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Wie sich ein Glarner Gletscher vor der Hitze schützt

Die wenigsten Glarnerinnen und Glarner haben ihn schon zu Gesicht bekommen: den Hintersulzfirn ob Linthal. Der tief ins Tal reichende Gletscher ist gänzlich von heruntergestürztem Geröll überdeckt.

Martin
Meier
20.09.18 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Der meist verdeckte Hintersulzfirn ob Linthal züngelt bis auf 1800 Meter über Meer hinab.
Der meist verdeckte Hintersulzfirn ob Linthal züngelt bis auf 1800 Meter über Meer hinab.
Fachstelle Naturgefahren Glarus

Der Weg ab Linthal gebärdet sich als schier unendlich. In Kehren geht es höher und höher hinauf. Vorbei am Längstafel der Alp Vorder Durnachtal, weiter zum Unterstafel der Bodmen-Alp, dann über den Hinter Vorsteg nach Hinter Sulz. Und hier, zuhinterst im Durnachtal, hält sich das Naturschauspiel bedeckt, von dem nur die Wenigsten wissen: Unter Geröll und Schutt verbirgt sich dort ein Gletscher. Dies auf einer Höhe, auf der normalerweise das Eis nicht lange überlebt.

Das verborgene Gletschereis ist bis zu 100 Meter dick

Die Untergrenzen des Glärnisch- und Limmernfirns liegen in etwa auf 2350 Metern über Meer, diejenige des Clariden- und Sandfirns gar auf über 2600 Metern. Der versteckte Hintersulzfirn züngelt hingegen bis in eine Lage von 1800 Metern hinab. Damit zählt der Firn zu den am tiefsten gelegenen Gletschern der Alpen. Seine Fläche umfasst 180 000 Quadratmeter, umgerechnet sind das rund 25 Fussballfelder. Das Eismeer ist rund 200 Meter breit und 900 Meter lang. Seine Dicke schätzt Jürg Walcher von der kantonalen Fachstelle für Naturgefahren auf bis zu 100 Meter.

Gesehen hat das Eis kaum einer. Der erfahrene Hinterländer Bergführer Hans Rauner weiss nur, dass sich eingebettet zwischen Vorstegstock, Scheidstöckli, Hinter Sulzhorn und Schlössliturm ein Gletscher befindet. Nicht einmal der langjährige Wildhüter Res Stüssi habe das Eis jemals zu Gesicht bekommen, wie er sagt. Gesehen habe er Ende der 80er-Jahre am Gletscherende nur die Eiswand. Damals reichte der Gletscher noch etwas tiefer hinab. «Hinab bis zum Rossstäfeli», erinnert sich Stüssi.

Mehr vom Gletscher gesehen hat ein Tourengänger: «Am Hintersulzfirn angekommen, bin ich überrascht, dass er noch komplett eingeschneit ist. Ich hatte in Anbetracht der niedrigen Höhe bei den heissen Verhältnissen damit gerechnet, dass er aper sei», schreibt er im Juli 2015 auf der Alpinistenplattform «Hikr.org». Und: Er sei schon einmal da gewesen, als der Gletscher durchaus einige Spalten zeigte, die zwar nicht in gähnende Tiefen führten, zumindest aber für Verletzungen reichen würden.

Grösste Teil des Eises liegt unter einer dicken Schuttschicht

Am 12. September 1926, um 14.15 Uhr, wird vom berühmten Alpinist Jakob Oberholzer ein Schwarzweiss-Bild aufgenommen. Als Beweis dafür, dass es den Gletscher wirklich gibt. Auch die Fachstelle Naturgefahren, die den Gletscher zusammen mit Revierförster Ruedi Zweifel jährlich misst, gelang es verschiedene Male, das Gletschertor zu fotografieren. Sie schätzt, dass der grösste Teil des Eises heute unter einer 50 Zentimeter bis zwei Meter dicken Schuttschicht liegt. «Der Gletscher konnte so die Klimaerwärmung bisher relativ schadlos überstehen», sagt Fachstellen-Leiter Jürg Walcher.

Andere Gletscher schmelzen schneller, als die Modelle zeigen

Dies im Gegensatz zu den anderen Glarner Gletschern. Diese schmelzen trotz eines Winters, wie es ihn seit 1999 nicht mehr gab. In diesem Jahr wird es gegeben hat. In Sachen Gletscherschwund dürfte es nach dem heissen Sommer abermals eine negative Bilanz geben. Entscheidend ist nämlich auch die Witterung von April bis in den September hinein.

Bis jetzt war es viel zu warm. Der Schnee schmilzt viel zu schnell. Fatal für die Gletscher. Bereits 2017 verloren sie 3 Prozent ihres Volumens. An heissen Tagen büsst der Rhonegletscher 10 Zentimeter an Länge ein. Der Gletscherschwund passiert schneller, als es die Modelle prognostizierten. Experten warnen, dass ab 2040 oder 2050 massiv weniger Wasser in die Systeme gelangt. Das Nass fehlt für die Bewässerung am Berg und im Tal, für die Stromproduktion, schlimmstenfalls sogar als Trinkwasser.

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