bank durch die Finanzkrise 2008, die Verhandlungen mit den USA und Deutschland, den Parmalat-Finanzskandal und ins digitale Zeitalter geführt hat. Da könnte man also durchaus meinen, der Mann würde erst einmal so richtig ausschlafen. «Nein, das geht wirklich nicht», sagt Vinzens.

Mit Herz und Verstand entscheiden

Vinzens ist strukturiert. Das geht aus dem Gespräch schnell hervor. Morgens steht er zur gleichen Zeit auf, liest anschliessend seine Zeitungen. Bereits als CEO war es das erste, das er am Tag tat. «Ich liebe es, Zeitungen zu lesen. Jetzt habe ich sogar mehr Zeit dafür.» Erst verschafft er sich einen Überblick über das regionale Geschehen mit der «Südostschweiz» und dem «Bündner Tagblatt». Danach liest er den Wirtschaftsbund der «NZZ» und zum Schluss noch den Sport. «Ich liebe ja Sport», sagt er. Allen voran Fussball und Eishockey, weshalb er immer wieder die Spiele des HC Davos besucht. Er selbst spielt Golf. Und zwar mit grosser Leidenschaft.

Auf dem Golfplatz von Domat/Ems steht Vinzens nun öfter. Und vor allem nicht mehr nur am Wochenende oder am Abend, weil es der Terminkalender eines CEO nicht anders zulässt. Vinzens hat für sein grosses Hobby nun auch unter der Woche Zeit. Und seine nächste Reise führt ihn deshalb auch nach Marrakesch, das Eldorado für Golfer. «Ich bin zwar nicht gut. Ich habe ein Handicap von 22. Das sagt schon alles. Aber ich golfe einfach unfassbar gerne.»

Der letzte Satz beschreibt ziemlich gut, wie Vinzens sein Leben führt. Nach welchen Kriterien er es ordnet. Denn «unfassbar gerne» übte er auch seinen Job als CEO der GKB aus. Oder wie er es ausdrückt: Mit grosser Leidenschaft. «Kein Mensch übt einen solchen Beruf so lange aus, wenn er nicht erfüllend ist.»

Ein Tipp von Alois Vinzens für den ambitionierten Nachwuchs.

Die GKB verändern und prägen

Vinzens hat die Kantonalbank nicht nur durch schwere Zeiten geführt; er hat bei der GKB auch eine neue Unternehmenskultur eingeführt. Früher, so erzählt Vinzens, waren bei der GKB alle Türen zu den Chefbüros geschlossen. «Und wer noch weiter zurückdenken kann, wird sich an einen bestimmten Knopf erinnern, den man vor dem Eintreten erst noch drücken musste.» Anschliessend leuchtete dieser in einer bestimmten Farbe auf. Rot hiess: Der Chef hat keine Zeit. Grün hiess: eintreten. Und gelb hiess: warten. «Furchtbar. Oder? Man stelle sich vor, wie man da vor dem Büro wartete. Richtig schlimm war das.»

Als Vinzens nach zwei Jahren Aufenthalt bei der Swiss Re aus den USA zurückkam, sagte er etwas, das viele Vorgesetzte ihren Mitarbeitern in den ersten Tagen sagen: «Meine Tür steht euch immer offen.» Der Unterschied zwischen den meisten Vorgesetzten und Vinzens aber ist: Er meinte es Wort wörtlich. Er öffnete seine Türe und liess sie seit besagtem Satz fortan offen. Seine Idee kam an. «Mit der Zeit haben alle ihre Türen geöffnet. Und wer heute durch die GKB spaziert, sieht nurmehr offene Türen.»

43 war er anno dazumal. 43, voller Ideen und Tatendrang. Und noch immer spricht Vinzens mit Stolz davon. Noch immer verwendet er die Wir-Form, wenn er von der GKB spricht. Auf die Frage, ob er auch jene Mitarbeiter kannte, die ganz unten auf der Gehaltsliste standen, sagt er: «Mindestens 80 Prozent der Mitarbeiter kannte ich. Ich kannte nicht ihre Lebensgeschichte. Aber ich wusste, wer sie waren und welche Aufgabe ihnen bei der GKB zukam.»

Autorität und Harmonie in einer Person

Volksnah. So beschreiben ihn viele seiner ehemaligen Weggefährten. Eine Eigenschaft, zu der Vinzens nicht unwesentlich selbst beigetragen hatte. Indem er etwa dafür sorgte, dass er mit allen Mitarbeitern per Du ist. Oder indem er sich einen Parkplatz im GKB-Gebäude an der Engadinstrasse wünschte, obschon sein Büro in der GKB-Filiale am Postplatz war. Oder indem er anschliessend Sätze sagt, wie: «Ich wollte auf dem Weg zu meinem Büro den Mitarbeitern in der anderen Filiale begegnen. Das war mir wichtig.»

17 Jahre lang hat er sich bemüht. Um ein gutes Klima. «Wenn es um die Sache ging, war ich sehr autoritär. Ich traf die Entscheidungen, weil ich die Verantwortung zu tragen hatte. Und ich konnte sehr gut damit leben, wenn jemand mit meiner Entscheidung nicht einverstanden war. Aber wenn es ums Team ging, um die Leute, da war mir Harmonie sehr wichtig. Ich wollte immer den Frieden und konnte es nicht ertragen, wenn jemand traurig war.»

Familie und Karriere, das geht

Den Konsens musste Vinzens nicht nur im Büro finden, sondern auch zu Huase, wo er nicht gerade die meiste Zeit verbrachte. Entsprechend der vielen Aufgaben eines CEO war der Terminkalender von Vinzens immer voll. «Um sieben Uhr traf ich jeweils im Büro ein und von da an war mein Tag verplant», sagt er. Mittags war er so gut wie nie zu Hause. Und abends hatte er oft Termine und Veranstaltungen, die er besuchen musste. «Ich glänzte daheim wirklich nicht gerade mit meiner Präsenzzeit.» Vinzens wirkt keineswegs nachdenklich, wenn er diesen Satz sagt. Und er verspürt auch kein Bedürfnis, sich dafür zu rechtfertigen, dass sich seine Frau grösstenteils alleine um die Familie kümmern musste. «Natürlich haben wir viel diskutiert. Mal gestritten. Aber wir haben noch immer eine Lösung gefunden. Denn wir wollten eine Lösung finden. Ich bin überzeugt, wenn man das will, schafft man es als Paar und Familie auch.»

Wenn Vinzens von seiner Frau spricht, wird er leicht verlegen. Plötzlich wird seine Stimme weicher und eine kleine Spur leiser. Er habe eine sehr verständnisvolle Frau, sagt er. Dass seine Söhne zu solch tollen jungen Männern herangewachsen seien, sei hauptsächlich ihr Verdienst. Und dass er eine solche Karriere hinlegen konnte, verdanke er auch seiner Frau. «Ich war vielleicht nicht so viel daheim, aber wir hatten trotzdem viel Zeit als Familie.» Qualität vor Quantität. Gerade auf Reisen hätten sie sehr viel unternommen. Und noch heute stünden sie jeden Tag in Kontakt mit ihren beiden Söhnen. Via Whatsapp, Telefon oder Besuch.

Mit dem Rollator ans Lumnezia

Auch für seine Frau hat Vinzens seit dem Rücktritt deutlich mehr Zeit. Sein Terminkalender ist nicht mehr so voll und verplant wie früher. Und doch hat Vinzens noch immer genug zu tun, denn ruhen will er trotz seines Rücktritts nicht. An eine Frühpension war nicht zu denken. «Nein, das entspricht nicht meinem Wesen», sagt Vinzens. «Menschen, die CEO werden, sind ambitioniert, wollen Macht, sind engagiert, wollen Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen, wollen etwas verändern und bewegen. Das ist so. Es ist noch niemand CEO geworden, obwohl er das nicht wollte. Und nur weil jemand kein CEO mehr ist, verschwinden nicht automatisch auch diese Charakter-Eigenschaften. Und deshalb wollte ich unbedingt auch weiterhin etwas tun.» Und das tut er. Sitzt er doch in mehreren Unternehmen im Verwaltungsrat und präsidiert jenen der Chur Bus AG.

Vinzens ist ein Mann, der sich für Vieles engagiert. Für die GKB. Für die Unternehmen, die er nun mit seiner Erfahrung bereichern will. Und für die vielen kulturellen Anlässe wie das Open-Air Lumnezia. Als dieses vor Jahrzehnten in der Krise steckte, forderte Vinzens die Organisatoren auf, ein zukunftsfähiges Konzept auf die Beine zu stellen, das die GKB jährlich mit 50’000 Franken unterstützen könnte. «Ich hatte das Gefühl, ein Open-Air könnte in diesem Tal gross werden.» Vinzens sollte recht behalten. Für seine Mühe erhielt er deshalb kürzlich Tickets geschenkt, die ihm und seiner Frau lebenslang freien Eintritt zum Open Air gewähren. «Ich liebe ja Open-Airs. Und das Lumnezia sowieso. Ich war schon oft dabei und finde es noch heute grossartig. Und nun, da ich diese Tickets habe, werde ich jedes Jahr hingehen. Und wenn sie mir am Schluss den Weg ebnen müssen, weil ich den Rollator stosse – ich werde kommen.»

«suedostschweiz.ch» stellt Euch diese Woche jeden Tag einen der fünf Nominierten vor, ehe es ab dem 9. Dezember ans Voten geht. Dann entscheidet Ihr mit Eurer Stimme, wer letztlich das Rennen als «Bündner/in des Jahres 2019» macht. Der Sieger oder die Siegerin wird am 16. Dezember bekannt gegeben.

Kristina Schmid berichtet über aktuelle Geschehnisse im Kanton und erzählt mit Herzblut die bewegenden Geschichten von Menschen in Graubünden. Sie hat Journalismus am MAZ studiert und lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Rheintal, worüber sie in ihrem Blog «Breistift» schreibt. Mehr Infos

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