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400 Jahre altes Engadinerhaus erwacht zu neuem Leben

Tim und Michaela Krohn haben aus einem herrschaftlichen Engadinerhaus in Sta. Maria einen Rückzugsort für kreative und Ruhe suchende Menschen gemacht. Nun durften sie die ersten Gäste empfangen.

14.05.18 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit

Schon beim Eintreten in den «piertan» riecht es nach Geschichte. Es braucht wenig Fantasie, um sich vorzustellen, wie einst voll beladene Heuwagen durch den breiten Flur fuhren, um das kostbare Futter in den elf Meter hohen Heustall zu bringen. Ebenso wenig Fantasie braucht es, um sich eine Vernissage, einen Apéro oder ein Konzert in diesem Raum vorzustellen. Die Chasa Parli gehört seit dem vergangenen Jahr dem Schriftstellerpaar Tim und Michaela Krohn. Sie leben mit ihrer Familie nur ein paar Schritte vom 1619 gebauten Herrschaftshaus entfernt. In die Chasa Parli am östlichen Dorfeingang von Sta. Maria haben sie sich sofort verliebt. «Dieses Haus hat eine Ausstrahlung», meint Tim Krohn.

Ein Ort für die Kreativität

«Die Idee, einen Rückzugsort zu schaffen, hatten wir schon lange», sagt Michaela Krohn. Atelierorte werden vor allem in Städten angeboten. «Tim und ich haben beide festgestellt, wie gut wir hier in der Val Müstair arbeiten können», erzählt sie auf einem Rundgang durchs Haus. Diese Kreativität sei von Anfang an da gewesen, obwohl sie mit drei kleinen Kindern, ihren Eltern und seiner hochbetagten Mutter unter einem Dach lebten.

Auch das Konzept der Chasa Parli basiert auf Zusammenleben. Allerdings kann jeder Gast selber entscheiden, wie oft er sich in den gemeinsamen Räumen aufhalten will und wie viel Austausch er haben möchte. Die intakte Natur gleich vor der Haustüre, das Haus voller Historie – Inspiration dürfte beim Aufenthalt kein Problem sein. Die Chasa Parli bietet sich als Gästehaus für Kreative geradezu an. Einerseits ist es sehr weitläufig mit vielen verschiedenen Räumen – vom Keller mit Kreuzgewölbe zur Holzkammer bis zum Salon. Und andererseits hat es eine klare Struktur und ist sehr konzentriert.

Familie Krohn hat das Haus im vergangenen November übernommen, über die Wintermonate hat sie in der Chasa Parli geschuftet. Parallel zu einer Crowdfunding-Aktion für die Bezahlung einer zeitgemässen Heizung im Haus sind fünf komfortable Zimmer beziehungsweise Apartments verschiedener Grösse entstanden. Diese liegen auf zwei Stockwerken entlang je eines mächtigen Flurs, der sich als Begegnungsort, für kleinere Veranstaltungen und Ausstellungen anbietet. Der prächtige angebaute Stall ist ebenfalls vielfältig nutzbar. Sogar ein Sommercafé wäre darin denkbar.

Die Wohnung im Parterre ist insbesondere für Familien mit kleinen Kindern geeignet. «Wir wissen, wie schwer es als kreativer Mensch ist, ein Atelier zu finden, wo die Familie mitkommen darf», sagt Michaela Krohn.

Begegnung und Rückzug

Als Familie Krohn die Chasa Parli übernommen hatte, war das Haus in keinem guten Zustand. Dafür war es eine wahre Schatztruhe, denn es war gefüllt mit alten Gegenständen: Bauernwerkzeug, historische Gemälde, Puppenwagen, antike Möbel und so weiter. «Wir wollten möglichst viel von der historischen Substanz behalten, und gleichzeitig mussten wir stark entrümpeln», erzählt die Gastgeberin.

Gemeinsam mit dem Bundesgericht in Lausanne hat das alte Haus übrigens den ältesten Linoleumboden der ganzen Schweiz. «Dieses Haus ist ein Ort, an dem viele Geschichten zusammenkommen, die aber alle gebündelt sind», sagt Michaela Krohn, die unter anderem Geschichte studiert hat. Es sei ein Ort, an den sie gerne gekommen sei.

Das Herzstück des Hauses ist die Beletage. Ein langer Tisch lädt zum gemeinsamen Speisen, zum Diskutieren, zum Feiern ein. In einer Ecke steht eine Jukebox, in einer anderen ein von einem Paravent abgetrennter Lesebereich. Auch hier wieder: Begegnungsort und Rückzugsort.

Das Tal beleben

Inzwischen haben Tim Krohn und Tochter Zila Gipfeli geholt. In der Kaffeepause erzählt der Schriftsteller, was der Hauptgrund für die Realisierung der Chasa Parli ist. «Das Tal zu beleben, darum geht es uns primär», sagt er. Der Wunsch sei, die Leute länger im Tal zu halten, weswegen die Miete auch so günstig sei. Die Familie Krohn will noch eine Zusammenarbeit mit Stiftungen und Kantonen aufgleisen.

Ideen, was in der Chasa Parli alles angeboten werden könnte, gibt es unzählige – vom temporären Haus der rätoromanischen Literatur bis zu Yoga-Retreats. «Wir glauben fest daran, dass unser Konzept funktionieren wird», sagt Michaela Krohn. Bisher waren alle begeistert, welche die Chasa Parli das erste Mal betreten hatten.

Mehr Informationen gibt es auf der Internetseite: www.haus-parli.ch

Fadrina Hofmann ist als Redaktorin für die Region Südbünden verantwortlich. Sie berichtet über alle gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Themen, die in diesem dreisprachigen Gebiet relevant sind. Sie hat Medien- und Kommunikationswissenschaften, Journalismus und Rätoromanisch an der Universität Fribourg studiert und lebt in Scuol im Unterengadin. Mehr Infos

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