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Wie ein Tännli von der Alp zum stolzen Christbaum wird

Der diesjährige Christbaum für den St. Galler Klosterplatz stammt aus Schänis. In die Kantonshauptstadt gekommen war die Rottanne von Olga und Edwin Steiner einst im Rucksack.

Linth-Zeitung
15.11.18 - 04:31 Uhr
Leben & Freizeit
Die Rottanne, die Olga Steiner und ihr Mann während 51 Jahren pflegten, erstrahlt bald als Christbaum.
Die Rottanne, die Olga Steiner und ihr Mann während 51 Jahren pflegten, erstrahlt bald als Christbaum.
URS BUCHER

von Christina Weder

Für Olga Steiner ist es ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk. Über zehn Jahre hoffte sie, ihre Rottanne würde einmal als Christbaum auf dem Klosterplatz stehen. Nun geht dieser Traum in Erfüllung. Seit 51 Jahren steht die Tanne vor dem rosaroten Wohnblock an der Rehetobelstrasse 71a, der fast so lange auch das Zuhause von Olga Steiner und ihrer Familie war. Heute soll der Baum gefällt und per Helikopter zum Klosterplatz geflogen werden – sofern das Wetter mitspielt. Der prachtvolle Baum ist über 17 Meter hoch und rund 3,5 Tonnen schwer.

Der Heimweh-Baum von der Alp

Für die 85-Jährige ist es eine ganz besondere Tanne. «Es war immer unser Heimweh-Baum», erzählt sie am Telefon. Olga Steiner und ihr 2010 verstorbener Mann Edwin kommen beide ursprünglich aus Schänis. Genau wie ihre Rottanne. Diese schlug ihre ersten Wurzeln auf der Alp Bätruns bei Schänis. Dort – auf 1500 Metern über Meer – verbrachten die Steiners nicht nur ihre Flitterwochen. Wochenende für Wochenende fuhr Edwin Steiner auf die Alp und half seinem Bruder bei landwirtschaftlichen Arbeiten. Das Paar wohnte damals bereits in St. Gallen. Edwin Steiner arbeitete während der Woche bei der Kantonspolizei.

Die einst von der Alp Bätruns ob Schänis per Rucksack nach St. Gallen transportierte Rottanne bringt es mittlerweile auf 17 Meter und 3,5 Tonnen

Als wäre es gestern gewesen, erinnert sich Olga Steiner, wie ihr Mann an einem Samstagabend im Oktober 1967 von der Alp zurückkehrte. Im Rucksack brachte er eine kleine Tanne mit. «Nichts Schönes», sagt Olga Steiner. Ein mickriges Ding sei es gewesen, das auf einem Stein wuchs. Man gab ihm kaum Überlebenschancen. Noch am selben Abend pflanzte ihr Mann das Bäumchen auf der Wiese neben dem Wohnblock. «Weisst du, sonst verstrupft es», habe er ihr gesagt. Er pflegte es liebevoll. Und Olga Steiner ist überzeugt: Dank der Geduld ihres Mannes konnte das Bäumchen in St. Gallen schliesslich Wurzeln schlagen.

Innerhalb von 51 Jahren wuchs die Tanne mächtig und wurde zu einem prachtvollen Baum – allerdings nicht zur Freude aller. Denn unter den ausladenden Ästen befinden sich ein paar Parkplätze. Jeweils im Winter gingen Schneeladungen auf die Autodächer nieder, einmal krachte ein Ast herunter.

Die Anwohner, welche die Parkplätze nutzten, beschwerten sich. Der Verwalter wollte die Tanne fällen. Doch Steiners, die jahrelang im Block die Hauswarts-Arbeit erledigten, setzten sich für ihre Rottanne ein. Die Fällung blieb fortan ein Thema. Sie hing wie eine dunkle Wolke über der Tanne. Olga Steiner hatte bald eine fixe Idee: Dieser Baum sollte nicht einfach abgeholzt werden. «Aus ihm soll einmal ein Christbaum werden.»

Sie bat ihren Mann, elektrische Kerzen an der Tanne anzubringen. Doch der Stromanschluss war zu weit entfernt. 2007 – vor elf Jahren – bewarb sie sich dann erstmals für den Christbaum auf dem Klosterplatz. Vergeblich. Olga Steiner blieb hartnäckig. In den darauffolgenden Jahren rief sie immer wieder an. Im vergangenen Jahr zum letzten Mal. «Ich gab auf.» Umso grösser war die Überraschung, als sie vor einem Monat benachrichtigt wurde, die Wahl für einen Christbaum sei auf ihre Tanne gefallen. Sie konnte es zuerst gar nicht glauben. Doch letzte Woche folgte die Bestätigung. «Ich musste Baldrian-Tropfen nehmen, ich habe mich so gefreut», sagt sie.

Ein letzter Besuch vor Ort

Seit ein paar Jahren wohnt Olga Steiner nicht mehr im Achslen-Quartier. Kürzlich ist sie extra hingefahren, um ihre Tanne noch einmal am alten Ort zu sehen. «Sie hat sich richtig geschmückt – mit wunderschönen Tannenzapfen.» Das nächste Mal wird sie den Baum auf dem Klosterplatz besuchen, wenn er von unzähligen Lichtlein erhellt wird. In den letzten Jahren sei sie beim Anblick des Weihnachtsbaums auf dem Klosterplatz immer ein bisschen traurig gewesen, dass es nicht ihr Baum war, der dort stand. In diesem Advent wird das anders sein. «Man könnte mich mit über tausend Franken nicht glücklicher machen.»

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