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Das «Pompeji der Ostschweiz»

Die Region ist reich an historischen Fundstellen. Kantonsarchäologe Martin Schindler berichtete in Rapperswil-Jona über neue Entdeckungen, aktuelle Grabungen und laufende Auswertungsprojekte. Ein besonderes Augenmerk galt dabei dem kleinen Städtchen Alt-Weesen – dem «Pompeji der Ostschweiz», das nun für jedermann zugänglich ist.

Südostschweiz
19.05.18 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Gut erhalten: Die Stadtmauer von Alt-Weesen
Gut erhalten: Die Stadtmauer von Alt-Weesen
PRESSEBILD

«Wir werden immer aktiv, wenn irgendwo gebaut wird», sagte Martin Schindler, Leiter der Kantonsarchäologie. «Und wir retten, was zu retten ist.» Im Falle des Städtchens Weesen wurden die geschichtlichen Spuren allerdings nicht durch ein Bauprojekt entdeckt oder zerstört: Es ging wenige Tage nach der Schlacht bei Näfels 1388 – Weesen war im Konflikt zwischen den Habsburgern und den Eidgenossen zwischen die Fronten geraten – in Flammen auf. Ein Wiederaufbau war nicht im Sinne der Sieger, stattdessen wurde das Städtchen im Bereich des Dominikanerinnenklosters neu begründet – ohne Befestigung.

Ein Glücksfall für die Archäologie

«Trotzdem oder gerade deswegen ist Weesen ein Glücksfall für die Archäologie», so Schindler. Für die damaligen Bewohner seien das abrupte Ende des Städtchens und die Verhinderung des Wiederaufbaus zwar eine Katastrophe gewesen. Dafür liege aber heute eine interessante «Momentaufnahme» eines mittelalterlichen Städtchens aus dem 14. Jahrhundert vor. Eine Momentaufnahme, in der man gar eine Tür findet, in der der Schlüssel noch steckt. Die zahlreichen Funde sind gut erhalten und können dank des bekannten Zerstörungsdatums zeitlich präzise eingeordnet werden. Berechtigterweise gilt Weesen deshalb als «mittelalterliches Pompeji der Ostschweiz».

Neuerdings können die baulichen Überreste der 1388 zerstörten Stadt am «Platz der Versöhnung» im Staadpark Weesen bestaunt werden. Dieser befindet sich nur zwei Gehminuten vom Speerplatz mit Parkmöglichkeit entfernt. Zwei Tafeln informieren die Besucher über die Geschichte und Bedeutung von Alt-Weesen. Damit ist ein längeres Projekt unter der Bauherrschaft von Rutishauser & Beglinger abgeschossen, das die Mauern sichtbar machen und erklären will. Der «Platz der Versöhnung» ist öffentlich zugänglich. Einschnitte in der Umfassungsmauer zur Hauptstrasse hin sorgen dafür, dass auch von aussen ein Blick auf die historische Stätte geworfen werden kann.

«Der Name erinnert an die Schlacht von Näfels und soll gleichzeitig ein friedlicheres Gegenzeichen setzen», so Schindler. Er gehört zu den Fachexperten, die das Projekt begleiteten, und weiss, mit welchem Aufwand die Restauration und Auswertung des historischen Orts verbunden war. So wurden die Stadtmauer und die Reste der daran angebauten Wohnhäuser fachgerecht ausgefugt und zum Schutz um eine Steinlage erhöht.

Auf der Spur von Nacktschnecken

Dem Landwirtschaftsarchitekten Fridolin Beglinger ist zu verdanken, dass der Platz beispielsweise von einem Liebesbaum und Blutgras umsäumt ist, die einen Bezug zur Geschichte schaffen und – zusammen mit künstlerischen Objekten – zum Nachdenken über Vergangenheit und Gegenwart anregen. Spannend ist eine von Valentin Homberger erstellte Zeichnung, die die Rekonstruktion eines Wohnhauses ums Jahr 1300 zeigt. Nach dieser geht man heute von einem mehrstöckigen Gebäude mit Schindeldach aus, das direkt an die Stadtmauer angebaut war.

Auch die Berichte zu den neusten Ausgrabungen in Rapperswil-Jona und die Auswertungsprojekte zum Tempelbezirk, zum Mithräum und zum Töpferhandwerk machten deutlich, wie viel Arbeit hinter solchen Projekten steckt (die «Südostschweiz» berichtete mehrfach). Und auch, dass oft viele verschiedene Fachspezialisten hinzugezogen werden müssen, die zu den spezifischen Fragestellungen Auskunft geben können. «Auch die Feststellung, dass an einer historischen Stätte fleischfressende Nacktschnecken am Werk waren, kann für die Auswertung hilfreich sein und wichtige Hinweise für weitere Untersuchungen liefern», ergänzt Schindler.

Einer Dissertantin, die derzeit – im Rahmen von Auswertungen zum Töpferhandwerk – gerade 100 Kilogramm Scherben untersucht, wünschte er vorsorglich viel Geduld und alles Gute für das Gelingen ihrer Arbeit.

Die zahlreichen Funde sind gut erhalten und können dank des bekannten Zerstörungsdatums von Alt-Weesen zeitlich präzise eingeordnet werden.

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