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Täter dankt dem Opfer, dass es die Polizei gerufen hat

Die Haft habe ihm die Augen geöffnet, sagt ein geläuterter Räuber vor dem Kantonsgericht.

Daniel
Fischli
17.08.19 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Das Gefängnis in Glarus.
Das Gefängnis in Glarus.
ARCHIV / SASI SUBRAMANIAM

Der 20-Jährige könnte der ideale Schwiegersohn sein, wenn da nicht die Handschellen wären. Der grossgewachsene und deshalb umso schmaler wirkende junge Mann spricht leise und lächelt freundlich. Zwei bewaffnete Polizisten in Uniform eskortieren ihn in den Gerichtssaal in Glarus und bringen ihn anderthalb Stunden später wieder in die Strafanstalt Saxerriet zurück.

Im März des vergangenen Jahres hat der Mann einen Raubüberfall begangen. Jetzt muss er sich vor dem Kantonsgericht dafür verantworten.

Darüber, was an einem Abend im März 2018 und danach geschehen ist, sind sich der Angeklagte, seine Verteidigerin und die Staatsanwältin einig: Der damals 19-Jährige und zwei Komplizen beraubten in Glarus Nord einen Marihuana-Dealer. Da die Komplizen noch minderjährig waren, läuft gegen sie ein Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Dealer hatte den Angeklagten mit minderwertigem Stoff übers Ohr gehauen. Das wollte er ihm heimzahlen.

Einer der beiden Minderjährigen machte den Lockvogel und gab vor, ein halbes Kilo Marihuana kaufen zu wollen. Er wurde vom Dealer in die Waschküche geführt und gab per Handy seinen beiden Komplizen das Zeichen nachzukommen. Die beiden erschienen vermummt, mit einer Druckluftpistole und einem Teleskopschlagstock bewaffnet in der Waschküche. Einer von ihnen hielt zum Schein den Lockvogel in Schach, der andere durchsuchte das Haus. Die Beute gemäss Anklageschrift: 750 Gramm Marihuana, codeinhaltiger Sirup, 190 Franken in Bar und «Kifferutensilien».

Nach dem Raub Erpressung

Der Angeklagte war schon früh mit Drogen in Kontakt gekommen. Vor Gericht sagt er aus, er habe mit 13 Jahren begonnen zu kiffen und das dann «fast jeden Abend» gemacht. Nach der Realschule hatte er gejobbt, aber keine Lehre gemacht. Zwei Monate vor dem Überfall ist er schon einmal zu einer bedingten Geldstrafe von 300 Franken wegen eines Betäubungsmittelvergehens verurteilt worden.

Neben dem Raub werden dem 20-Jährigen auch Vergehen gegen das Waffen- und das Betäubungsmittelgesetz vorgeworfen. Und vor allem eine fortgesetzte Erpressung. Er hat das Opfer des Raubüberfalles danach fast zwei Monate lang über Handynachrichten bedroht und dazu gebracht, ihm Drogen und Bargeld auszuhändigen.

Ende April 2018 wurde es dem Erpressten offenbar zu viel, und er ging zur Polizei. Der Erpresser wurde geschnappt, als er 5000 Franken im Briefkasten seines Opfers abholen wollte. Auch gegen den erpressten Dealer läuft nun ein Verfahren.

Schon bald wieder frei

Seit einem guten Jahr sitzt der Räuber im vorzeitigen Strafvollzug. Er bekennt sich in allen Punkten schuldig und zeigt sich geläutert. Das Beispiel der andern Insassen im Saxerriet habe ihm gezeigt, wo er hätte enden können. «Ich möchte mich bei allen Beteiligten bedanken», sagt er an seinem Prozess. Vor allem auch bei seinem Opfer dafür, dass es die Polizei gerufen habe. «Sonst wäre ich jetzt noch in diesen Kreisen.»

Im Foyer beim Warten auf den Beginn des Prozesses plaudert die Staatsanwältin gut gelaunt mit dem Angeklagten. Sie fordert dann eine Freiheitsstrafe von 34 Monaten, davon die Hälfte bedingt. Der Angeklagte habe ein erhebliches Mass an krimineller Energie gezeigt, sagt sie. «Aber er weiss, was er getan hat und will dafür geradestehen.» Und er sei von Anfang an geständig und kooperativ gewesen.

Die Verteidigerin liegt mit ihrem Antrag eine Spur tiefer: 30 Monate, davon die Hälfte bedingt. Der Angeklagte habe seit der Tat grosse Fortschritte in seiner Entwicklung gemacht, sagt sie. «Er bedauert aufrichtig, was er getan hat.» Wenn das Gericht der Verteidigerin folgt, kann der geläuterte Räuber in etwa zwei Monaten das Gefängnis verlassen. Die Staatsanwältin bittet deshalb das Gericht, das Urteil bald zu fällen. Die Verteidigerin sagt, sie hoffe, er könne jetzt seine Chance packen und nach der Entlassung eine Lehre als Zierpflanzengärtner beginnen.

Dann klicken die Handschellen, und der Angeklagte wird abgeführt. Das Urteil wird später schriftlich eröffnet.

Daniel Fischli arbeitet als Redaktor bei den «Glarner Nachrichten». Er hat Philosophie und deutsche Sprache und Literatur studiert. Mehr Infos

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